Geldadel und Glückspilze

Reich werden

Doch was ist rückblickend aus den revolutionären Idealen geworden? «Die Vorstellung der Trennung von ökonomischer und politischer Macht bleibt nach wie vor ein Ideal, allerdings ein oft unerreichtes», sagt Simon Teuscher dazu, «denn wer Geld hat, kann die Politik beeinflussen.» Das zeigen etwa die Wahlkampfspenden der Superreichen in den USA, die eine enorme Wirkung haben. Das bedeutet: Wer reich ist, hat nach wie vor ganz andere Möglichkeiten auch in der Politik.

Der richtige «Stallgeruch»

Über Kapital zu verfügen, war während der letzten 200 Jahre Ausdruck von Reichtum. Und heute? «Heute stellt sich die Frage, wie viel Kapital es noch braucht, um in die Produktion zu investieren, und ob nicht Bildung und der Zugang zu spezifischem Know-how die entscheidenderen Ressourcen werden. Wobei auch bei deren Erwerb die Herkunftsfamilien eine grosse Rolle spielen», sagt Teuscher. Zum erfolgreichen Know-how würde beispielsweise die Fähigkeit gehören, intelligente Algorithmen zu schreiben, wie jene von Google oder Facebook. Interessant sei, so Teuscher, dass im digitalen Zeitalter besonders einträgliche Industrien oft gar nicht mehr so viel Kapital benötigten. «Gefragt sind vor allem gute Ideen.» Wie etwa jene von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, der Menschen ermöglichen wollte, sich digital zu vernetzen. Wer hätte gedacht, dass daraus ein Milliardenunternehmen werden könnte?

Aus erfolgreichen Ideen wird wieder Kapital, das dann weitervererbt oder eingesetzt werden kann, um die Kinder an die richtigen Schulen zu schicken und sich in die massgeblichen sozialen Kreise einzukaufen. Denn vererbt werden nicht nur Geld, Aktien oder Immobilien, sondern auch das soziale Kapital. Dieses ist genauso wichtig wie das reale. Denn die Erfolge von Christoph Froschauer, Jeff Bezos (Amazon), Marc Zuckerberg (Facebook) oder Larry Page und Sergey Brin (Google), die grosse Firmen aus dem Nichts aufgebaut haben und diese heute leiten, sind eigentliche Tellerwäschergeschichten und damit die Ausnahme von der Regel, wie Katja Rost festhält: «Rund 80 Prozent der CEOs kommen aus dem Grossbürgertum.» Sie schaffen es auf Spitzenpositionen nicht (nur) wegen ihrer Ausbildung oder ihrem Talent, sondern vor allem auch, weil sie den richtigen «Stallgeruch» haben. «Wer in einem reichen Elternhaus aufwächst, weiss, wie man sich in diesen Kreisen bewegt», erklärt Rost. Das ist beim Bewerbungsgespräch ein Vorteil: die angemessene Kniestrumpflänge, das passende Einstecktuch, die richtigen Hobbys, Golf, Segeln, Violine spielen.

Gute Gene

Wer sich in der gleichen Schicht bewegt, kann diese sozialen Codes richtig interpretieren. Und dann gilt: Gleich und Gleich gesellt sich gern. Das trifft für den Arbeits- genauso zu wie für den Heiratsmarkt, wo die Reichen und Schönen Reiche und Schöne heiraten. «Wer Geld hat, kann sich in einen guten Genpool einkaufen, auch wenn er selbst nicht attraktiv ist», sagt Rost, und verweist auf Donald Trump, der, obwohl selbst kein schöner Mensch, doch ganz ansehnliche Frauen heiraten konnte und deshalb ganz ansehnliche Kinder habe. Trump sei ein Beispiel für das Matthäus-Prinzip, sagt Rost: «Wer hat, dem wird gegeben.» Der US-Präsident hat ein Vermögen geerbt und damit sein genetisches Kapital geäufnet, indem er sich mit schönen Frauen fortpflanzen konnte. Für seinen Nachwuchs dürfte das kein Nachteil sein, denn wer gut aussieht, ist erfolgreicher – beruflich und privat. Der Zufall spielt nicht nur bei Neugründungen, sondern auch beim Erfolg von etablierten Unternehmen und ihren Managern eine viel grössere Rolle, als wir glauben, betont Rost: «Glück oder glückliche Umstände erklären einen Grossteil der Leistungsunterschiede bei Unternehmen und Individuen.» Das belegt die aktuelle Management-Forschung, etwa von Chenwei Liu, Professor an der University of Warwick, mit dem Rost zusammengearbeitet hat.

Doch weder die Manager noch jene, die sie auswählen und anstellen, sind sich bewusst, welch gewichtige Rolle der Zufall spielt. Deshalb werden erfolgreiche Unternehmensführer gerne heroisiert und neigen zur Selbstüberschätzung. Die Folgen können fatal sein. Rost nennt als Beispiele riskante (Fehl-)Investitionen und überzogene Lohnforderungen, die mit den herausragenden Fähigkeiten und Erfolgen der Spitzenmanager gerechtfertigt werden. «Wenn es ein Bewusstsein dafür gäbe, dass ein schöner Teil des Erfolgs äusseren Umständen, das heisst eben Glück und Zufall geschuldet sind, wären die exorbitanten Gehälter nicht mehr zu rechtfertigen», sagt Rost. Eine Möglichkeit, die Hybris der Chefs zu dämpfen, wäre, im Auswahlverfahren ein Zufallselement einzuführen. Konkret schlägt Rost vor, bei der Besetzung von Chefposten das partielle Losverfahren einzusetzen (siehe Kasten).

