WELT AUS DEN FUGEN

Solidarität, diese wankelmütige Gefährtin

«Wenn sich alle Individuen einer Art immer uneigennützig verhielten, würde sie aussterben. Deshalb ist es ein evolutionäres Wunder, dass wir Menschen kooperieren.»

Heiko Rauhut, Soziologe

 

Solidarisch zu sein, ist ein mentaler Kraftakt. Nicht nur aus der Sicht des Psychologen, sondern auch aus der des Soziologen. Denn Solidarität, eine Form von Kooperation, verlangt uns Opfer ab, jedem Einzelnen, im Interesse des Gemeinwohls. Das Problem dabei: Die Opfer erscheinen dem Einzelnen relativ gross, etwa wenn er darauf verzichten soll, in die Ferien zu fliegen, um das Klima zu schonen, während der tatsächliche Beitrag an die Verminderung der Klimaerwärmung nur marginal ist.

«Jeder macht für sich eine Güterabwägung zwischen dem Opfer, das er oder sie bringen muss, und dem Nutzen, der dadurch gestiftet wird», sagt Soziologieprofessor Heiko Rauhut. Das kann dazu führen, dass uns der Preis als zu hoch erscheint und wir nicht mitmachen. Doch Wirkung entfaltet der individuelle Verzicht erst, wenn er von vielen geleistet wird. Eine weitere potenziell problematische Eigenschaft von Solidarität ist ihre Interdependenz, ihre Abhängigkeit vom Verhalten der anderen. Menschen sind bereit, solidarisch zu sein. Doch ob und in welchem Ausmass, hängt stark davon ab, wie sich der Rest der Herde verhält. Rauhut: «Wir beobachten die anderen: Wenn sie sich an die Regeln halten, sind wir bereit, das auch zu tun.»

Umgekehrt gilt: Wenn sich die anderen drücken, werden wir auch nicht solidarisch sein. «Deshalb sind Vorbilder wichtig», sagt Rauhut, «die Aufrufe von Prominenten, wegen Corona zu Hause zu bleiben, waren sicher hilfreich.»

Gegen unsere Natur

Weniger hilfreich hingegen ist, wenn man einen wie Trump als Leithammel hat, der mit seinem Verhalten und seinen Tweets alle gut gemeinten Appelle unterminiert. Denn die Bereitschaft zur Kooperation, auf der Solidarität beruht, ist ein fragiles Pflänzchen, auch weil sie eigentlich unserer Natur widerspricht, wie Rauhut erklärt: «Solidarisch zu sein, bedeutet, anderen etwas zu geben, das man selber gut gebrauchen könnte.» Früher war das vielleicht ein Stück fettes Fleisch, in den Zeiten von Corona ist es der Verzicht auf Geselligkeit – auch ein existenzielles menschliches Bedürfnis. Wegzugeben, was man selber braucht, ohne dafür eine Gegenleistung zu erhalten, ist ein Luxus, den wir uns eigentlich gar nicht leisten können. «Wenn sich alle Individuen einer Art immer uneigennützig verhielten, würde sie aussterben.» Deshalb, so Rauhut, ist es ein «evolutionäres Wunder, dass wir Menschen kooperieren».

Was wir aus der Krise lernen

Gemeinsame Ziele verbinden

Solidarisch zu sein, ist eigentlich gegen unsere Natur. Trotzdem hat die Corona-Krise gezeigt, dass wir ein gemeinsames Ziel erreichen können, wenn wir bereit sind, zum Wohle aller vorübergehend auf die Befrie­digung unserer Bedürfnisse zu verzichten.

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