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Am 3. März stimmen die Schweizer Stimmbürger*innen über die 13. AHV-Rente ab. Die AHV ist ein äusserst polarisierendes Thema. Die Absicherung gegen die wirtschaftlichen Folgen von Alter ist in der Bundesverfassung verankert und legt die Verantwortung darüber in staatliche Hände. Wie dies erreicht werden soll, ist allerdings umstritten. Öffentliches Personal Schweiz unterstützt die 13. AHV-Rente. Dr. iur. Gabriela Medici vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund nimmt im folgenden Interview Stellung zu kritischen Fragen zum konkreten Lösungsansatz, über welchen abgestimmt wird.
Frau Dr. Medici, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für dieses Interview nehmen.
Weshalb braucht es mehr Rente?
Weil die Rente immer weniger reicht. Personen, die ein Erwerbsleben lang einbezahlt haben, stehen heute unter Druck. Und die Situation spitzt sich zunehmend zu. Aufgrund der Teuerung und des Prämienschocks bei den Krankenkassen. Die Krankenkassenprämien alleine sind in den letzten beiden Jahren um 15 Prozent gestiegen. Das kostet Kaufkraft – heute und morgen. Im Mittel bedeuten die Kostensteigerungen eine Zusatzbelastung von über CHF 6000 Franken im Jahr für Ehepaare. Für Alleinstehende etwas mehr als 3’500 Franken. Das entspricht einer durchschnittlichen Monatsrente! Denn heute ist es so, dass eine Person die 45 Jahre gearbeitet hat, nach der Pensionierung rund 2000 Franken aus der AHV und vielleicht 1500 oder 1700 Franken aus der 2. Säule erhält. Mit Renten in dieser Höhe lässt sich die Existenz nicht angemessen sichern – geschweige denn den bisherigen Lebensstandard halten, wie es die Bundesverfassung verlangt. Denn das sind die Ziele für die Altersvorsorge: der AHV kommt die Aufgabe zu, den Existenzbedarf angemessen zu decken [A.d.R. garantiert durch Art. 111-112 BV und konkretisiert anhand des Grundrechts über die Sozialziele Art. 41 1a und 2 BV]. Und zusammen mit der Rente aus der 2. Säule sollten wir dann den bisherigen Lebensstandard halten können [Art. 113 BV].
Wichtig zu ergänzen ist dabei: es handelt sich nicht nur um ein Problem für die Pensionierten, sondern auch für die Berufstätigen, die in Zukunft in Rente gehen werden. Für sie wird es häufig noch schlimmer. Denn die Renten der Pensionskassen sind seit 2005 real bereits um 13 Prozent gesunken. Die Aussichten sind besorgniserregend. Wer in 10 Jahren pensioniert wird, wird wesentlich weniger Pensionskassen-Rente haben, weil die Vorsorgeguthaben schlechter verzinst werden und die Umwandlungssätze drastisch gesunken sind. Die Rentenlücke, die wir in der Schweiz heute beobachten, wird sich in den nächsten Jahren schmerzhaft vergrössern. Vor allem die Mittelschichtshaushalte stehen im Alter vor immer grösseren finanziellen Herausforderungen.
Weshalb braucht es eine Rentenerhöhung für alle und nicht nur für jene, die finanzielle Schwierigkeiten haben?
Das Problem der zu tiefen und weiter sinkenden Renten schreitet schnell vorwärts. Und wir haben keine Instrumente, welche die Kaufkraftverluste der Pensionierten genügend abfedern. Immer mehr Personen aus dem Mittelstand – nicht nur jene mit tiefen Löhnen – werden zu wenig erhalten aus AHV und der Pensionskasse, um ihren Lebensabend angemessen zu sichern. Das Problem trifft Berufstätige, die nach der Schulzeit einen Lehrabschluss gemacht haben und ein mittleres Einkommen von 6500 Franken pro Monat verdienen – und damit die übergrosse Mehrheit der Bevölkerung. Entsprechend ist es notwendig, für sie alle eine Lösung zu finden. Es entspricht nicht weder den Lebensentwürfen der Menschen noch dem Konzept der Altersvorsorge in diesem Land, dass wir sie in die Sozialhilfe senden. Die erwähnt Monatsrente, die durch die steigenden Kosten wegfällt, fehlt bei allen. Nur diejenigen, die eine gut ausgestattete 3. Säule oder viel Vermögen haben, braucht die staatlich garantierte Altersvorsoge nicht zu kümmern. Doch selbst der Bundesrat ist hier deutlich: neun von zehn Personen in der Schweiz erhalten mehr aus der AHV, als sie je einbezahlt haben. Umgekehrt können es sich dieselben neun von zehn Personen in der Schweiz bereits heute nicht leisten, voll in der 3. Säule anzusparen.
Wurde dieses Problem auf Bundesebene noch nicht erkannt?
Sowohl Bundesrat als auch das Parlament verstecken sich in Sachen Altersvorsorge lieber hinter langfristigen Finanzprognosen der AHV. Dabei äufnet die AHV im Moment zusätzliche Reserven und schreibt Überschüsse in Milliardenhöhe. Auf nationaler Ebene bläst der Wind eher von der anderen Seite. Es werden Leistungen wie die Witwen- und Kinderrente gekürzt oder ganz gestrichen. Auch bei den Ergänzungsleistungen wurde mit der letzten Reform über 400 Millionen gespart, die Auswirkungen werden gerade jetzt spürbar: etwa ein Drittel der Ergänzungsleistungsbezüger*nnen erhalten seit Januar 2024 bis zu 300 Franken weniger Ergänzungsleistungen pro Monat, weil die Übergangsfrist ausgelaufen ist. Die Ergänzungsleistungen hinken jetzt, wo die Reform greift schon wieder den steigenden Krankenkassenprämien und Mietzinsen hinterher. Und der Bundesrat wird bereits im nächsten Jahr eine weitere Abbauvorlage bei der AHV präsentieren, darin will er auch über eine weitere Erhöhung des Rentenalters befinden. Nur unsere Initiative für eine 13. AHV-Rente setzt das Thema der Rentenhöhe überhaupt auf die politische Agenda. Vielleicht denken die PolitikerInnen dann um. Aber ich sehe vor allem viele Kampagnenversprechen im Moment. Konkrete Projekte, wie in absehbarer Zeit die dringend notwendigen Rentenerhöhungen kommen würden, sind keine vorhanden. Die 13. AHV-Rente würde hingegen spätestens 2026 ausbezahlt.
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