Verzögerte Reaktion führt nicht zwingend zur Unzulässigkeit der fristlosen Kündigung

Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-3509/2020 vom 19. August 2021

Das Bundesverwaltungsgericht kommt zum Schluss, dass bei notwendigen Abklärungen das Zuwarten keine Bestätigung der Zumutbarkeit der Fortführung des Arbeitsverhältnisses sei.

Beurteilt wurde der Fall eines Angestellten der Schweizerischen Bundesbahnen SBB, dessen Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt wurde, nachdem eine schwerwiegende Pflichtverletzung festgestellt worden war. Während geraumer Zeit habe der Angestellte unter anderem anstelle des rechtmässigen Messwertes immer wieder den exakt gleichen Messwert im Prüfsystem eingetragen. Aufgefallen ist das Ganze erst nach einer zweiten Meldung, dass der Angestellte die Prüfung der Bremszangen nicht korrekt durchführe und die in der Folge durchgeführte umfangreiche Nachmessung abweichende Messergebnisse hervorbrachten. Trotz Kenntnis des Vorfalles sprachen die SBB die fristlose Kündigung erst nach 12 Arbeitstagen aus. Der Angestellte vertrat u. a. den Standpunkt, die Reaktionsfrist für eine fristlose Kündigung sei nicht eingehalten worden, weshalb diese nicht gerechtfertigt sei. Das Bundesverwaltungsgericht hingegen schützte die fristlose Entlassung und wies die Beschwerde ab.

Gemäss Rechtsprechung und Lehre haben Arbeitgebende fristlose Kündigungen umgehend auszusprechen, ansonsten von der Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ausgegangen wird. Das Bundesverwaltungsgericht führte im vorliegenden Fall demgegenüber aus, dass die Praxis bezüglich der Zulässigkeit einer fristlosen Kündigung innert einer Zeitspanne von grundsätzlich nur wenigen Arbeitstagen nicht ohne Weiteres auf öffentlich-rechtliche Arbeitsverhältnisse Anwendung finde.

Den öffentlich-rechtlichen Arbeitgebenden sei eine längere Reaktionsfrist zu gewähren, zumal bei öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnissen die Kündigung in der Regel in Form einer schriftlich begründeten Verfügung erfolge, welcher häufig eine Untersuchung vorausgehe. Die Gewährung des rechtlichen Gehörs und spezielle Verfahrensabläufe verunmöglichten ebenfalls eine unverzügliche Auflösung. Das Bundesverwaltungsgericht hielt ausdrücklich fest, dass die Reaktionsfrist erst nach genügend sicheren Kenntnissen der Umstände zu laufen beginne. Zwar müssten die Arbeitgebenden allfällige Abklärungen beförderlich vornehmen, dürften sich allerdings die für eine sorgfältige Abklärung benötigte Zeit nehmen.

Dr. Nicole Vögeli Galli ist Rechtsanwältin und Dozentin für Arbeitsrecht sowie öffentliches Personalrecht an der ZHAW School of Management and Law. Sie zeichnet als Co-Studienleiterin für den CAS Öffentliches Personalrecht verantwortlich.

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