Im Zeitalter der Digitalisierung wachsen die Herausforderungen – das gilt nicht nur für die Arbeitnehmenden, sondern auch für Führungspersonen. Was aber macht eine gute Führung aus? Und wie steht es um die Zufriedenheit von Mitarbeitenden angesichts der steigenden Anforderungen? Gibt es gar einen Zusammenhang zwischen Führung und Arbeitsmotivation? Eine wesentliche Rolle spielt offenbar das Feedback – als Ausdruck von gelebter Unternehmenskultur. Daneben wirft die digitale Transformation auch rechtliche Fragen auf, etwa bei der geschäftlichen Verwendung von privaten Informatikgeräten. Diesen Themen widmete sich die Fachtagung Brunnen und lieferte Antworten. Besondere Aufmerksamkeit galt sodann dem brisanten und hochaktuellen Thema der beruflichen Vorsorge. Für Diskussionsstoff war somit gesorgt.
Die Fachtagung Brunnen von Öffentliches Personal Schweiz lockte auch im 29. Jahr ihres Bestehens wiederum knapp 70 Teilnehmende ins Seehotel Waldstätterhof. Präsident Urs Stauffer begrüsste die Anwesenden, allen voran die Gäste aus Baden-Württemberg, die Vertragspartner von Öffentliches Personal Schweiz und natürlich die Hauptakteure der Tagung, die Referenten, und äusserte seine Vorfreude auf zwei spannende Tage. Das Programm bot denn auch einen breiten Themenmix, orientiert an aktuellen Fragen und Herausforderungen, welche die Mitarbeitenden im öffentlichen Dienst beschäftigen. Ruedi Bürgi führte als Moderator gekonnt und lebendig durch die Tagung und stellte die Referentinnen und Referenten mit einigen persönlichen Worten vor.
Mitarbeiterbefragungen
Wir kennen sie alle – die Krise im Arbeitsumfeld oder die eigene. Die Stimmung im Büro ist mies, der Leistungsdruck schlägt auf die Stimmung, die Teamarbeit lässt zu wünschen übrig. Die Gründe, unmotiviert bei der Arbeit zu sein oder mit den Bedingungen unzufrieden zu sein, sind vielfältig. Wie aber erhöht man die Mitarbeiterzufriedenheit und wie kann man Arbeitnehmende für ihre Aufgaben motivieren? Diesen Fragen widmete sich Heidi Blanken von ValueQuest in ihrem Referat. Mittels Mitarbeiterbefragungen kann ein Unternehmen erfahren, wo den Arbeitnehmenden der Schuh drückt, denn solche Umfragen sind ein Spiegel der betrieblichen Befindlichkeit, so Blanken.
Weshalb Mitarbeiter-Motivation aus Sicht des Unternehmens so wichtig ist, haben Studien belegt: Motivierte Mitarbeiter haben mehr Freude an der Arbeit, sie schaffen ein positives Arbeitsklima, arbeiten besser mit anderen zusammen, sie bleiben ihrem Arbeitgeber länger treu und sind auch Botschafter gegen aussen. Ein einfaches Motivationsmodell erklärt umgekehrt, welche Bedürfnisse bei motivierten Mitarbeitenden befriedigt werden: Sie fühlen sich dazugehörig, erfahren Vertrauen und Freude und erhalten das Gefühl, mit ihrer Arbeit etwas bewirken zu können. So weit die Theorie. In der realen Arbeitswelt wird indes viel geklagt. Was also beschäftigt Schweizer Arbeitnehmende in ihrem Alltag?
Arbeiten in der Schweiz
Eine repräsentative Mitarbeiterbefragung von ValueQuest bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der Deutschschweiz von September 2019 zeichnet folgendes Bild: 40 Prozent der Mitarbeitenden in der Schweiz sind hoch motiviert, 22 Prozent fühlen sich hingegen demotiviert. Analysiert man die Antworten, werden bei einem Grossteil der hoch Motivierten die oben genannten Bedürfnisse erfüllt: Zugehörigkeit, Freude, gefolgt von Vertrauen und der Möglichkeit, bewirkend agieren zu können. Die Motivation hängt überdies von der Unternehmensgrösse ab: In Kleinunternehmen (bis 9 Personen) gibt es fast doppelt so viele hoch motivierte Mitarbeitende wie in Grossunternehmen (ab 250 Personen). Einhergehend damit ist auch die Loyalität zum Arbeitgeber: Angestellte in Kleinunternehmen sind grundsätzlich loyaler, insgesamt erweist sich die Loyalität der Arbeitnehmenden in der Schweiz aber als hoch. Ausgeprägt ist die Loyalität auch bei Angestellten des öffentlichen Dienstes: 62 Prozent wollen den Arbeitgeber nicht wechseln; in der Privatwirtschaft trifft dies auf 50 Prozent und bei NGO auf 42 Prozent zu.
