«Am Puls des Lebens»

Interview mit Ferdinand Hutter, Polizist Regionalpolizei Schaffhausen, und Nathalie Strassmann, Fahnderin Kriminalpolizei Schaffhausen

Wer entscheidet über Blaulichtfahrten oder ob eine Türe aufgebrochen werden darf?

Hutter: Das variiert je nach Situation. Wir Polizisten haben die Kompetenz, im Notfall alles zu tun, um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Wir dürfen wirklich alles, wir dürfen ein Auto nehmen, Türen eintreten. Die entscheidende Frage ist aber, wann es ein Notfall ist; das wird erst im Nachhinein beurteilt und jemand muss für solche Aktionen die Verantwortung übernehmen. Das führt dazu, dass wir nachfragen, wenn wir unsicher sind. Allerdings ist es schon so: Wenn wir Zeit für eine Nachfrage haben, ist es in der Regel kein Notfall. Wenn jemand eine Bedrohung meldet und wir bei der Ankunft hinter einer Türe Schreie hören, dann treten wir sie ein.

Würden Sie wieder Polizist werden?

Strassmann: Ja. Die Matura war super für meine Bildung, aber hier bei der Polizei habe ich enorm viel über das Leben gelernt. Man sieht sehr viel, auch schlimme Schicksale. Ich würde mich wieder so entscheiden.

Hutter: Ich würde mich auch wieder gleich entscheiden. Allerdings bin ich nicht sicher, ob es der richtige Beruf ist, wenn man nachhaltig etwas verändern will. Hierfür muss man wohl Parlamentarier werden oder Kindergärtner oder Lehrer – das ist einer der besten Berufe.

Als Polizist zu arbeiten ist eine sehr interessante Erfahrung. Man ist mitten im Leben. Die Frage ist, was man aus diesen Erfahrungen machen kann.

Gibt es nach schwierigen Einsätzen psychologische Unterstützung?

Strassmann: Wir haben zum Glück nicht so viele schlimme Fälle. Nach grösseren Einsätzen sollte es ein Debriefing geben, damit alle vom Erlebten erzählen können. Wir haben seit Neuem ausserdem sogenannte Peers, Polizisten mit Spezialausbildung – nach schlimmen Ereignissen stehen sie für Gespräche zur Verfügung. Ich habe dieses Angebot jedoch noch nie in Anspruch genommen. Ich habe ein gutes soziales Umfeld, was mir am Meisten bringt. Obwohl man keine Namen oder Details nennen darf, kann man über Erlebtes sprechen.

Hutter: Die Aufgabe der Peers ist es, aktiv auf uns zuzugehen, wenn es einen schwierigen Vorfall gab. Ob es sich um einen schweren Vorfall handelt ist jedoch sehr subjektiv. Ich denke, es gibt viele Polizisten, die kleinere oder grössere Traumas haben.

Hatten Sie auch schon Probleme, einen Einsatz zu verarbeiten?

Hutter: Ich denke, ich bin extrem unempfindlich. Ich hatte aber auch schon einen Fall, über den ich drei oder vier Tage ununterbrochen gesprochen habe. Der Fall ging mir wirklich nahe. Mein Bruder ist Arzt und hat mir eine Woche lang zugehört und danach gesagt «Hör zu, ich gebe Dir noch eine Woche Zeit und wenn es Dich dann noch immer so intensiv beschäftigt, musst Du zum Psychologen». Ich habe erst ungehalten reagiert, aber er hatte wohl recht damit, dass ich eine posttraumatische Belastungsstörung hatte.

Es ist also wichtig, dass man ein intaktes soziales Umfeld hat, um Erlebnisse zu verarbeiten. Jeder Beruf ist anstrengend, aber wenn es hier schlimme Ereignisse gibt und es unter Umständen zu Hause nicht stimmt, ist es schwierig. Reden muss man und wenn man das nicht macht, führt das meines Erachtens zu grossen Problemen.

Gewöhnt man sich daran, Tote zu sehen?

Strassmann: Tote zu sehen, macht mir nicht so viel aus. Es würde mir mehr zu schaffen machen, wenn ich zusehen müsste, wie jemand stirbt und ich nicht mehr helfen konnte.

Hutter: Ich hätte Probleme, wenn es Kinder wären. Ich war bereits mit einer Leiche eines Jugendlichen konfrontiert, das ging, aber ich weiss, dass ich bei kleinen Kindern wahnsinnig Mühe hätte.

Ich denke, man kann lange gut damit umgehen, aber irgendwann gibt es einen Fall, der einen umhaut. Ich habe auch schon gesehen, wie Kollegen, die mit Toten sonst keine Probleme hatten, auf einen toten Schulkollegen trafen und nicht mehr weitermachen konnten. Das meiste ist jedoch eine Frage der Gewohnheit. Ich erinnere mich noch gut an das erste Mal. Ich stand vor dem Haus und habe mich darauf vorbereitet, was mich wohl erwartet.

Strassmann: Das stimmt. Und schwierig ist manchmal nicht das Bild, sondern der Geruch. Da musste sich auch schon ein erfahrener Kriminaltechniker übergeben.

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