Die Renten der beruflichen Vorsorge stehen seit geraumer Zeit unter Druck. Der Hauptgrund dafür ist, dass die Menschen heute deutlich länger leben und sich damit die durchschnittliche Bezugsdauer der Pensionskassenrenten seit der Einführung des BVG im Jahre 1985 bei den Männern nahezu verdoppelt und bei den Frauen um ca. 1/3 erhöht hat. Die oft zitierte schwierige Lage an den Kapitalmärkten schwankt in unterschiedlichen Zyklen unterschiedlich heftig nach oben und unten. Bis vor Corona durften viele attraktive Jahre verzeichnet werden, die aktuelle Lage ist etwas schwieriger. Aber das wird sich wieder ändern, wie dies seit 100 Jahren immer wieder der Fall ist.
Diese Schwankungen an der Börse dienen verschiedenen Interessensgruppen zur Ausrede gegen langfristig tragende Lösungen. Oder sie werden schlussendlich dazu missbraucht, angehenden Rentnerinnen und Rentnern den Kapitalbezug bei ihrer Pensionskasse als «attraktiv» schmackhaft zu machen. Oft unter höchst fragwürdigem Einsatz von Finanzkennzahlen, die die Laien nicht verstehen. Zum Beispiel mit einem Hinweis auf die durch den Bezug massiven Steuereinsparungen. Dies lässt den Bezug der Pensionskassen-Spargelder als sinnvolle Lösung erscheinen. Denn nur so kann die Beratungsindustrie aus der Bratung Kapital schlagen, nur die Anlage von Kapital bringt den Beratern Einnahmen.
Meist empfehlen diese denn auch nur eine «Lösung» mit einem Kapitalverzehr, was bedeutet, dass z.B. ab dem 85 Lebensjahr keine Gelder mehr vorhanden wären. Da wäre das Belassen eines Teils des Kapitals in der Pensionskasse vermutlich intelligenter gewesen, denn die Pensionskassen sind verpflichtet, die Renten lebenslänglich auszuzahlen. Mit der Auszahlung des Pensionskassenkapitals laufen die Menschen Gefahr, sich im Alter nur noch mit der AHV-Rente (und den dann zusätzlich zu beantragenden Ergänzungsleistungen) begnügen zu müssen. Das betrifft insbesondere genau die Menschen mit geringen bis mittleren Einkommen. Und damit nicht nur, aber einmal mehr besonders stark die Frauen. Deshalb ist die Zukunft der Finanzberatung eine Beratung auf der Basis eines eigenen Vorsorge-, Finanz- und Lebensplanes.
Daran ändert auch die geplante Revision des Beruflichen Vorsorge Gesetzes (BVG) nichts. Bei dieser ist zwar nicht alles schlecht, aber insgesamt sind die Ansätze ungenügend.
Der fixe BVG-Koordinationsabzug von aktuell Fr. 25‘725 wird zu Gunsten eines Abzuges von 20% des AHV-Lohnes (auch Bruttolohn) abgeschafft. Ein guter Ansatz, der dafür sorgt, dass auch Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen mehr für ihre Vorsorge tun. Schade nur, dass das Vorsorgesparen in der 2. Säule immer noch erst mit 25 Jahren beginnt, bei der AHV sind Beiträge ab 21 Jahren zu leisten. Allein der frühere Beginn würde die Finanzierung stark verbessern und die Renten könnten länger kostendeckend ausbezahlt werden.
Gewisse Arbeitgeber werden sich weiterhin um ihre Beiträge drücken
Die Eintrittsschwelle für Arbeitnehmende in die berufliche Vorsorge (Pensionskasse) soll von CHF 22‘050 auf CHF 19‘845 reduziert werden. Damit sollen gemäss diversen Publikationen rund 100‘000 Personen profitieren können. Diese Personen erhalten damit neu Zugang zur beruflichen Vorsorge und profitieren von Altersrenten. Auf dem Papier mag das zutreffen. In der Praxis werden vermutlich all jene Arbeitgeber, welche schon bisher Menschen mit geringem Einkommen oder geringem Arbeitspensum beschäftigt haben, damit sie sich Pensionskassenbeiträge sparen können, Wege suchen, das auch in Zukunft zu vermeiden. Hier gilt es, genau auf die Arbeitsverhältnisse zu schauen und Missbräuche zu verhindern.