Gemäss Blanken zeigen die Resultate aus der Befragung insgesamt, dass die Motivation einen grossen Einfluss auf die Loyalität hat: Wer motiviert ist, bleibt dem Arbeitgeber treu und umgekehrt. Auch die Veränderung der Arbeitszufriedenheit innerhalb eine Jahres ist ein guter Indikator für eine Kündigung. Die Befragung bestätigt zudem, dass Teamwork, Arbeitsinhalt, Anerkennung und Feedback zufrieden machen, während fehlende Perspektiven, fehlende gemeinsame Ausrichtung oder Veränderung und Innovation belasten. Für Blanken ist klar: Motivation lässt sich nicht aufzwingen, hingegen kann das Mikro-Umfeld, bestehend aus Faktoren wie den oben genannten, sehr wohl beeinflusst werden – dieses wirkt motivierend.
Arbeiten im öffentlichen Dienst
Dem öffentlichen Personal hängt nach wie vor das Image an, dass es faul und weniger motiviert ist und wenig verändern kann. Mit diesem Vorurteil räumt die aktuelle Studie endgültig auf. Vielmehr noch: Sie belegt, dass die Motivation im öffentlichen Dienst deutlich höher ist als in der Privatwirtschaft. Das öffentliche Personal ist bei der Arbeit nicht nur öfter hoch motiviert, sondern auch deutlich zufriedener, hat mehr Freude, fühlt sich stärker zugehörig und beurteilt auch das Vertrauen höher. Im öffentlichen Dienst zu arbeiten, erscheint offensichtlich attraktiver zu sein, merkt Blanken an. Einzig bezüglich Leistungsbereitschaft und dem Eindruck, etwas bewirken zu können, fällt die Beurteilung der öffentlichen Arbeitnehmenden geringfügig tiefer aus verglichen mit jenen in der Privatwirtschaft.
Die Frage, was einen guten Arbeitgeber ausmacht, spiegelt die Bedürfnisse von Mitarbeitenden. In diesem Punkt besteht ein riesiger Unterschied zwischen öffentlichem Dienst und Privatwirtschaft: Fairness und Menschlichkeit ist für Mitarbeitende in der Privatwirtschaft ein wichtiger Aspekt, für jene in öffentlichen Verwaltungen ist es die Wertschätzung. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist auch der Lohn, er figuriert grundsätzlich zuoberst, wird aber insbesondere dann so stark gewichtet, wenn man ihn abfragt, so Blanken.
Mögliche Arbeitgeber
Die meisten Befragten würden am liebsten bei einem KMU (28 Prozent) oder in einer Organisation des öffentlichen Dienstes (33 Prozent) arbeiten, diese Arbeitgeber gelten als attraktiv. Bei den wechselbereiten Personen aus der Privatwirtschaft könnten sich 53 Prozent vorstellen, im öffentlichen Dient zu arbeiten, und ganze 75 Prozent der wechselbereiten Befragten im öffentlichen Dienst wollen dort verbleiben. Und welche Arbeitgeber kommen für wechselbereite Angestellte nicht infrage? Hier kommt klar der Lohn ins Spiel: Je höher das Einkommen, desto weniger kann sich ein Angestellter oder eine Angestellte vorstellen, in einem KMU oder bei einer Organisation des öffentlichen Dienstes zu arbeiten. Laut Blanken liegt das vermutlich daran, dass der bisherige Lohn nicht mehr erreicht würde.
Die Studie zeigt zudem, dass die Führung in öffentlichen Organisationen im Durchschnitt besser funktioniert. Jedenfalls werden sämtliche befragten Aspekte der Führung im öffentlichen Dienst besser beurteilt als in der Privatwirtschaft. Hierzu gehören etwa fachliche Kompetenz, Interesse für die Meinung des Mitarbeiters, offene und ehrliche Kommunikation und das Vertrauen der Arbeitnehmenden in den Vorgesetzten und das Leitungsgremium.
