Ausbildung, Erwachsenenbildung

Schule ohne Schule

Die Mittelschulen im Aargau wurden geschlossen, der Unterricht läuft digital weiter. Dies stellt Schülerinnen und Schüler, Lehrpersonen, Schulleitungen und das zuständige Verwaltungspersonal vor grosse Herausforderungen. Trotz allen Schwierigkeiten hält die Krise auch  Neues, Reizvolles und Überraschendes bereit.

Seit Montag, 16. März 2020, findet an den Aargauer Mittelschulen kein Präsenzunterricht mehr statt. In seiner diesbezüglichen Mitteilung an die Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrpersonen schrieb Regierungsrat Alex Hürzeler am 13. März: «Die Tage und Wochen der Schulschliessung sind also keine zusätzlichen Ferien, sondern es ist Lehren und Lernen unter erschwerten Bedingungen!» Stimmt. Niemand arbeitet weniger, im Gegenteil. Die Schulleitungen mussten praktisch übers Wochenende Regeln für den Fernunterricht festlegen. Beiderseits des Lehrpersonenpults arbeitete man sich dann innert Stunden in eine digitale Infrastruktur ein, die normalerweise mit Support vor Ort über Tage eingeführt würde. Dank dem IT-Personal der Schulen und dem Lernwillen aller Beteiligten gelang dieser Kaltstart.

Wie sieht der Arbeitsalltag von Schulangehörigen ohne Schule nun aus? Finden Lektionen einfach als Videokonferenzen statt? Schon vor der Pandemie hing inhaltlich und pädagogisch viel von der Lehrperson ab. Das hat sich nicht geändert. Digitales Lehren und Lernen funktioniert im Gegensatz zu Präsenzunterricht zwar grundsätzlich oft zeitversetzt. Schülerinnen und Schüler bearbeiten also in einem individuellen Rhythmus Aufträge, über die sie sich anschliessend untereinander oder mit der Lehrperson austauschen. Diese generelle Stossrichtung lässt sich mit mehr oder weniger virtuellem Kontakt verwirklichen: Die Lehrperson kann sich wöchentlich mit allen Schülerinnen und Schülern per Videokonferenz zwecks Kontrolle treffen – oder sie gibt die Aufträge schriftlich und steht in einem Klassenchat für Fragen zur Verfügung. Ersteres entspricht tendenziell der Volks-, Zweites eher der Hochschule. An den Mittelschulen ergibt von Fall zu Fall beides Sinn.

Es gibt sie also, die virtuelle Lektion. Zugleich läuft an allen Schulen ein reger Austausch über Sinn und Unsinn der aktuellen Arbeitsformen. Während ich beispielsweise die wegfallenden Präsenzlektionen zum engeren Betreuen von Schreibarbeiten nutze, diskutiert die Kollegin im Fach Geschichte in Minikonferenzen von fünf Personen den zuvor individuell erarbeiteten Stoff. Im bildnerischen Gestalten arbeitet man mit Photoshop, die Sportinstruktionen kommen per Video, die Powerpoint-Slides aus der Physik werden mitsamt Lehrervortrag hochgeladen.  Die Kerntätigkeiten der Lehrperson – Aufbereiten, Vermitteln, Ermutigen, Anleiten, Überprüfen – bleiben dieselben, es ändern sich vor allem die Werkzeuge.

Mit dieser Erkenntnis hat sich mancherorts inzwischen eine Art Alltagsgefühl ausserhalb des Alltags eingestellt. Die «erschwerten  Bedingungen» sind dennoch stets spürbar. Videokonferenzen ersetzen keinen Unterricht, Sprachnachrichten keine Vorträge, geteilte Dateien nicht die Zusammenarbeit vor Ort.

Einige Wochen ohne Präsenzunterricht, Pausengong und Mensa-Essen machen es deutlicher, als der Normalbetrieb es jemals könnte: Lehren und Lernen sind wesentliche soziale Vorgänge. Man kann direkte Interaktion digital simulieren, aber nicht ersetzen. Das Aha-Erlebnis im Gespräch mit der Klassenkameradin in der Pause, der Spruch der Lehrperson, der einem haften bleibt, die gegenseitige Unterstützung bei einer Gruppenarbeit – kurz, die ganze schulische Lebenswelt fehlt. Das ist keine kreidenselige, tafelschwammschnüffelnde Nostalgie, sondern ein handfestes didaktisches Problem.

Aus dem Wegfallen eines gemeinsamen sozialen Kontexts für Lehren und Lernen ergeben sich einerseits die durchaus reizvollen Herausforderungen digitaler Bildungsarbeit, aber auch deren Gefahren. Während für viele Lehrpersonen auch zuvor keine klare Trennung von Arbeitsplatz und Zuhause möglich war, entgrenzt sich die Arbeit nun vollends. Gerade für digital weniger affine Kolleginnen und Kollegen kann dies einen zeitlich kaum einzugrenzenden Aufwand bedeuten. Alle Lehrpersonen sind zudem der Versuchung ausgesetzt, durch Mehrarbeit die eben skizzierten pädagogischen Grenzen des Fernunterrichts aufzuheben. Leider ist dies weder restlos möglich noch, in vielen Fällen, didaktisch besonders sinnvoll. Perfektion gibt es in der Krise keine. Nachvollziehbare Aufträge, kluge Rückmeldungen, angemessene Kontrolle, virtuelle Kontaktpflege und viel Selbstorganisation – das gibt fürs Erste genug zu tun. Auch für die Schülerinnen und Schüler übrigens.

Am spannendsten sind diese Entwicklungen wohl im Rückblick. Nach der Pandemie wird es möglich und nötig sein, das Erreichte auszuwerten. Gibt es Lehren, die man organisatorisch oder didaktisch aus der Krise ziehen kann? Welche Schlüsse ziehen wir aus den zwangsläufig erprobten digitalen Unterrichtsformen, sowohl in Bezug auf deren Potenzial als auch deren Grenzen? Dabei lernen sicher nicht nur die Schülerinnen und Schüler etwas.

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