Geldadel und Glückspilze

Reich werden

Reichtum ist zwiespältig: Er fasziniert uns, viele träumen davon, reich zu sein. Gleichzeitig kann Reichtum dubios sein, etwa wenn er auf zweifelhafte Weise erworben wurde. Reichtum kann man protzig zur Schau stellen und man kann ihn ostentativ verschwenden. Oder man kann ihn nutzen, um Gutes zu tun, indem man anderen hilft oder einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leistet. Wie aber wird man reich und erfolgreich? Dank Glück und Zufall, sagt die Soziologin Katja Rost. Indem man erbt, ergänzt der Historiker Simon Teuscher.

Vom Tellerwäscher zum Millionär – ein abgegriffenes Klischee. Doch es bringt auf den Punkt, woran unsere meritokratische bürgerliche Gesellschaft immer noch glaubt: dass man es mit Fleiss und Willen zu etwas bringen kann. Emsigkeit ist sicher nicht abträglich, wenn es darum geht, Erfolg zu haben. Weit wichtiger sind jedoch zwei andere Faktoren: Glück und Zufall, sagt die Soziologin Katja Rost. Dies zeigt auch Forschung, die untersucht, weshalb Unternehmer erfolgreich sind. Das Fazit: «Erfolgreiche Unternehmer waren zur richtigen Zeit mit der richtigen Idee am richtigen Ort.» Mit anderen Worten: Sie hatten das Glück des Zufalls.

Das gilt nicht nur für die Gründer der neuen digitalen Unternehmen wie Amazon, Google oder Facebook. Rost nennt auch historische Beispiele wie die Zürcher Buchdruckerei Orell Füssli, die dieses Jahr ihr 500-jähriges Bestehen feiert. Als Gründer der Druckerei gilt der bayrische Immigrant Christoph Froschauer, der 1515 als Geselle in die kleine Werkstatt von Hans Rüegger nach Zürich kam. Rüegger starb und der Geselle Froschauer heiratete die Witwe. Glück des Zufalls, erster Teil. Froschauer übernahm die Druckerei und wurde 1519 Bürger der Stadt Zürich. Das ermöglichte ihm, Druckaufträge der Stadt zu erhalten.

Bibel als Bestseller

Der grosse Durchbruch gelang ihm, wie vielen anderen Druckern im deutschsprachigen Raum, dank der Reformation. Froschauer druckte die Werke von Luther, vor allem aber die von Zwingli. Dazu gehört Zwinglis Übersetzung der Bibel ins Deutsche. Zwinglis Schriften waren in der damaligen Zeit Bestseller und halfen Froschauer, ein erfolgreiches Unternehmen aufzubauen. Glück des Zufalls, zweiter Teil. Das Druckereigewerbe war damals eine noch junge Industrie, die auf einer neuen Technologie beruhte wie heute das Internet, das die Basis für die digitale Industrie bildet. Froschauer war ein unternehmerischer Glückspilz, vergleichbar mit den heutigen Silicon-Valley-Boys, die zur rechten Zeit mit der richtigen Idee am richtigen Ort waren.

(Erfolg-)Reich kann man wie Froschauer durch glückliche Umstände werden. Noch einfacher ist es jedoch, wenn man in eine reiche Familie hineingeboren wird – auch das nach dem Glück-des-Zufalls-Prinzip. Im Gegensatz zum unternehmerischen Glück des Zufalls, das sich einstellen kann oder auch nicht, ist die Gnade des Reichtums durch Geburt eine Konstante, sagt Mittelalterhistoriker Simon Teuscher: «Wer reich ist, wurde meist reich geboren. Je nach Weltgegend und Epoche gibt es unterschiedliche Wege zum Reichtum. Was jedoch erstaunt, ist die fortwährende Bedeutung des Erbens.» Lange wurde vermutet, mit der Marktwirtschaft werde die Leistung wichtiger, wenn es darum geht, reich zu werden. «Doch», so Teuscher, «diese Annahme wird heute auch von vielen Wirtschaftswissenschaftlern in Frage gestellt.»

Verändert haben sich im Lauf der Zeit die Quellen des Reichtums: Im Frühmittelalter war vor allem reich, wer über Arbeitskräfte wie Sklaven, Leibeigene oder Hörige verfügte. Im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit war reich, wer grosse Ländereien besass. Mit der industriellen Revolution wurde dann das mobile Kapital, das in Maschinen und Fabriken investiert werden konnte, zu einer neuen Basis von Wohlstand.

Mit den Quellen des Reichtums veränderte sich auch die Vorstellung davon. Im Mittelalter waren Reichtum und Macht eng verschränkt – wer reich war, der Kaiser und der Hochadel, war auch mächtig und umgekehrt. «Auf Mittelhochdeutsch bedeutet ‹rich› mächtig und vornehm», sagt Simon Teuscher. «In der Moderne wurde dann versucht, Reichtum von (politischer) Macht zu trennen.» Das war das grosse Projekt der Amerikanischen und der Französischen Revolution. Die beiden bürgerlichen Revolutionen schafften die feudalen Vorrechte ab. Und sie entkoppelten «zumindest vordergründig», so Teuscher, die politische Macht von der ökonomischen. «Man könnte das auf die Formel bringen: Politisch sind alle gleich, ökonomisch aber nicht. Politische Ungleichheit ist schlecht, ökonomische vertretbar», sagt Teuscher.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.