Wer im Anstellungsgespräch qualifiziert lügt, schliesst einen ungültigen Arbeitsvertrag

Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts

Entscheidend für die vorliegende Fragestellung war, ob der Arbeitsvertrag gültig abgeschlossen wurde oder für die öffentliche Arbeitgeberin unverbindlich ist, weil der Bewerber nicht die Wahrheit gesagt hatte. Dazu entschied das Bundesverwaltungsgericht (mit Gültigkeit auch für andere öffentlich-rechtliche Arbeitsverhältnisse) Folgendes:

Gemäss Art. 23 ff. OR (diese Bestimmungen des Bundeszivilrechts kommen zur Anwendung, weil das öffentliche Recht in der Regel über keine solchen Normen verfügt) ist ein Vertrag für denjenigen unverbindlich, der sich beim Abschluss in einem wesentlichen Irrtum befunden hat. Ist ein Vertragsabschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des anderen zum Vertragsabschluss verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn gemäss Art. 28 Abs. 1 OR auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war. Der Tatbestand einer absichtlichen Täuschung nach Art. 28 Abs. 1 OR erfordert ein täuschendes und widerrechtliches Verhalten, eine Täuschungsabsicht, ein Irrtum des Getäuschten und eine Kausalität zwischen Täuschung und Willenserklärung. Ein täuschendes Verhalten im Sinne von Art. 28 OR ist anzunehmen, wenn dem Betroffenen widerrechtlich Tatsachen vorgespiegelt oder verschwiegen wurden, ohne die er den Vertrag nicht oder nicht mit dem entsprechenden Vertragsinhalt abgeschlossen hätte.

Das Verschweigen von Tatsachen ist dabei (nur) insoweit verpönt, als eine Offenbarungs- oder Aufklärungspflicht besteht. Wann dies der Fall ist, bestimmt sich aufgrund der Umstände im Einzelfall.
Den Arbeitnehmer trifft im Rahmen der Vertragsverhandlungen eine vorvertragliche, auf Art. 2 ZGB beruhende Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber. Der Umfang und die Tragweite dieser vorvertraglichen Pflichten sind in Lehre und Rechtsprechung im Einzelnen umstritten. Grundsätzlich ist bei Vertragsverhandlungen im Hinblick auf einen unbefristeten Arbeitsvertrag ein erhöhtes Mass an Aufklärungspflichten anzunehmen, da es sich um ein Dauerschuldverhältnis handelt, das regelmässig ein besonderes Vertrauensverhältnis voraussetzt.

Dem Arbeitnehmer erwachsen im Rahmen von Vertragsverhandlungen vorvertragliche Auskunfts- und Offenbarungspflichten sowie eine Wahrheitspflicht. Der Umfang ist umstritten.

  • Die Offenbarungspflicht verpflichtet die Verhandlungspartner, gewisse Informationen von sich aus – das heisst auch ohne spezifische Fragen des Verhandlungspartners – preiszugeben. Eine Offenbarungspflicht ist nur mit grosser Zurückhaltung anzunehmen: Der Arbeitnehmer hat im Rahmen seiner Offenbarungspflicht nur mitzuteilen, was ihn zur Übernahme der Stelle als (absolut) ungeeignet erscheinen lässt, die vertragsgemässe Arbeitsleistung praktisch ausschliesst oder diese doch erheblich vermindert.
  • Die Auskunftspflicht beinhaltet die Pflicht, Fragen der anderen Verhandlungspartei zu beantworten, soweit diese von unmittelbarem und objektivem Interesse für das spezifische Arbeitsverhältnis sind.
  • Die Wahrheitspflicht schliesslich verpflichtet die Verhandlungsparteien dazu, sich bei ihren Aussagen an die Wahrheit zu halten, unabhängig davon, ob sie diese von sich aus oder im Rahmen ihrer Offenbarungs- oder Auskunftspflicht machen. Liegt die Täuschungshandlung in der unterlassenen Aufklärung, ist in der Bejahung der Verletzung der Aufklärungspflicht gleichzeitig auch die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens erstellt.

Hans-Peter übernahm bei der Arbeitgeberin hauptsächlich Aufgaben im Bereich Legal and Compliance, insbesondere interne Kontrollen und Vertragsprüfungen, wobei er sowohl intern als auch extern selbstständige Kontakte und Auftritte hatte. Im Rahmen des Bewerbungsverfahrens für diese Stelle gab Hans-Peter nicht an, dass er während acht Jahren für ein privates Unternehmen gearbeitet hatte und dass gegen ihn ein Strafverfahren wegen Veruntreuung einer sehr hohen Summe im Millionenbereich lief (das dann auch zu einer Verurteilung wegen Veruntreuung führte).

Eine Offenbarungspflicht besteht dann, wenn der Arbeitnehmer die zur Diskussion stehende Arbeitsleistung

  • mangels entsprechender Fähigkeiten überhaupt nicht erbringen kann (fehlende Ausbildung oder Berufspraxis),
  • wenn er zur Arbeitsleistung infolge chronischer Leiden, schwerer oder ansteckender Krankheiten ausserstande ist oder
  • wenn feststeht, dass er bei Dienstantritt aller Voraussicht nach krank oder zur Kur sein wird.