Etwas mehr Bescheidenheit würde auch den Chefs im realen Leben gut anstehen, findet Rost. Profitieren davon würden die Unternehmen und die Mitarbeitenden, die auf eine fairere Verteilung der finanziellen Mittel hoffen können, wenn der oberste Chef etwas weniger von seiner eigenen Unverzichtbarkeit überzeugt ist. Solche Losverfahren für die Besetzung von Spitzenposten können die Chancengleichheit erhöhen und die Chefs bescheidener machen. An der grundsätzlichen Dynamik des Reichwerdens und Reichleibens dürfte das nichts ändern: Wer hat, dem wird gegeben.

Quelle: Erschienen im UZH Magazin Nr. 3/2019

 

Neue Bescheidenheit

 

Chef per Los

Spitzenposten in Wirtschaft und Gesellschaft sollten per Los vergeben werden, schlägt Soziologin Katja Rost vor.

Im 17. Jahrhundert steckte die Universität Basel, die älteste der Schweiz, in der Krise: Die Studentenzahlen halbierten sich und der Lehrkörper bestand fast nur noch aus Vertretern einheimischer Gelehrtenfamilien, die sich die Professuren gegenseitig zuschanzten. Schliesslich war die Misere so gross, dass der Vorschlag zur Remedur von den Gelehrten selbst kam. Geistliche und Professoren der Universität schlugen dem Grossen Rat der Stadt Basel 1714 vor, neue Professoren per Los zu wählen, mit der Begründung, das Los sei jenes Mittel, das «keine Persohn ansihet, sich an keine Parthen hänket, das sich durch kein Flattiren und Versprechung gewinnen, durch keine Drohung der Gewaltigen erschrecken lässt».

Der Vorschlag wurde in die Tat umgesetzt. Während 100 Jahren, von 1718 bis 1818, wurden die Professuren an der Universität Basel per Losentscheid vergeben, mit einem zweistufigen Verfahren. Zuerst mussten die Bewerber eine schriftliche Abhandlung über ihr Fach einreichen und einen öffentlichen Probevortrag halten. Wer diese Hürde erfolgreich meisterte, kam in den Pool wählbarer Kandidaten. Falls nötig wurde daraus in einem zweiten Schritt, durch eine «vernünftige Wahl», eine Dreierliste.Aus dieser wurde dann per Los der neue Professor erkoren.

Katja Rost hat diese «Wahl zu Dreyen» in Basel untersucht und zum Ausgangspunkt einer Laborstudie gemacht (in Zusammenarbeit mit dem Soziologen Joël Berger und der Ökonomin Margit Osterloh). Im Laborexperiment wurden Studierende in die Rolle von Managern versetzt, die darüber entscheiden mussten, wie eine zur Verfügung stehende Lohnsumme zwischen ihnen selbst und den Mitarbeitenden aufgeteilt werden sollte. Jene Studierenden/Manager,die durch eine konventionelle Leistungswahl zu ihrer Position kamen, behielten einen wesentlich grösseren Teil der Summe für sich selbst als jene, die in einem partiellen Losverfahren ausgewählt wurden und sich deshalb bewusst waren, dass sie ihre Position nicht nur ihrer Leistung, sondern auch dem Zufall verdankten. Das machte sie bescheidener.

Für Rost hat das partielle Losverfahren drei Vorteile: Es macht jene Bescheidener, die schliesslich gewählt werden; es verhindert bis zu einem gewissen Grad Mauscheleien; und es dämpft Verzerrungen. Denn oft sind die Unterschiede zwischen den Bewerberinnen und Bewerbern, die es in die engere Auswahl schaffen, marginal, weshalb bestimmte Eigenschaften wie beispielsweise das Geschlecht oder das Alter einen zu grossen Stellenwert erhalten. Rost hat das selbst erfahren, als sie sich um eine Professur bewarb. Sie landete mehrfach auf einem der ersten drei Plätze, doch meist wurde ihr ein älterer, erfahrener Mann vorgezogen. «Mit der Wahl per Los hätte ich wohl früher eine Professur erhalten», sagt sie und lacht, «doch dann wäre ich jetzt nicht hier.»

Wichtig sei, sagt Rost, dass das Verfahren zweistufig sei: Zuerst müssen geeignete Kandidatinnen und Kandidaten ausgewählt werden, dann erst entscheidet das Los. So wird sichergestellt, dass der Posten an eine kompetente Person vergeben wird. Die Wahl per Los könnte bei der Besetzung von Spitzenpositionen in Wissenschaft und Wirtschaft eingesetzt werden oder auch bei der Vergabe von politischen Ämtern.

Thomas Gull

 

 

Katja Rost

Die Professorin für Soziologie an der UZH erforscht
wie die Auswahlverfahren von Managern verbessert werden können.
rost@soziolgie.uzh.ch

 

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