Unternehmenskultur und gelebte Kultur
Was Arbeitnehmenden mit Blick auf eine gute Arbeitsumgebung besonders viel wert ist, wird von Angestellten im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft kaum unterschiedlich beantwortet. Zuoberst rangieren ein gutes Team, der Lohn, ein wertschätzendes, menschliches Arbeitsklima, Ferien, flexible Arbeitszeiten oder etwa abwechslungsreiche Arbeit. Allerdings ist Wertschätzung für das öffentliche Personal und für Frauen deutlich wichtiger, in Kleinunternehmen wiederum wird der Teamgeist stärker hervorgehoben und in der Privatwirtschaft und bei Männern zählt der Lohn mehr.
Bei der tatsächlich gelebten Kultur sind die Unterschiede zwischen den Unternehmensformen allerdings mitunter markant. So charakterisieren gemäss den Befragten eine gute Zusammenarbeit und viel Bürokratie die Kultur im öffentlichen Dienst, während es in der Privatwirtschaft in den Augen der Angestellten Erfolgsstreben, Dynamik/Chaos, Flexibilität und Kundenorientierung sind.
Blanken betont, dass es bei Mitarbeiterbefragungen elementar ist, herauszufinden, welches die wichtigen Faktoren sind, will man relevante Erkenntnisse gewinnen. Das sind in der Summe mehr als hohe oder tiefe Durchschnittswerte. Reines Abfragen führt demnach nicht zum Ziel, weil dann alles wichtig ist. Mit einer Analyse der «Organisations-DNA» lassen sich die wichtigen Themen eruieren, die auf die Motivation bzw. Demotivation der Mitarbeitenden wirken. Diese Organisations-DNA unterscheidet sich stark zwischen Branchen, Unternehmen oder auch innerhalb von Unternehmen – abhängig etwa von Branche, Führungsstil, Strategie oder Veränderungsdynamik. Im öffentlichen Dienst erwiesen sich unter anderem die gemeinsame Ausrichtung sowie Fairness/Verantwortung als wichtige Treiber für Motivation, in der Privatwirtschaft ist es eindeutig der Lohn.
In ihren Schlussworten hebt Blanken nochmals hervor, wie wichtig die Motivation und die Zufriedenheit von Mitarbeitenden sind. Wie sich zeigt, kann allein schon die Durchführung einer Mitarbeiterbefragung die Motivation stärken.
Missstimmung am Arbeitsplatz
«Culture eats strategy for breakfast and technology for lunch and then….». Mit diesem Comic-unterlegten Satz startete Alexander Karl Senn, Head Human Resources Siemens Smart Infrastructure, in sein Referat. Was er damit zum Ausdrucken bringen wollte: Die Kultur in einem Unternehmen ist zentral für die Zufriedenheit der Mitarbeitenden. Oder, um beim Bild zu bleiben: Kultur ist viel wichtiger als Strategie.
Führung und Führungskultur waren die Inhalte und Anliegen, denen sich Senn in seinem Referat widmete. Er merkte an, dass erfolgreiche Unternehmen eine gute Strategie haben, aber eben auch eine gute Kultur. Dabei sei Kultur nicht als ein Diktieren von oben nach unten zu verstehen, sondern vielmehr als ein Schauen in den Spiegel. Das bedeutet letztlich, dass «ich» selber etwas für eine Kultur beitragen kann. In den Augen und in der Überzeugung von Senn gehört es zu den prioritären Aufgaben der Geschäftsleitung, eine Führungskultur zu etablieren, die Höchstleistung ermöglicht und das Unternehmen attraktiv auf dem Arbeitsmarkt macht. Dabei bezieht er sich ganz direkt auf Siemens, die diesem Credo nachlebt.
Seine Ausführungen veranschaulichte er am konkreten Beispiel von Siemens Smart Infrastructure, einer Division, die erst letztes Jahr gegründet worden war. Aufgabe beim Aufbau war, eine gute Kultur zu schaffen, sodass man gerne dort arbeitet. Dabei kam die Führungskultur als Erstes, und (erst) im nächsten Schritt ging es darum, das Potenzial der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auszuschöpfen.
