Am 31. Januar 2023 streikten im Kanton Waadt Hunderte Angestellte des öffentlichen Dienstes. Es handelte sich um eine der grössten Protestaktionen seit Jahren. Der Auslöser: Trotz massiver Teuerung wurde ein Teuerungsausgleich von lediglich 1,4% gewährt. Das Bundesamt für Statistik (BFS) wies für das Jahr 2022 eine Teuerung von 2,8% aus. Die öffentlich-rechtlichen (wie auch privatrechtlichen) Arbeitgeber waren im Zugzwang – drohte den Arbeitnehmenden doch bei gleichbleibenden Löhnen ein massiver Verlust der Kaufkraft. Nachdem vom öffentlichen Personal bereits während der Covid-19-Pandemie Ausserordentliches verlangt und auch Ausserordentliches geleistet wurde, war dies nicht hinnehmbar.
Vor diesem Hintergrund beschlossen die meisten Kantone und auch der Bund einen allgemeinen Teuerungsausgleich von 2 bis 3%. Der Kanton Waadt erachtete dies nicht als notwendig und gewährte dem öffentlichen Personal einen Teuerungsausgleich von 1,4%. Einzig die Kantone Bern sowie Ob- und Nidwalden beschlossen einen tieferen Teuerungsausgleich (0,5% [!]).
Entsprechend reagierte das öffentliche Personal im Kanton Waadt und es kam kurz darauf zu Protestaktionen und Streiks. Das Unverständnis über einen derart tiefen Teuerungsausgleich war gross. Eine Antwort der Politik blieb hingegen aus. Die Personalverbände sahen sich daher gezwungen, erneut zum Streik aufzurufen. Es war der dritte Aktionstag innert weniger Wochen.
Hunderte Lehrpersonen folgten am 31. Januar 2023 dem Aufruf. Kantonsweit mussten diverse Schulen den Unterricht einstellen. Auch das Pflegepersonal sowie Angehörige des kantonalen Polizeikorps waren beteiligt. Insgesamt nahmen rund 2100 Angestellte des öffentlichen Dienstes am Streik teil. An der anschliessenden Protestkundgebung vor dem Kantonsparlament und dem Regierungssitz waren gar rund 10 000 Personen anwesend.
Trotz der grössten Protestaktion des öffentlichen Personals seit dem Widerstand gegen die Pensionskassenreform im Jahre 2013 blieb der Kanton Waadt stur. Die Regierungspräsidentin verwies auf eine einmalig ausgerichtete Prämie für Angestellte des öffentlichen Dienstes und ferner auf die weiteren Massnahmen gegen die Teuerung, die der Bevölkerung zugutekämen. Eine weitere Berücksichtigung der Teuerung sei erst für die Lohnverhandlungen im Herbst vorgesehen. Momentan seien jedoch Verhandlungen über andere Themen traktandiert, etwa betreffend die Bekämpfung von Mobbing und Belästigung am Arbeitsplatz, die Lohngleichheit, die Nachtarbeit und der Schutz von Whistleblowern.
Das öffentliche Personal im Kanton Waadt gab sich mit dieser Antwort nicht zufrieden und kündigte weitere Protestaktionen an. Zu Recht: Wird dem öffentlichen Personal grundlos lediglich die Hälfte der effektiven Teuerung entschädigt, sind Protestaktionen mehr als legitim. Der Verweis auf Verhandlungen betreffend andere (ebenfalls essenzielle) Themen ändert daran nichts.
Urs Stauffer,
Präsident Öffentliches Personal Schweiz