DIE DEBATTE UM DIE BEZAHLUNG DER UMKLEIDEZEIT

Zahlreiche Arbeitgeber schreiben das Tragen von Arbeitskleidung vor, sei es zu Hygienezwecken, zum Gesundheitsschutz oder aus Sicherheitsgründen. Das Tragen der Arbeitskleidung erfolgt grundsätzlich im Interesse des Arbeitgebers. Trotzdem gilt die Umkleidezeit vielerorts bislang nicht als bezahlte Arbeitszeit. Dementsprechend wird die Umkleidezeit – trotz betrieblicher Verpflichtung zum Tragen spezieller Arbeitskleidung – nicht entschädigt. Diese Praxis wird nun zunehmend kritisiert und wirft auch rechtliche Fragen auf.

Die Gewerkschaften fordern es schon lange: Umkleidezeit müsse als Arbeitszeit gelten und sei angemessen zu entschädigen. Denn das Umkleiden vor und nach der Arbeit kostet Zeit und geht oft zu Lasten der Angestellten. Angestellte des Spitalverbands Limmattal gaben der Debatte um die Umkleidezeit noch mehr Aufwind und forderten bis vor Bundesgericht eine entsprechende Entschädigung. Im Fokus standen bislang hauptsächlich die Spitäler. Die Debatte trifft aber auch zahlreiche andere Branchen und kann sowohl privatrechtliche Angestellte als auch Personen in einem öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnis betreffen.

Das Urteil des Bundesgerichts

Im Sommer letzten Jahres forderten Angestellte des Spitalverbands Limmattal eine rückwirkende Entschädigung für die Umkleidezeit. Das Spital sowie der Bezirksrat wiesen das Begehren ab, woraufhin die Angestellten des Spitals mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich gelangten. Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde ab und begründete den Entscheid mit der langjährigen Praxis der Spitäler, wonach die bezahlte Arbeitszeit mit dem Dienstantritt auf der Station oder im Operationssaal beginne und mit dem Dienstende am entsprechenden Arbeitsort ende. Die Umkleidezeit gelte deshalb nicht als bezahlte Arbeitszeit bzw. sei bereits im Monatslohn inbegriffen. Weil das der Praxis zahlreicher anderer Spitäler entsprach, dürfe die Nichtanrechnung der Umkleidezeit an die bezahlte Arbeitszeit als «üblich» zu entrichtender Lohn im Sinne von Art. 322 Abs. 1 OR bezeichnet werden (Verwaltungsgericht [ZH] VB.2019.00766 vom 24. Juni 2020). Im Januar dieses Jahres bestätigte das Bundesgericht den Entscheid des Verwaltungsgerichts Zürich (Urteil 8C_514/2020 vom 20. Januar 2021).

Was ist Arbeitszeit?

Eine Definition der Arbeitszeit existiert im öffentlichen Personalrecht häufig nicht und auch im Obligationenrecht wird vergebens nach einer Umschreibung der Arbeitszeit gesucht. Immerhin bestimmt Art. 13 Abs. 1 der Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz (ArGV 1), dass die Zeit, währenddessen sich der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin zur Verfügung des Arbeitsgebers zu halten hat, als Arbeitszeit gelte. Das SECO konkretisierte die Bestimmung in ihrer Wegleitung zum Arbeitsgesetz und zu den Verordnungen 1 und 2 nun dahingehend, dass im Zusammenhang mit Umkleiden/Ankleidung all das als Arbeitszeit gelte, was obligatorisch Teil des Arbeitsprozesses sei. Die Rechtslage scheint zunächst also relativ eindeutig – könnte man auf den ersten Blick jedenfalls meinen.

Die Bestimmungen des Arbeitsgesetzes finden jedoch nicht auf sämtliche öffentlich-rechtliche Arbeitgeber Anwendung. Für Verwaltungseinheiten und öffentlich-rechtliche Körperschaften hat das Arbeitsgesetz keine Geltung. Das war auch im Urteil des Bundesgerichts der Fall, das die Anwendbarkeit des Arbeitsgesetzes ausschloss, weil es sich beim Spitalverband Limmattal um einen Zweckverband und damit um eine öffentlich-rechtliche Körperschaft handelt.

Zählt die Umkleidezeit zur Arbeitszeit?

