Beratende Stimme am Gericht

Interview mit Catherine Merkofer, Gerichtsschreiberin am Obergericht des Kantons Aargau

Urteile der Vorinstanz werden von Ihnen aufgehoben?

Ja natürlich, das gibt es auch. Für eine kritische, unabhängige Prüfung ist die Rechtsmittelinstanz da.

Es gab zum Beispiel einen Fall, bei dem wir gestützt auf die Akten nicht sicher waren, ob die betroffene (ältere) Person tatsächlich einen Beistand zur Unterstützung benötigt, wie dies die Vorinstanz entschieden hatte. An die Verhandlung kam dann eine rüstige, über 80 Jahre alte Person, die unseres Erachtens ihr Leben problemlos meistern konnte. Es stellte sich heraus, dass sich die persönliche Situation der betroffenen Person zwischen dem Entscheid der ersten Instanz und der Verhandlung vor uns als Rechtsmittelinstanz stark verändert hat. Wir haben dann die Beistandschaft aufgehoben.

Im Kindes- und Erwachsenenschutz haben wir nicht sehr oft einen Grund, das vorinstanzliche Urteil zu ändern. Zum Teil wird auch nur ein Teil des angefochtenen Entscheids geändert. Die vorinstanzlichen Richter arbeiten sehr gut.

Wie gut können Sie sich von emotional belastenden Fällen abgrenzen?

Ich konnte mich bereits, als ich noch an erstinstanzlichen Gerichten tätig war, wo man die Parteien mehrheitlich persönlich an Verhandlungen sieht, von den bearbeiteten Fällen gut abgrenzen. Wenn ich die Akten studiere, berühren mich die Fälle, aber ich kann die Arbeit abends in der Regel im Büro zurücklassen.

Man muss lernen, die Fälle nicht zu nahe an sich heran zu lassen; insbesondere im Familien- und Strafrecht entnimmt man den Akten viele Schicksale oder sieht zum Teil auch schreckliche Bilder. Man beurteilt die Fälle jedoch juristisch nach objektiven und sachlichen Kriterien.

Wie war Ihr Bildungsweg?

Ich habe die Kantonsschule besucht, allerdings mit dem Schwerpunkt Psychologie, Pädagogik und Philosophie mit bildnerischem Gestalten im Ergänzungsfach. Ich habe mich danach für verschiedene Studienrichtungen interessiert und mich dann für ein Studium der Rechtswissenschaften entschieden. Nach dem Studium habe ich Praktika gemacht und danach das Anwaltspatent erworben. Ich habe unter anderem an verschiedenen Bezirksgerichten gearbeitet, bis ich zum Obergericht wechselte.

Weshalb haben Sie vom Bezirksgericht zur oberen Instanz gewechselt?

Mir hat es am Bezirksgericht sehr gut gefallen. Ich wollte aber noch etwas Anderes machen. Ich war vor meinem Wechsel immer überzeugt, dass mir das Obergericht zu ruhig ist, weil hier viel weniger Fälle mündlich verhandelt werden und man selten Kontakt mit der Bevölkerung hat.

Als meine heutige Stelle ausgeschrieben war, hat mich die Kombination des Gerichtsschreiberjobs mit der Aufsichtsbehörde der Kammer für Kindes- und Erwachsenenschutz gereizt. Ich war bereits während meiner Tätigkeit beim Bezirksgericht in den Aufbau der KESB, der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde, involviert, welche im Kanton Aargau bei den Familiengerichten angegliedert ist.

Was beinhaltete diese Arbeit?

Die KESB musste 2013 mit Inkraftsetzung des neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrechts neu aufgebaut werden; statt früher die Vormundschaftsbehörden sind im Kanton Aargau nun die Familiengerichte als Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden für die Beurteilung dieser Fälle zuständig. Es mussten somit interne Abläufe definiert und koordiniert, erste Vorlagen beispielsweise zur Kontaktierung von Betroffenen und Anhörungen erstellt oder der interdisziplinäre Austausch mit den Fachrichtern/ Fachrichterinnen koordiniert werden.

