Der Hummer im Hirn

Alzheimer – Was neue Medikamente können

Seit Jahren wird weltweit nach einem Heilmittel gegen Alzheimer gesucht. Roger Nitsch und sein Team haben es gefunden. Es heisst Aducanumab und ist ein menschlicher Antikörper mit zielgenauer Wirkung.

Wem es gelingt, seine Forschungsresultate im Wissenschaftsmagazin «Nature» zu platzieren, hat allen Grund zum Feiern. Besonders dann, wenn das renommierte Blatt das Thema zur Titelstory macht. «Targeting Amyloid» war in fetten ettern auf dem Umschlag der ersten Septembernummer 2016 zu lesen. Amyloid im Visier: Genau dies hatten Roger Nitsch, sein Institutskollege Christoph Hock und Hunderte anderer Forscherinnen und Forscher seit der Jahrtausendwende. Und nun treffen sie mitten ins Schwarze.

Amyloid ist ein Protein, dessen Vorstufen am Aufbau des menschlichen Gehirns beteiligt sind. Hat Amyloid seine Pflicht getan, setzt es sich zur Ruhe und wird für den Körper zur Last. Denn das Protein bildet Fäden oder Fibrillen, die allmählich verkrusten, sich als Plaques im Hirn ablagern, Synapsen verstopfen und Hirnzellen zerstören. «Wir besitzen zwar Enzyme mit Scherenfunktion, welche die Amyloid-Proteine stets wieder durchtrennen», sagt Roger Nitsch, «diese Enzyme werden mit zunehmendem Alter aber schwächer, und wenn wir Mitte fünfzig erreichen, schaffen sie die Arbeit oft nicht mehr ausreichend gut.»

Die Persönlichkeit verlieren

Damit beginnt bei vielen Menschen die Alzheimer-Krankheit. Die Amyloid-Ablagerungen achsen, immer mehr Hirnzellen sterben. Roger Nitsch deutet auf die computertomographische Aufnahme eines menschlichen Gehirns: Anstelle des Hippocampus klafft ein Loch, nur noch rund ein Zehntel der Hirnmasse ist hier sichtbar. «Diese Patientin ist dement und rund um die Uhr pflegebedürftig», erklärt Nitsch, «an Alzheimer stirbt man zwar nicht direkt, aber man verliert seine Persönlichkeit.» Wortfindungsstörungen, Orientierungsprobleme und ein schlechtes Kurzzeitgedächtnis sind die ersten Anzeichen von Altersdemenz. Verstärken sie sich innerhalb von sechs Monaten merklich, besteht der Verdacht auf Alzheimer. Zu diesem Zeitpunkt sind die ersten Amyloid-Ablagerungen im Hirn bereits 10 bis 15 Jahre alt – so lange dauert es vom Beginn der Krankheit bis zu den ersten klinischen Symptomen.

Die Idee, Amyloid-Ablagerungen mit Antikörpern zu bekämpfen, ist nicht neu. Erste klinische Tests mit Impfungen Ende der 1990er-Jahre schlugen allerdings fehl: Die Patienten erkrankten an Hirnhautentzündung – die zelluläre Impfreaktion hatte am falschen Ort angegriffen. Roger Nitsch und sein Team entwickelten daraufhin eine neue Denkweise und nannten sie Reverse Translationale Medizintechnologie. «Wir wollten sozusagen einen Schritt zurück gehen und vorerst verstehen, wie das menschliche Immunsystem auf Amyloid reagiert», sagt Nitsch. Denn im Grunde genommen, so überlegten die Zürcher Forscher, müsste unser Immunsystem die schädlichen Strukturen selbst erkennen und entsprechend handeln.

Als Informanten nutzten Nitsch und sein Team sogenannte B-Gedächtniszellen. Sie patrouillieren durchs Blut und speichern sämtliche Immunreaktionen, denen sie begegnen. «Wir mussten also die B-Gedächtniszellen nach jenen Antikörpern fragen, die wir suchten», sagt Nitsch. So stiessen die Forscher auf B-Zellen, die den genetischen Bauplan für einen monoklonalen – also gezielt agierenden – Antikörper enthielten. Dieser Antikörper war zudem imstande, die Blut-Hirn-Schranke zu durchbrechen; gewöhnlich werden Antikörper aus dem Kopf verbannt und in den Körper zurückgepumpt. Dieser Antikörper aber blieb vor Ort, band an die Amyloid-Plaques und tat seine Arbeit.

Roger Nitsch zeigt ein Video, das den Vorgang schildert und Einblick in den faszinierenden Mikrokosmos des menschlichen Gehirns gewährt: Die hummerförmigen Antikörper klammern sich mit ihren Zangen an den Amyloid-Fäden fest, die sich wie ein dichtes Netz über die Gehirnzellen spannen. Mit ihrem Schwanzstück rufen die winzigen Häscher sodann ein Trüppchen lokaler Profikiller zu Hilfe: Microglia. Diese höchst agilen Fresszellen, zuständig für die Immunabwehr im zentralen Nervensystem, machen sich über die Fibrillen her und bringen sie zum Verschwinden.

Nitsch und sein Team tauften den Antikörper Aducanumab. Der Name ist nicht einer Laune entsprungen, sondern gehorcht wissenschaftlichen Regeln der Nomenklatur. So werden Antikörper stets mit der Endung «ab» bezeichnet, und die drei Buchstaben «n», «u» und «m» stehen zwingend für Hirn, Mensch und monoklonal. «Nur der vordere Teil des Namens ist frei erfunden», erklärt Roger Nitsch: Hinter der Buchstabenfolge «Aduca» verstecken sich der «Fundort» Zuerich «u», die Partnerfirma Biogen in Cambridge «ca» sowie die Initialen der ersten Alzheimer-Patientin der Medizingeschichte, Auguste Deter.

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