Ob die Umkleidezeit als Arbeitszeit zu qualifizieren ist, bestimmt sich demzufolge primär nach der Rechtsform des Arbeitgebers bzw. danach, mit wem das Arbeitsverhältnis besteht. Im Verhältnis zu privaten Arbeitgebern und öffentlich-rechtlichen Anstalten mit eigener Rechtspersönlichkeit (z.B. die ETH und die SUVA) findet das Arbeitsgesetz Anwendung, weshalb die Umkleidezeit als Arbeitszeit zu qualifizieren ist. Für Betriebe, die einer Verwaltungseinheit angehören oder bei denen es sich um eine öffentlich-rechtliche Körperschaft handelt, hat das Arbeitsgesetz keine Geltung. Es ist daher anhand des anwendbaren Personalrechts und der internen Regelungen zu prüfen, was als Arbeitszeit zu qualifizieren ist. Fehlt eine solche Bestimmung, so muss mittels Auslegung ermittelt werden, ob die Umkleidezeit zur Arbeitszeit zählt. Kann weder durch die anwendbaren rechtlichen Bestimmungen noch durch Auslegung beantwortet werden, ob die Umkleidezeit im konkreten Fall als Arbeitszeit zu qualifizieren ist, besteht eine Lücke. In solchen Fällen ist der Richter verpflichtet, im Rahmen des Verfahrens die Lücke zu füllen. Kann die Lücke nicht durch Anwendung anderer öffentlich-rechtlicher Bestimmungen gefüllt werden, muss auch für diejenigen öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber, für die das Arbeitsgesetz grundsätzlich keine Anwendung findet, die Umkleidezeit (analog zum Arbeitsgesetz) als Arbeitszeit qualifiziert werden.

Besteht ein Lohnanspruch für die Umkleidezeit?

Bei der Qualifikation der Umkleidezeit als Arbeitszeit und einem damit verbundenen Lohnanspruch handelt es sich allerdings um zwei verschiedene Paar Schuhe. Der Umstand, dass die Umkleidezeit zur Arbeitszeit zählt, führt nicht zwingend zu einem zusätzlichen Entschädigungsanspruch. So erachtete es sowohl das Verwaltungsgericht als auch das Bundesgericht im zu beurteilenden Fall der Angestellten des Spitalverbands Limmattal als zulässig, die Umkleidezeit mit dem regulären Monatslohn abzugelten. Der Arbeitgeber darf daher eine Entschädigung für die Umkleidezeit vertraglich ausschliessen oder die zusätzlich geleistete Zeit, beispielsweise durch bezahlte Pausen, abgelten. Ein zusätzlicher Entschädigungsanspruch für die Umkleidezeit besteht folglich nicht in jedem Fall.

Erster Meilenstein trotz negativem Urteil des Bundesgerichts

Trotz dem negativen Entscheid für die Angestellten des Spitalverbands Limmattal scheinen der Einsatz der Gewerkschaften und das Verfahren bis vor Bundesgericht zumindest im Kanton Zürich etwas bewirkt zu haben. Seit April dieses Jahres anerkennt der Kanton Zürich die Umkleidezeit offiziell als Arbeitszeit und hat dazu eine entsprechende Richtlinie veröffentlicht, die nun Licht ins Dunkel bringen soll. Neu gilt die Umkleidezeit als Arbeitszeit, wenn zwingende Gründe für die besondere Arbeitskleidung bestehen und die Arbeitskleidung aus sachlichen Gründen am Arbeitsplatz angezogen werden muss. Und damit nicht genug: Auch der Weg von der Garderobe zum Einsatzort sei gemäss der Richtlinie als Arbeitszeit anzurechnen.

Manuela Rüegg, MLaw

Kommentar «ZV Öffentliches Personal Schweiz»

Die Debatte um die Umkleidezeit führte in den vergangenen Jahren bereits zu einigen Lohnklagen. Interne Regelungen zu dieser Thematik schaffen klare Rechtsverhältnisse und können weitere Lohnklagen verhindern. ZV Öffentliches Personal Schweiz fordert daher sämtliche öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber auf, ihre Personalreglemente anzupassen und die Umkleidezeit angemessen zu entschädigen.

Urs Stauffer, Präsident

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