Führungspersonen haben einen grossen Einfluss auf die Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ist Senn aus eigener Erfahrung überzeugt. So habe er früher bei Mitarbeitergesprächen auf die Schwächen fokussiert, es ging darum, wo ein Mitarbeitender noch lernen kann. Heute konzentriere er sich auf die Stärken. Er gibt heute jeweils drei positive Feedbacks und eines zum Verbesserungspotenzial. Und was geschieht? Bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern steigt:
- der Leistungswille,
- die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen,
- ihre Haltung ist positiver und
- sie sind glücklicher und leisten mehr.
Dieser Einstellungswechsel auf Seite der Führungskraft kostet zudem keinen Franken.
Positive Leadership
Der grösste Hebel in der Kulturentwicklung eines Unternehmens ist die Führungskultur, erläutert Senn. Letztlich geht es um «positive leadership», um eine positive Führung also, die den Fokus auf das Wohlbefinden der Mitarbeitenden legt und auf dem Glauben an die Stärken jedes Einzelnen und des gesamten Teams beruht. Das Führungsmodell, das aus der Positiven Psychologie abgeleitet wurde, gründet auf folgenden Denkansätzen:
- Jeder hat Stärken, die er noch besser einbringen kann. Das muss die Führungskraft berücksichtigen.
- Es ist ein Umfeld zu schaffen, in dem alle persönlich wachsen wollen.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen grundsätzlich von sich aus mehr leisten, fügt Senn an. Das ist allerdings nicht mit mehr Arbeitsstunden gleichzusetzen. Vielmehr geht es darum, Mitarbeitende durch Herausforderungen wachsen zu lassen und sie somit bewusst aus der Komfortzone herauszubringen bzw. herauszuführen. Die Komfortzone zu verlassen, ist wichtig. Denn wo man verharrt, droht Stagnation, Langeweile, bis hin zum Bore-Out.
Abschied von Hierarchien
Mitarbeitenden vorzugeben, was sie wie und bis wann zu machen haben, ist out. Der Chef muss nicht alles wissen und auch nicht sagen, wo es durchgeht. Laut Senn geht es heute darum, sich von Hierarchien zu verabschieden und das Team zu «empowern». Das bedeutet für den Chef, Macht abzugeben und für den Mitarbeitenden, Verantwortung zu übernehmen.
Macht aus der Rolle heraus darf nicht missbraucht werden, auch wenn es sich mitunter gut anfühlt. Macht abzugeben erfordert ein Umdenken; das ist schwierig, gesteht Senn ein, weil es bedeutet, sich verändern zu müssen. Am Ende ist es aber oft befriedigender, so sein Fazit.
Siemens Führungskompass
Bei der Entwicklung des unternehmensspezifischen Führungskompasses hat sich Siemens mit einer Fülle an Fragen auseinandergesetzt, wie etwa: Was brauchen wir für eine Kultur, um attraktiv zu sein – auch für die junge Generation? Das Resultat, verbunden über die Kernbotschaft «Zeit, sich zu kümmern», sind vier inhaltliche Ausrichtungen:
- Sich einbringen (z.B. aktiv zuhören, bestärken und Feedback geben)
- Fokus (z.B. Kunde steht im Mittelpunkt, lösungsorientiertes Handeln)
- Verantwortung übergeben (z.B. jeder Beitrag hat Bedeutung, Zusammenarbeit bringt uns voran)
- Füreinander Sorge tragen (z.B. sich gegenseitig in der Entwicklung unterstützen, respektvoll miteinander umgehen)
Senn betont, dass es sich dabei funktional um einen eigentlichen Kompass handelt: Es wird lediglich die Richtung vorgegeben. Was das im Detail bedeutet, muss in den einzelnen Teams und Unternehmenseinheiten zusammen diskutiert und erarbeitet werden.
Kultur ändert sich nicht über Nacht. Was es für eine Veränderung braucht, ist Feedback. Und zwar von oben nach unten, aber genauso von unten nach oben. Wie sonst kann sich ein Chef verbessern, wenn er keinen Feedback bekommt? Das setzt auch Ehrlichkeit voraus, so Senn. Wichtig sei also, eine Kultur zu entwickeln, in der Feedback möglich und auch kontinuierlich ist: Feedback als Geschenk.