Frühlingsmüde über Nacht

Glosse. Alle mögen den Frühling, alle lieben die Sonne, alle freuen sich auf laue Abendstunden. Fabian Schambron plädiert angesichts solch totalitärer Einigkeit für ein differenzierteres Bild: Die Welt ist nicht schwarzweiss und die sonnigen Tage haben Schattenseiten. 

Klar, ich mag Frühling. Ich fände es allerdings schön, wenn man sich etwas unverkrampfter darüber freuen könnte und sich nicht verpflichtet sähe, mit einem gefrierenden Bier in den klammen Fingern dreizehn Schweinshaxen auf den Grill zu werfen, sobald es nachmittags um fünf mal noch halbwegs hell ist. Unverkrampft sollte man auch sein, weil alles andere zu anstrengend ist: Natürlich ist man nach vier stockdunklen Monaten nicht in Form und da hilft es auch nicht, wenn plötzlich alle so tun, als seien sie es. Zum Beispiel ist es offenbar normal für manche meiner Mitmenschen, morgens um halb sieben (!) im Fitnesscenter an der Aarauer Bahnhofstrasse zu trainieren (!), während ich am elfminütigen (!) Fussweg (!!) zum Bahnhof verzweifle. Arbeiten muss und will ich ja, von mir aus auch morgens, aber halb sieben war bis vor kurzem noch halb acht, und das nehme ich persönlich.

Der Mensch gewöhnt sich an vieles, wenn er muss. Nur ist dem Menschen im vorliegenden Fall nicht unbedingt klar, warum er überhaupt muss. Es gibt zahlreiche Zusammenfassungen zur Einführung der Sommerzeit, die in Bezug auf den deutschsprachigen Raum meist als deutsche Energiesparidee im Ersten Weltkrieg verortet wird, die in der Weimarer Republik verschwand und von den Nazis wieder eingeführt wurde.1 Seither ist sie in unterschiedlichen Formen immer wieder aufgetaucht, wenn auch nie weltweit wirksam geworden. Die Idee an sich ist aber älter und zeigt auf, dass man leider sogar mit Witzen vorsichtig sein muss, weil es immer Leute gibt, die sie nicht als solche verstehen. 1784 schrieb Benjamin Franklin an das Journal de Paris, dass man Kerzen sparen könnte, wenn man schon um acht Uhr schlafen ginge und früher aufstünde.2 Dass Franklin das nicht ganz ernst meinte, verhinderte nicht, dass ähnliche Überlegungen immer wieder aufgegriffen wurden und die Sommerzeit in der Schweiz seit 1981 definitiv das Alltagsleben bestimmt – trotz eines Neins der Stimmbevölkerung drei Jahre zuvor.

Es gibt also historische Erklärungen für die Einteilung unseres Jahres in Sommer- und Winterzeit, doch im postfaktischen Zeitalter habe ich natürlich meine eigene Wahrheit und glaube, dass sich die Chose wie folgt zugetragen hat:  Treffen sich zwei Entscheidungsträger in einer Berner Bar. Sagt der eine: «Bruno-Heinrich, schläfst du auch immer so gut? Mir reichen zwei Stunden und schon wache ich auf, taufrisch wie ein morgensonnenscheingebadetes junges Reh im güldenen Weizenfelde!» Darauf der andere: «Jawohl, Rüdiger-Hanspeter, mir geht es genau gleich, und sicher auch allen anderen auf der ganzen Welt. Lassen wir das mit der Sommerzeit doch, wie es ist.» Ausser Rüdiger-Hanspeter und Bruno-Heinrich, mögen die fröhlichen Frühlingsfüchse sie fressen, sollte es also niemanden erstaunen, dass es Frühlingsmüdigkeit gibt.

 

1 NDR Online, 22.10.2015: «Seit wann gibt es die Sommerzeit?»

2 Hilmar Schmundt, Spiegel Online, 26.03.2016: «Die Sommerzeit – ein übler Scherz»

3 Oliver Fuchs, NZZ Online, 23.02.2015: «Hickhack um die Sommerzeit»

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