Was hat die Gerichtsleitung nach der Anordnung der Massnahmen durch den Bundesrat vorgekehrt, um den Gerichtsbetrieb aufrechtzuerhalten?
Bereits vor dem 13. März 2020 wurden zahlreiche Vorkehrungen getroffen, um sowohl die Mitarbeitenden als auch die externen Besucherinnen und Besucher zu schützen. Dies reichte von Verhaltensempfehlungen (betreffend Hygiene, Abstand usw.) bis hin zur eigenhändigen Besorgung von – schon damals kaum mehr aufzutreibendem – Desinfektionsmittel. «Richtig» los ging es jedoch erst ab diesem Zeitpunkt. Um den Betrieb der Aargauer Gerichte weiterhin zu gewährleisten, haben wir weitere Massnahmen getroffen, die hier nur auszugsweise aufgeführt werden können:
- Beschränkung der Gerichtsverhandlungen: Auch in der aktuell aussergewöhnlichen Situation muss der gerichtliche Rechtsschutz bis zum Schluss aufrechterhalten bleiben. Es werden deshalb nach wie vor Verhandlungen durchgeführt, allerdings nur, wenn sie absolut dringlich sind. Müssen Verhandlungen stattfinden, gelten strenge Rahmenbedingungen. Alle anderen Verhandlungen bis Ende April 2020 wurden abgesagt respektive verschoben.
- Notfallpläne: Alle Aargauer Gerichte haben für den Fall einer Quarantäne oder Ausgangssperre einen Notfallplan erstellt, mit welchem die Aufrechterhaltung des Gerichtsbetriebs nach wie vor gewährleistet ist und auf den bei Bedarf sofort zurückgegriffen werden kann.
- Homeoffice: Benötigt wurden innert kürzester Zeit zusätzliche Notebooks, Zugriffsmöglichkeiten und entsprechende Lizenzen, Anleitungen usw. All dies kam dank des enormen Einsatzes unserer IT zustande.
- Arbeiten im Büro: Besonders gefährdete Mitarbeitende dürfen nicht im Büro arbeiten. Den vor Ort tätigen Mitarbeitenden werden soweit möglich Einzelbüros zur Verfügung gestellt. Interne Sitzungen sowie Besprechungen finden grundsätzlich nur noch via Telefon- oder Videokonferenz statt. Die Abstandsvorschriften müssen strikte eingehalten werden. Exponierte Orte wie beispielsweise Treppengeländer, Türklinken und Kaffeemaschinen werden regelmässig desinfiziert.
Wo lagen die grössten Sorgen und Probleme, und wie haben Sie diese gemeistert?
Die Gerichte können und dürfen nicht einfach «zumachen». Gerade in einer derartigen Krise braucht es die Justiz als wirksame und vertrauenswürdige Institution, die den Menschen Halt und Sicherheit bietet. Die Justiz muss deshalb nach wie vor funktionieren, auch im gesamtgesellschaftlichen lnteresse. Vor diesem Hintergrund bestand die grösste Herausforderung darin, quasi von heute auf morgen die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass mehrere hundert Mitarbeitende von zuhause aus in Homeoffice arbeiten können. Dies gelang dank eines ausserordentlichen Einsatzes unserer gerichtsinternen IT-Dienste und der hervorragenden Zusammenarbeit mit allen Beteiligten. Ich spüre eine grosse Solidarität unter den Mitarbeitenden, den Willen, im Krisenfall zusammenzustehen und an einem Strick zu ziehen. Genau diese Haltung ist für die Aufrechterhaltung des Gerichtsbetriebs von zentraler Bedeutung.
Wirkt sich die Corona-Krise auf den Gerichtsbetrieb, konkret auf die Fallerledigung, aber auch auf die Falleingänge aus?
Die dringlichen Verfahren und die Fälle, die ohne Durchführung einer Verhandlung behandelt werden können, werden wie gewohnt weitergeführt. Die anderen Fälle erfahren zwangsläufig eine Verzögerung. Dadurch werden sich zahlreiche Fälle anstauen, was nach der A Aufhebung der Massnahmen zu einem erhöhten Erledigungsdruck führen wird. Die Auswirkungen der Krise auf die Falleingänge lassen sich zurzeit noch nicht absehen.
Wäre es – falls die Fallzahlen stark abnehmen – denkbar, dass die Gerichte Aargau Mitarbeitende anderen Amtsstellen, z. B. dem Amt für Wirtschaft, zur Bewältigung deren riesiger Aufgaben zur Verfügung stellen?
Gegenseitige Hilfestellung und Unterstützung sind für mich – sowohl privat wie beruflich – selbstverständlich. Es ist durchaus denkbar, dass innerhalb der Justiz weniger beanspruchte Einheiten bzw. Abteilungen andere, stärker belastete Einheiten unterstützen. Bestehen darüber hinaus noch weitere Kapazitäten, könnten diese auch für andere, nicht gerichtliche Stellen eingesetzt werden.
Was bedeutet die Corona-Krise für Sie persönlich?
Die Situation ist sehr belastend. Sie führt daneben aber auch zu einer plötzlichen Ruhe und Entschleunigung. Die Strassen sind wie leergefegt, das Telefon klingelt seltener, Freizeitstress gibt es zurzeit gar nicht. Meine persönliche Sorge um die Gesundheit meiner Mitarbeitenden wiegt aber nach wie vor gross und ist stets vorhanden. Wie viele andere sehne deshalb auch ich mich nach dem Tag, an dem Corona Vergangenheit ist und ich allen wieder die Hand schütteln darf.