Eine Flexibilisierung des Rentenalters entspricht dem individuellen Bedürfnis, sich entweder frühzeitig pensionieren zu lassen oder länger zu arbeiten. Wie sich jemand entscheidet ist abhängig von den persönlichen, also körperlichen und psychischen Ressourcen sowie von der individuellen Lebenssituation. Für beide Varianten – früher aufzuhören oder länger zu arbeiten – ist die Schaffung der entsprechenden Rahmenbedingungen notwendig. Öffentliches Personal Schweiz (ZV) hat mit Betroffenen über ihre Erfahrungen gesprochen.
Die demographische Entwicklung und der drohende Fachkräftemangel sind aktuelle Themen rund um die Arbeitsmarktpolitik. Als Lösung wird unter anderem der Verbleib älterer Arbeitnehmender im Arbeitsprozess angesehen. Dies setzt jedoch voraus, dass
- die entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden,
- ältere Arbeitnehmende überhaupt willens sowie physisch und psychisch in der Lage sind, über das ordentliche Rentenalter hinaus zu arbeiten und
- auf dem Arbeitsmarkt eine Nachfrage nach älteren Arbeitnehmenden besteht.
Wird eine Weiterbeschäftigung nach dem ordentlichen Rentenalter bei der aktuellen Arbeitgeberin in Erwägung gezogen, müssen also erst die rechtlichen Grundlagen geprüft werden. Im öffentlichen Dienst sehen heute die meisten Kantone und auch der Bund eine automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Erreichen des ordentlichen Rentenalters vor. Die Option einer Weiterbeschäftigung besteht in der Regel, wenn dies auch im Interesse des Arbeitgebers ist. Wird eine Weiterbeschäftigung bewilligt, werden die neuen Arbeitsverträge meist auf ein Jahr befristet oder es ist eine Beschränkung bis zum 70. Altersjahr vorgesehen.
Flexibles Rentenalter
Gemäss der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung SAKE 2015 betrug im Jahr 2015 das durchschnittliche Alter der 58- bis 75-Jährigen beim Austritt aus dem Erwerbsleben 65.5 Jahre, bei Männern betrug es 66 Jahre, bei Frauen 64.8 Jahre. Damit bewegt sich der frühere Trend zum vorzeitigen Ruhestand etwas nach oben: Im Jahr 2005 betrug der Durchschnittswert 64.7 Jahre.
Der Anteil der frühzeitigen Pensionierungen ist jedoch nach wie vor höher als der Wunsch, länger zu arbeiten. Am stärksten vertreten ist dieser im tertiären Sektor, insbesondere in der Kredit- und Versicherungsbranche, wobei die meisten vorzeitigen Pensionierungen bei Arbeitnehmenden mit Vorgesetztenfunktion zu verzeichnen sind.
Ein flexibles Rentenalter scheint also den heutigen Bedürfnissen der Arbeitnehmenden am Ehesten zu entsprechen. Auch Nationalrätin Bea Heim plädierte in ihrem Referat an der Delegiertenversammlung von Öffentliches Personal Schweiz (ZV) für eine solche Regelung. Es müsse bei der Regelung des Rücktritts aus dem Erwerbsleben dringend berücksichtigt werden, ob jemand sein ganzes Arbeitsleben lang schwere körperliche Arbeit verrichtet hat oder mehrheitlich im Büro tätig war.
Ein weiteres wichtiges Kriterium für die Beantwortung der Frage, ob man über das Rentenalter hinaus oder weniger lang arbeiten möchte, ist das persönliche Umfeld. Für die Entscheidung ist oft ausschlaggebend, ob der Partner / der Partnerin noch erwerbstätig ist oder nicht und ob jemand alleinstehend ist oder Kinder in Ausbildung unterstützt. Nicht zu unterschätzen ist ausserdem die Bedeutung der sozialen Kontakte am Arbeitsplatz, die mit der Pensionierung oft grösstenteils wegfallen.
Flexibilisierung der Arbeitszeitgestaltung
Eine leicht nachlassende körperliche Leistungsfähigkeit bei älteren Arbeitnehmenden kann – je nach Beruf – in der Regel problemlos mit langjähriger Erfahrung und tiefgreifenden Fachkenntnissen wettgemacht werden. Starre Arbeitszeiten, lange Arbeitstage oder hohe Pensen entsprechen aber oft nicht mehr den Bedürfnissen von älteren Arbeitnehmenden, welche sich teilweise einen sanften Übergang vom Erwerbsleben in die Pensionierung wünschen. Dieser kann durch eine Pensenreduktion oder eine Weiterbeschäftigung im Stundenlohn erzielt werden. Dass solche Möglichkeiten geschätzt werden, zeigen auch die nachfolgend abgedruckten Interviewgespräche (ab Seite 3) – alle drei Interviewpartner hatten im Gesprächszeitpunkt ihr Pensum reduziert.
Solche «Vorruhestandslösungen» sind in der Schweiz breit akzeptiert, da sie beiden Seiten dienen. Sie erleichtern den Arbeitnehmenden den Übergang von einem Lebensabschnitt in den nächsten und langjähriges Knowhow kann – zum Beispiel auch im Rahmen von Projektarbeiten oder mittels eines Arbeitsvertrages für eine externe Beratung über das Rentenalter hinaus – im Unternehmen behalten werden.
Situation beim Bund
Die Bundesverwaltung unterstützt die Weiterarbeit nach dem ordentlichen Pensionierungsalter, wenn Bedarf besteht; insbesondere auch im Hinblick auf das altersbedingte Ausscheiden der Generation Babyboomer. Voraussetzung für die Weiterbeschäftigung ist das Einverständnis des Arbeitgebers, das Vorhandensein entsprechender Aufgaben sowie der Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags. Ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung nach dem Pensionsalter besteht aber nicht und spätestens fünf Jahre nach dem ordentlichen Rentenalter ist endgültig Schluss und das Arbeitsverhältnis endet.
Per Ende Dezember 2014 machten beim Bund 74 Personen (34 Frauen, 40 Männer) von der Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung Gebrauch. Fast die Hälfte davon ist in den Departementen EJPD und VBS tätig. Der Beschäftigungsgrad variiert stark, in den ersten zwei Jahren nach dem ordentlichen Pensionsalter ist er höher, also zwischen 70 und 100 % und nimmt danach ab. Bei tiefen Beschäftigungsgraden erfolgt die Anstellung oft im Stundenlohn.
Die bundesweite Personalbefragung im Jahr 2014 hatte gezeigt, dass der Wunsch, sich frühzeitig pensionieren zu lassen, klar überwiegt: rund zwei Drittel der Befragten, würden gerne früher aufhören. Knapp ein Fünftel würde gerne länger arbeiten; wobei dieser Wunsch in den höheren Lohnklassen stärker vertreten ist als in den tiefen.