Rentenzuschlag für die Übergangsgeneration – tönt gut, die meisten Betroffenen sind aber Verliererinnen und Verlierer
Die Übergangsgeneration (15 Jahre nach Einführung) soll mit einem Rentenzuschlag getröstet werden. Hier wäre die Bezeichnung «Trostpflästerli» ziemlich treffend. Nur ca. 1/6 aller Betroffenen hätte mit der BVG-Reform eine ganz kleine Verbesserung oder wenigstens den Besitzstand gewahrt (wenn man die Inflation nicht berücksichtigt), alle anderen sind Verliererinnen und Verlierer.
Abflachung der Altersgutschriften – ein kleiner Hoffnungsschimmer
Bisher galt die Beschäftigung von «alten» Arbeitnehmer als teuer, weil deren Altersgutschriften (die Abzüge vom Lohn für die Pensionskasse) bei 18% liegt. Ein wichtiger Grund, dass älter Menschen keine Arbeit mehr fanden. Die BVG-Reform sieht eine Vereinfachung und Abflachung der Altersgutschriften vor. Neu soll für Versicherte im Alter von 25 bis 44 Jahren einheitlich eine Altersgutschrift von 9 Prozent und im Alter von 45 bis 65 Jahren von 14 Prozent des BVG-pflichtigen Lohnes gelten. Damit finden Arbeitslose über 50 Jahre vielleicht einfacher den Weg ins Arbeitsleben zurück. Hier braucht es unseres Erachtens weitere begleitende Massnahmen, die älteren erfahrenen Arbeitnehmenden Wiederanstellungs-Perspektiven bieten, sonst bleiben sie für die Arbeitgeber weiterhin «alt und teuer».
Die Altersvorsorge muss stabilisiert und nachhaltig ausgestaltet werden
Die Reform der Altersvorsorge ist ein zentrales Zukunftsprojekt für die Schweiz. AHV und BVG müssen rasch finanziell stabilisiert und nachhaltig ausgestaltet werden tönt es Landauf und Landab. Mit der vorliegenden Lösung wird dies nicht möglich sein.
Um die Altersvorsorge zu stabilisieren, muss sich jeder bewusst sein: Es gibt nichts gratis im Leben! Irgendjemand zahlt immer für die Mehrkosten. Die vorliegende Revision ist keine Lösung, ist nichts Halbes und nichts Ganzes.
Der Politik bleiben im Endeffekt nur zwei Möglichkeiten, sie scheut sich einfach, dem Stimmvolk reinen Wein einzuschenken:
1. Man finanziert die AHV anders, z.B. man erhöht die Abzüge für die AHV-Beiträge vom Lohn, das bedeutet weniger Geld im Portemonnaie für die Lebenshaltungskosten, im Gespräch sind 0,7% des Lohnes. Oder man erhöht die Mehrwertsteuer und finanziert damit die AHV direkt von «aussen», was das Haushaltsbudget von allen erhöht. Im Endeffekt wird auch dieses Geld für die Vorsorge und nicht für Freizeit, Ferien und Lebenshaltungskosten zur Verfügung stehen. Ähnlich würde das bei der Pensionskasse erfolgen müssen.
2. Der Gesetzgeber flexibilisiert das Rentenalter und bietet Rentenmodelle an, die allen Arbeitnehmenden ermöglichen, zu entscheiden, ob sie länger arbeiten oder früher aussteigen und die damit verbundenen Auswirkungen auf die eigene Rente dann auch in Kauf nehmen wollen.
3. Der Sparprozess muss früher beginnen (z.B. 21 Jahre) und Schlupflöcher für besonders «Schlaue» müssen geschlossen werden (z.B. mit Eintrittsschwelle bei CHF 2’300 wie bei AHV).
Diese Reform ist nicht konsequent genug, es braucht mehr Wissen des Stimmvolks über die Möglichkeiten und die Vorsorge-Realität, damit die Zusammenhänge der Rentensituation besser verstanden werden und damit bewusster entschieden werden kann. Es braucht bei der vorliegenden Reform ein wuchtiges NEIN an der Urne, um den Weg frei für eine offene Debatte und die Suche nach einer für alle tragfähigen Lösung zu machen.
Robert Mazenauer, Vorsorgeexperte VVK AG, Teufen