Meine Stelle in der Aufsichtsbehörde ist nun quasi eine Weiterentwicklung. Am Bezirksgericht habe ich für eine KESB bzw. ein Familiengericht diese Arbeiten gemacht und hier koordinieren wir von Seiten der Aufsichtsbehörde die Abläufe und Vorgaben für den ganzen Kanton Aargau.

Die Arbeit im Kindes- und Erwachsenenschutz hat mir schon immer gut gefallen und der Wechsel innerhalb dieses Gebiets in eine andere Position hat mich gereizt. Dieser Teil meiner Arbeit gefällt mir auch heute noch immer sehr gut. Diese projektbezogene Arbeit, die Koordination und der sachbezogene Austausch mit Beiständen, mit Gemeindevertretern, mit anderen Departementen und Fachleuten ist toll, herausfordernd und bringt Abwechslung in den Arbeitsalltag.

Was genau beinhaltet diese Aufsichtstätigkeit?

Unter anderem ist es ein Ziel, die Abläufe im ganzen Kanton soweit möglich zu harmonisieren und eine möglichst einheitliche Praxis zu entwickeln. Diese Abläufe werden zum Beispiel in Kreisschreiben, Weisungen und Empfehlungen für die Familiengerichte, die als KESB tätig sind, festgehalten.

Bei der KESB arbeiten intern Fachrichter und Fachrichterinnen aus den Bereichen Psychologie sowie soziale Arbeit und Juristen/ Juristinnen interdisziplinär zusammen und sind zum Teil auch Revisoren/ Revisorinnen involviert. Aber auch weitere externe Akteure, wie Beistände oder Sozialdienste der Gemeinden, sind beteiligt, wobei sich die Strukturen regional unterscheiden.

Daraus sieht man, dass die Tätigkeit nicht immer einfach zu koordinieren und harmonisieren ist.

Wer bestimmt den Inhalt der Kreisschreiben?

Die Inhalte werden von der Kammer für Kindes- und Erwachsenenschutz bestimmt, aber zum Teil im Rahmen von Arbeitsgruppen vorgängig erarbeitet. Es werden hierfür zum Beispiel auch die Familiengerichte, Beistände oder Gemeindeverbände miteinbezogen. Wir erarbeiten so die Grundlagen, damit eine Empfehlung von Seiten der Kammer für Kindes- und Erwachsenenschutz abgegeben werden kann, welche nachher die Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen Akteuren erleichtert.

Können Sie uns ein Beispiel nennen?

Wir haben geregelt, welches Gemeinwesen zur Tragung der Kosten der Mandatsführung verpflichtet ist und in welchem Zeitpunkt diese Pflicht endet, wenn eine verbeiständete Person den Wohnsitz in eine Gemeinde ausserhalb des bisherigen Bezirks verlegt.

Ein weiteres Beispiel sind die Empfehlungen für die Entschädigung und den Spesenersatz der Beiständinnen und Beistände, welche die in einer Verordnung festgehaltenen Ansätze konkretisieren. Es wurden darin unter anderem Grundpauschalen festgesetzt, die mit der Grundpauschale abgegoltenen Aufgaben und Leistungen bestimmt sowie die dazugehörigen Einteilungskriterien umschrieben. Diese Kriterien sollen sowohl den Beiständinnen und Beiständen wie auch den Familiengerichten als KESB eine Hilfestellung sein und eine transparente Einteilung ermöglichen.

Was gefällt Ihnen an Ihrer Tätigkeit?

Die Vielfältigkeit. Es ist eine attraktive und wertvolle Kombination zwischen der Anwendung von juristischem Knowhow und dem persönlichen Kontakt mit Menschen. Man muss vernetzt denken und gut koordinieren können, es ist nicht jeder Tag gleich wie der andere. Meine Arbeit für die Aufsichtsbehörde ist abwechslungsreich und wird oft auch durch externe Anfragen bestimmt.

Der Beruf Gerichtsschreiber bei der Rechtsmittelinstanz ist demgegenüber viel strukturierter, planbarer und ruhiger. Man hat meistens ein, zwei Fälle, an denen man parallel arbeitet und welche in einer gewissen Zeit erledigt werden müssen. Man wird dabei viel weniger von externen Anfragen unterbrochen.