Ob und inwieweit bezüglich eines hängigen Strafverfahrens (Ermittlungs-, Untersuchungs- und Hauptverfahren) eine Offenbarungspflicht besteht, ist umstritten. Eine solche Offenbarungspflicht wird tendenziell hinsichtlich arbeitsplatzbezogener Delikte und bezüglich solcher Verfahren bejaht, bei denen die konkret absehbare Gefahr einer Arbeitsverhinderung oder doch das erhebliche Risiko einer wesentlichen Verminderung der Arbeitsleistung besteht.

Die vom Beschwerdegegner begangenen und von ihm gestandenen Delikte wurden vom Bundesverwaltungsgericht insofern als arbeitsplatzbezogen bezeichnet, als Hans-Peter sie im Rahmen seiner früheren Anstellung und zudem zum Nachteil seines damaligen Arbeitgebers und teilweise zum Nachteil von dessen Kunden begangen hatte. Sie waren damit grundsätzlich auch für einen zukünftigen Arbeitgeber von Relevanz. Der Bereich Legal and Compliance, dem der Beschwerdegegner angehörte, hat innerhalb der Institution der öffentlichen Arbeitgeberin eine besondere Vertrauensposition inne. Diese Position bringt eine besondere Verantwortung mit sich, da sie für die Einhaltung der relevanten rechtlichen Bestimmungen und der organisationsinternen Standards verantwortlich ist. Die Aufgabe von Hans-Peter setzte damit ein besonderes Vertrauen in seine Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit voraus.

Eine Person, die sich an ihrem früheren Arbeitsort zum Nachteil des Arbeitgebers massiv deliktisch betätigt hat, erscheint für eine Arbeitsstelle, die spezifisch die Aufgabe umfasst, die Einhaltung der rechtlichen Bestimmungen und der organisationsinternen Standards zu überwachen, als ungeeignet. Die Arbeitgeberin konnte unter diesen Umständen nicht vollständig darauf vertrauen, dass Hans-Peter seine Arbeit korrekt ausführen würde, ein Vertrauen, ohne das eine solch verantwortungsvolle Tätigkeit nicht ausgeübt werden kann. Damit hatte die deliktische Tätigkeit von Hans-Peter an seinem früheren Arbeitsort unmittelbare Auswirkungen auf die berufliche Eignung für die mit dem neuen Arbeitgeber verabredete Arbeitsleistung. Er wäre damit verpflichtet gewesen, diesen Sachverhalt im Rahmen des Bewerbungsverfahrens offenzulegen. Hinzu kommt, dass Hans-Peter wissen musste, dass eine Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe führen würde oder könnte, was seinen Arbeitsantritt verunmöglicht hätte.

Selbst wenn nicht von einer Offenbarungspflicht auszugehen wäre, wäre festzustellen, dass Hans-Peter zumindest gegen die Aufklärungs- und Wahrheitspflicht verstiess, indem er im Bewerbungsverfahren falsche Angaben zu seinen früheren Arbeitstätigkeiten machte. Er stellte den Lebenslauf so dar, dass daraus zu schliessen war, er sei ausschliesslich selbstständig tätig gewesen. In Tat und Wahrheit war er jedoch ab 2007 acht Jahre lang bei einem privaten Unternehmen angestellt. Dies wurde aber in dem seiner eigenen Ansicht nach «wohl auf den ersten Blick ein wenig überladenen» Lebenslauf mit keinem Wort erwähnt.

Angaben zu früheren Arbeitsstellen in einem im Bewerbungsverfahren eingereichten Lebenslauf unterliegen im Sinne einer Reaktion auf ein entsprechendes Auskunftsbegehren des Arbeitgebers, meist in einer Stellenausschreibung, grundsätzlich der Auskunfts- und Wahrheitspflicht. Die entsprechenden Angaben im Lebenslauf des Beschwerdegegners suggerierten mit ihrer chronologischen und ansonsten ausführlichen Darstellung Vollständigkeit. Deshalb durfte die öffentliche Arbeitgeberin aufgrund der Verpflichtung von Hans-Peter, die Verhandlungen in guten Treuen zu führen, davon ausgehen, dass diese Angaben zumindest insofern vollständig waren, als dass sie keine substanziellen, offensichtlich relevanten Auslassungen enthalten würden. Das Weglassen einer achtjährigen unselbstständigen Tätigkeit stellt jedoch eine substanzielle Auslassung dar. Hans-Peter gab im Bewerbungsverfahren überdies zu verstehen, dass er für die Zeit von 2006 bis 2016 weder Arbeitszeugnisse einreichen noch Referenzen angeben könne, da er in dieser Zeit nur selbstständig tätig gewesen sei. Diese Angaben entsprachen ebenfalls nicht der Wahrheit, da er nicht aufgrund seiner Selbstständigkeit keine Arbeitszeugnisse einreichen und Referenzen angeben konnte, sondern weil er dies nicht wollte, da er seine frühere Anstellung und die mit dieser in Zusammenhang stehenden Delikte zu verheimlichen versuchte.

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