Gerichtsbeispiele zur Meinungsäusserungsfreiheit in öffentlich-rechtlichen Anstellungen

Ein langjähriger Dozent der Züricher Hochschule für Künste verteilte mit Unterstützung von Studierenden vor dem Rathaus Flugblätter an Mitglieder des Kantonsrates. In den Flugblättern bezeichnete er den bevorstehenden Umzug der Hochschule als «monströse Zentralisierungsveranstaltung» und fordert zur Ablehnung des geplanten Standortwechsels auf. Der Leiter des Departements Kunst und Medien erteilte dem Dozenten hierfür einen Verweis und entzog ihm die Leitungstätigkeit. Zu Recht?
Nein. Das Zürcher Verwaltungsgericht bejahte zwar eine Treuepflichtverletzung mit der Begründung, dass der Dozent mit der Flugblattverteilung ein besonders medienwirksames Mittel zur Bekundung seiner Opposition gewählt habe (Urteil PB.2009.00027 vom 18.11.2009). Das Bundesgericht sah dies hingegen anders und beurteilte das fragliche Flugblatt als zurückhaltend. Es enthalte weder polemische noch verletzende Angriffe. Im Gegenteil, es sei dem Beschwerdeführer darum gegangen, sich im Rahmen des politischen Willensbildungsprozesses zum geplanten Projekt äussern zu können. Die Äusserungen seien daher im Rahmen einer demokratischen Auseinandersetzung erfolgt und betreffen ein Projekt, welches im Kanton Zürich von generellem Interesse sei. Die Tatsache, dass der Dozent im Umfang von 5 % noch Leitungsfunktion innehabe, ändere nichts an der Beurteilung. Aus diesen Gründen sei die Meinungsäusserungsfreiheit des Dozenten höher zu gewichten als die Interessen der Hochschule. Der ausgesprochene Verweis und der Entzug der Leitungsfunktion stellen eine unzulässige Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit dar (BGE 136 I 332).

Ein Zürcher Bezirksrichter, Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, verteilte am Bahnhofsquai in Zürich zusammen mit Parteimitgliedern eine Broschüre, worin den Zürcher Behörden vorgeworfen wird, die Repression zu verstärken und die demokratischen Rechte einzuschränken. Die Persönlichkeitsrechte der Bürger würden durch «willkürliche Verhaftungen und polizeiliche Registrierungen verletzt und die Rechte von Angeklagten und Verteidigern missachtet». In der Broschüre wird weiter die Einstellung aller hängigen Strafverfahren gegen Demonstranten gefordert. Ist das Verhalten des Bezirksrichters zulässig?
Nein. Die Verwaltungskommission des Obergerichts sprach gegen den Bezirksrichter einen Verweis aus. Das Bundesgericht weist die dagegen erhobene Beschwerde des Bezirksrichters mit folgender Begründung ab: Ein Richter sei in einem qualifizierten Sinne Garant für die Einhaltung der Rechtsordnung und für den ordnungsgemässen Gang der Justiz. Grundsätzlich stehe auch die politische Tätigkeit eines Richters unter dem Schutz der Meinungsäusserungsfreiheit. Allerdings verlange der Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit eine gewisse Zurückhaltung, wenn es um öffentliche Stellungnahmen gehe. Indem der Richter in eindeutiger Weise Stellung zu hängigen Strafverfahren nehme und vermeintliche Missstände in der Justiz kritisiert habe, sei er der richterlichen Pflicht zur Zurückhaltung nicht nachgekommen. Sein Verhalten sei daher als Dienstpflichtverletzung zu qualifizieren (BGE 108 Ia 172).

Ein Angestellter der Bundesverwaltung, der für die Planung und Abwicklung internationaler Geschäfte zuständig ist und den Bund vor internationalen Institutionen vertritt, veröffentlichte in den sozialen Medien (Twitter) unter anderem folgende privaten Kommentare: Ein Screenshot eines Videos, das eine Frau zeigt, wurde kommentiert mit «The only hope ist that these „things“ don’t reproduce». Ein Beitrag der damaligen Vorsteherin des UVEK zum 4-Milliarden-Kreditrahmen für die Axpo wurde kommentiert mit «Abzocker retten, ist das Ganze. Wenigstens müssten in einer funktionierenden Marktwirtschaft der VR und das Management jetzt sofort abgesetzt werden». Nach wiederholter Abmahnung löste die Bundesverwaltung das Arbeitsverhältnis fristlos auf. War diese Entlassung zulässig?
Ja. Das Bundesverwaltungsgericht hielt fest, dass ein Staatsangestellter in seiner persönlichen Lebensgestaltung im Rahmen der Rechtsordnung zwar grundsätzlich frei sei und sich auf die Meinungsäusserungsfreiheit berufen könne. Allerdings habe ein Staatsangestellter jene Schranken zu respektieren, die seine dienstrechtliche Stellung erfordere. Da der Angestellte in seiner beruflichen Funktion die Bundesverwaltung an internationalen Konferenzen vertrete, sei seine Treuepflicht erhöht gewesen, um die Reputation der Bundesverwaltung nicht zu gefährden. Sein Kommentar zum Kreditrahmen sei eine derart polemische Kritik an die Adresse des Bundes, die sich mit seiner Funktion nicht vertrage. Gleiches gelte in Bezug auf seinen Kommentar zu Frauen. Indem er Frauen als «Things» bzw. als «Sache» bezeichne, entmenschliche er diese öffentlich und spreche ihnen teilweise das Recht ab, Nachkommen in die Welt zu setzen. Die Zurschaustellung dieses verwerflichen Gedankengutes sei nicht mit seiner repräsentierenden Funktion vereinbar und beschädige das Ansehen der Bundesverwaltung. Mit den Kommentaren habe der Angestellte seine gesetzliche aus-serdienstliche Treuepflicht schwer verletzt. Die politisch heiklen (Axpo) und verwerflichen (Frauen) privaten Twitterkommentare hätten das Vertrauensverhältnis tiefgreifend erschüttert. Die fristlose Kündigung erweise sich daher als berechtigt (Urteil des Bundesverwaltungsgericht A-5236/2022 vom 21.08.2023, Hinweis: Ein Weiterzug ans Bundesgericht noch möglich).