Bei mir ist das dank der Arbeit für die Aufsichtsbehörde der Kammer für Kindes- und Erwachsenenschutz anders. Ich werde als Ansprechperson wahrgenommen und nehme an externen Sitzungen von Arbeitsgruppen teil. Das gefällt mir – es ist abwechslungsreich und macht mir Spass.

Was gefällt Ihnen weniger?

Es gibt viele Bereiche, in denen ich gerne noch etwas verbessern möchte, gleichzeitig aber merke, dass mir die zeitlichen Ressourcen fehlen. Ich kann daher in der Projektarbeit nicht bei allem so in die Tiefe gehen, wie ich gerne möchte.

Was motiviert Sie?

Mich motiviert, für jemanden eine gerechte Lösung zu suchen – unabhängig vom Rechtsgebiet. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich bzw. wir innerhalb des gesetzlichen Rahmens eine Lösung gefunden haben, die allen Parteien gerecht wird, gefällt mir das. Natürlich, es sind nicht immer alle Parteien einverstanden, aber das gehört dazu.

Für mich ist es wichtig, eine Lösung zu finden, die ich auch nach aussen vertreten kann. Wenn ich ein Urteil schreibe, muss ich vom Ergebnis überzeugt sein. Es gibt natürlich auch juristische Lösungen, die einen nicht befriedigen – das kann sein, weil der rechtliche Rahmen in einem konkreten Fall zu einem stossenden Ergebnis führen kann. Der Gesetzgeber kann nicht jede mögliche Situation voraussehen und entsprechend regeln.

Frustriert Sie das?

Ich habe es erst selten erlebt, aber das gehört dazu. In einem solchen Fall sind dem Gericht die Hände gebunden.

In aller Regel kann ich aber hinter den Urteilen, die ich mitunterschreibe, stehen. Ich glaube, es gab bis jetzt noch kein Urteil, bei dem ich mit der Entscheidung der Richter absolut nicht einverstanden war.

Wie sind die Reaktionen, wenn Sie erzählen, wo Sie arbeiten?

Einzelne reagieren ehrfurchtsvoll, andere denken, dass ich den ganzen Tag im Gerichtssaal Protokolle schreibe. Ansonsten gibt es aber keine aussergewöhnlichen Reaktionen.

Haben Sie nebenberufliche Aktivitäten?

Seit kurzem bin ich Präsidentin des Aargauer Staatspersonalverbandes.

Was hat Sie zu diesem Amt motiviert?

Durch meinen Einsitz in der Personalkommission, in welcher ich seit zwei Jahren die Gerichte vertreten darf, habe ich einen vertieften Einblick, in die zum Teil politischen Prozesse, welche die Mitarbeitenden betreffen, wo die unterschiedlichen Baustellen sind und wo der Schuh bei den Mitarbeitenden drückt. Erfahrungen habe ich aber auch damit gemacht, wie die Vertretung von Mitarbeiterinteressen funktioniert und wie die Abläufe aussehen. Für die Personalkommission hatte ich auch einen Beisitz in der Konferenz Aargauischer Staatspersonalverbände (KASPV), in welcher die Arbeit eine politischere Dimension hat als in der Personalkommission. Ich fand es sehr spannend, dort die Interessen der Mitarbeitenden zu vertreten und selber Inputs geben zu können, auch zu sehen wie die unterschiedlichen Prozesse ablaufen und die Umsetzung von positiven Massnahmen stellvertretend für die Mitarbeitenden zu begleiten und überwachen. Das hat mich dann dazu bewogen, für das Präsidialamt beim Aargauer Staatspersonalverband ASPV zu kandidieren, als ich angefragt wurde.

Und wie entspannen Sie in der Freizeit?

Ich verabrede mich gerne mit Freunden, ich koche sehr gerne und bewirte gerne Gäste bei mir zu Hause. Ich bin sehr gesellig und habe gerne Menschen um mich.

Ich reise ausserdem sehr gern, innerhalb von Europa und wenn ich länger Ferien habe, dann auch weiter weg. Ich mache auch sehr gerne Ausflüge in der Schweiz.

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