Take it Easier

Psychologin Birgit Kleim erforscht, was uns widerstands­ fähiger gegen psychische Belastungen macht und wie wir Stress vorbeugen können. Zum Beispiel indem wir versuchen, negative Situationen positiv umzuwerten.

Soll ich mich aufregen? Da sitze ich pünktlich am Bildschirm, ich habe den Zoom-­Call ge­startet, schaue mir selber ins Gesicht, ziehe ein paar Faxen, blicke auf die Uhr. Der Zeiger springt. Ich schaue im virtuellen Warteraum nach. Niemand da. Ich checke nochmals die Einladung, die Uhrzeit stimmt, unruhig rücke ich auf dem Stuhl hin und her. Ich ertappe mich beim Gedanken «ärgerlich, einen beim Zoom-­Meeting warten zu lassen, ich hätte auch noch anderes zu tun». Blick wieder auf den Bildschirm. Jetzt lächle ich mir zu und ent­spanne mich. Ein paar Minuten Ruhe. Nichts tun. Es ist still. Draussen pfeifen Vögel in der Spätherbst­sonne. Ein paar weisse Wolken ziehen verträumt über den blauen Himmel. Heute ist ein herrlicher Tag. Schwupps, und schon erscheint meine Ge­sprächspartnerin auf dem Screen.

Psychologin Birgit Kleim entschuldigt sich für die kurze Verspätung – und analysiert die Si­tuation kurzerhand. Take it easy. Den Umgang mit Stress kann man nämlich schon im Kleinen üben. Tram verpasst, Essen angebrannt, eine Sitzung fällt aus? Das sind Alltagsstressoren, wie wir sie alle kennen, und sozusagen das perfekte Trainings­umfeld – damit man auch für den grösseren Stress gewappnet ist, erklärt die Psychologin.

Optimisten leben leichter
Kleim, die auch Leiterin des Psychologisch­ Psy­chotherapeutischen Dienstes der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich ist, beschäftigt sich in ihrer Forschung eingehend mit Stress und seiner Bewältigung. Sie will herausfinden, warum gewis­ se Menschen gegenüber psychischen Belastungen widerstandfähiger sind als andere. «Von diesen Menschen gilt es zu lernen», sagt sie. Fernziel sei, diese Fähigkeiten nutzbar zu machen für andere, die weniger gut mit Stress umgehen können, die weniger resilient sind.
Also, bitte nicht aufregen, wenn die Sitzung verspätet beginnt. Eine wichtige – und lernbare – Fähigkeit zur erfolgreichen Stressbewältigung, so hat die Forschung herausgefunden, ist es nämlich, mühsame Situationen nach Möglichkeit locker zu nehmen. Als Optimistin lebt es sich leichter. Der Fachbegriff heisst «positive reappraisal» und meint die positive Umbewertung einer negativen Situa­tion: Ist es wirklich so schlimm, wenn ich das Tram verpasse? Ich könnte es auch anders sehen. Mir wurden ein paar Minuten geschenkt, in denen ich an der Haltestelle wartend beispielsweise mein Beckenbodentraining absolvieren kann. Oder: Das Meeting beginnt verspätet – anstatt mich zu ärgern, könnte ich mich freuen, dass ich dafür noch ein paar fällige Mails beantworten kann. «Es geht darum, eine andere Sichtweise auf die Sache zu finden», sagt Kleim. Oder wie unsere Grossmütter sagten: Man kann eine Flasche als halb leer oder aber als halb voll betrachten.

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