Initiative Vaterschaftsurlaub

«Auch Väter leiden unter Unvereinbarkeit»

Interview mit Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm

Interessanterweise hat nicht der «egalitäre und begeisterte» Vater das engste, innigste Verhältnis zu seinem Kind, sondern der «traditionelle und ambitionierte». Im Ranking nach Kuscheleinheiten liegt dieser Typus ganz vorne.

Es kann trotz Vollzeitjob mit Überstunden gelingen, in der Familie eine Rolle zu spielen und eine tiefe Beziehung zum Kind aufzubauen. Teilzeitarbeit für beide mag erwünscht sein, aber neben den erwähnten finanziellen Problemen bestehen weitere Hürden: Die Kultur in gewissen Betrieben lässt männliche Teilzeitarbeit kaum zu. Oder setzt sie mindestens mit dem Verzicht auf jegliche Karriere gleich. Der «egalitäre und begeisterte», also quasi modernste Vatertyp ist derjenige, der dank Teilzeitjob relativ stark zu Hause präsent ist, aber gleichzeitig auch hohe Anforderungen an das Kind stellt. Sein Verhältnis zu diesem ist indes weniger eng.

Vielleicht auch, weil er stärker in die tägliche Dynamik des Grenzen-Setzens und Grenzen-Durchsetzens einbezogen ist. Und nicht hemmungslosem Verwöhnen frönen kann wie eine Oma oder ein Sonntagsvater …

Dass, wer mehr anwesend ist, eben auch mehr an der Vermittlung von Regeln beteiligt ist, ist sicher plausibel.

Wir finden bei den engagierten Vätern aber auch Elemente des verbreiteten Optimierungsstrebens: Mein Kind soll die allerbeste Schule, die allerbeste Förderung, die allerbesten Chancen überhaupt bekommen…

Der dritte Vatertyp, den wir als den «orientierungslosen und distanzierten» bezeichnen, ist vielleicht der erstaunlichste. Er ist sehr für weibliche Berufstätigkeit und für die Egalität der Geschlechter, aber seinen Kindern steht er merkwürdig fern. Wir denken, dass wir Erklärungen auch im Verhalten der Mütter suchen sollten: Wenn Frauen das heimische Terrain vollkommen besetzt halten, finden Männer dort keine eigene Rolle – aber eine alternative Rolle ist ebenfalls nicht in Sicht.

Lassen Sie uns nun erörtern, was diese Erkenntnisse für die Arbeit der Gewerkschaften bedeuten könnten. Wir haben uns in den letzten Jahrzehnten auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf konzentriert und diese als Frauenthema abgehandelt.

Das ist ja nicht verkehrt. Aber man darf die ökonomischen Aspekte nicht ausser Acht lassen. Wenn Kinder kommen, steigen die Kosten. Wenn jetzt, wie gefordert, tatsächlich mehr Männer in Teilzeitjobs gehen und die Frauen dafür ihre Pensen erhöhen, dann geht die Rechnung in vielen Familien nicht mehr auf, weil Mann und Frau eben nicht gleich viel verdienen. Hier ist die Gleichstellung noch immer nicht erreicht, und das rächt sich. Zwar werden Mädchen heute dazu erzogen, einen guten Beruf zu erlernen. Aber noch immer geht ihre Sozialisation viel weniger als diejenige der Männer darauf aus, wirtschaftliche Selbständigkeit anzustreben.

Das gilt schon für die Berufswahl, wo – um es etwas plakativ zu formulieren – Frauen nach Herzenswunsch, Männer eher mit Blick auf Einkommen, Ansehen oder Aufstiegschancen entscheiden.

Und es setzt sich fort im Beruf selbst. Viele Frauen sehen nicht ein, warum sie sich so abrackern sollen. Zu diesem Beissen und Strampeln sind viele nicht bereit. Diese Luft ertragen sie nicht. Mit anderen Worten: Das Vereinbarkeitsproblem kann mit mehr Krippenplätzen und mehr Teilzeitarbeit allenfalls entschärft, aber nicht behoben werden. Zweitens ist es wichtig, dass Vereinbarkeit, wie Sie andeuten, auch als Männerfrage behandelt wird. Auch Männer haben hier ein Problem. Auch Männer vermögen nicht das zu realisieren, was ihnen als gute Balance vorschwebt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.