Vaterschaftsurlaub – die Schweiz hinkt europaweit hinterher

Ein Blick über die Grenzen

Väter wünschen ihn, Politik und Wirtschaft verhindern ihn: den Vaterschaftsurlaub. Bislang sind zahlreiche parlamentarische Vorstösse zur Einführung eines bezahlten Vaterschaftsurlaubs in der Schweiz immer wieder gescheitert. Im kommenden Herbst hat es der Nationalrat nun in der Hand, die familienunfreundliche Situation zu ändern und gleichzeitig ein Zeichen für die Gleichberechtigung zu setzen. Doch selbst bei Annahme der Minimallösung, dem Gegenvorschlag zur aktuellen Initiative des Vereins «Vaterschaftsurlaub jetzt!», bleibt die Schweiz im europäischen Vergleich familienpolitisch ein Schlusslicht.

Das Thema Vaterschaftsurlaub beschäftigt zurzeit nicht nur junge Familien und Paare mit Kinderwunsch, sondern auch die Politik. Der Ständerat hat im Juni über die Volksinitiative «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub – zum Nutzen der ganzen Familie» debattiert, der einen vierwöchigen, flexibel beziehbaren Vaterschaftsurlaub für alle frisch gebackenen Väter vorsieht. Behandelt wurde auch der indirekte Gegenvorschlag, der zwei Wochen Vaterschaftsurlaub gesetzlich verankern will. Der ständerätliche Entscheid war schliesslich – gegen grossen Widerstand seitens der Wirtschaft – ein JA zugunsten von 10 Tagen, also zur abgeschwächten Version, die nun in der Herbstsession im Nationalrat verhandelt wird. Man darf sich die Frage stellen: Weshalb tut sich ein Land wie die Schweiz, der es wirtschaftlich und sozial vergleichsweise sehr gut geht, so schwer mit dem Anliegen eines Vaterschaftsurlaubs?

Gesetzlich ist hierzulande für Väter kein Urlaub nach der Geburt ihres Kindes vorgesehen. Arbeitgeber müssen Vätern lediglich ein paar Stunden frei geben, in der Regel sind das ein bis zwei Tage, wie es bei familiären Ereignissen üblich ist. Es gibt allerdings auch fortschrittliche Unternehmen – hier kommen Väter in den Genuss eines mitunter sehr grosszügigen Vaterschaftsurlaubes von 3 bis zu 24 Wochen. Zumeist sind es grosse Unternehmen, allen voran Volvo, gefolgt von Johnson & Johnson, Novartis, Google und Ikea, sowie öffentliche Institutionen wie Bund, Kantone und Städte, die sich für Väter engagieren; sie können sich einen längeren Vaterschaftsurlaub im Unterschied zu Kleinunternehmen offenbar leisten. Dies wiederum macht sie gerade heutzutage als Arbeitgeber attraktiv. Denn längst will eine Grosszahl werdender Vätern nicht nur die Ernährerrolle einnehmen, sondern das einschneidende Erlebnis der Geburt des eigenen Kindes miterleben, und mehr noch: die erste Zeit mit dem Nachwuchs teilen.

Unabhängig davon bedeutet ein Vaterschaftsurlaub auch einen wichtigen Schritt in Richtung Gleichstellung. Für Mütter gilt per Gesetz aktuell ein Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen. Mit der Anstellung einer jungen Frau verbinden Arbeitgeber deshalb nach wie vor das «Risiko», dass im Falle einer Schwangerschaft nicht nur eine Arbeitskraft ausfällt, sondern gleichzeitig auch Lohnkosten damit einhergehen. Das führt zwangsläufig zu einer Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Dieses geschlechterspezifische Ungleichgewicht würde durch einen gesetzlich verankerten Vaterschaftsurlaub gemindert bzw. aufgelöst. Das berufliche Vorankommen der Frau bzw. der jungen Mutter stünde mit demjenigen des Mannes plötzlich gleich auf.

Bemerkenswert wie bedenkenswert ist, dass die Schweiz in puncto Vaterschaftsurlaub den meisten Ländern in Europa hinterher hinkt: Väter stehen in allen Nachbarländern der Schweiz und auch im restlichen Europa weitestgehend besser da. Die EU und fast alle OECD-Länder kennen entweder einen Vaterschaftsurlaub oder eine gemeinsame Elternzeit für Väter und Mütter – oder gar beides. Zudem kam unlängst Bewegung in die Bestrebungen nach einer EU-weiten einheitlichen Regelung in Bezug auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie – und damit auch auf eine Harmonisierung der Vaterschaftszeit.

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