«Ich kann nicht alles ändern, aber ich kann zumindest etwas tun»

Interview mit Hans Melliger, Leiter Jugendanwaltschaft

Was sind das für Jugendliche, die zu Ihnen kommen?

Wenn man Ende Jahr alle Anzeigen in drei Gruppen aufteilen würde, sind 80 % davon absolute «Normalos» im guten Sinne. Jugendliche, die einmal einen Fehler gemacht haben, vielleicht einen grossen, vielleicht auch mal zwei. Oft haben sie eine kleine oder grössere Krise. Sie sind gut sozialisiert und integriert und daher langfristig kein Problem.

Die anderen 20 % sind Risikotypen. Das sind auch gute Typen, meistens clever, gescheit, gut organisiert, gut vernetzt. Sie sind immer «etwas zu schnell» unterwegs, vielleicht manchmal etwas zu draufgängerisch. Sie sind risikoreich, in der Liebe, mit dem Geld, beim Gamen, beim Konsumieren und sie bewegen sich immer ein klein wenig an oder über der Grenze.

Von diesen Risikotypen kommen ca. drei Viertel wieder auf die richtige Bahn und entwickeln sich gut. Der verbleibende Viertel, also ca. 4 – 5 % der gesamten Täter nennen wir Intensivtäter. Sie begehen rund 50 – 60 % der Delikte eines Jahrgangs.

Wir versuchen, bei den Risikotypen zu erkennen, welche davon zu den Intensivtätern gehören und diese entsprechend eng zu begleiten. Zu diesem Zweck haben wir ein Programm zur Früherkennung entwickelt, in das wir sehr viel Zeit und Engagement hineingesteckt haben. 

Wie unterschiedlich ist die Behandlung?

Bei den ersten 80 % reicht meist das Erwischtwerden, das Aufarbeiten zu Hause, allenfalls ein Strafverfahren mit Vorladung und eine kleine Strafe. Diese Erfahrungen lehren sie genug. Strafen werden bei diesen Tätern überschätzt. Sich vom Vater bei der Polizei abholen lassen zu müssen, ist für sie oft schlimmer als eine Strafe von uns. Bei diesen jugendlichen Tätern reicht in der Regel eine eher wohlwollende pädagogische Behandlung mit dem Hinweis, dass beim nächsten Mal mehr passiert.

Man kann sehr viel erreichen, wenn man die Menschen mit Strafen nicht verbittert. Wir sprechen auch keine überhöhten Bussen aus, die dann schliesslich die Eltern bezahlen müssen. Wir wollen die Eltern unterstützen und suchen deshalb möglichst schnell den Kontakt zu ihnen.

Und die Risikotypen?

Die müsste man schneller erwischen, da sie meistens vieles gleichzeitig am Laufen haben. Mit ihnen kann man aber gut einen „Deal“ machen, Bedingungen aushandeln und diese fix vereinbaren: zum Beispiel eine bedingte Strafe plus eine Probezeit, mit der Auflage, dass sie bis Ende Jahr das Matura- oder Lehrabschlusszeugnis sowie fünf negative Urinproben bringen müssen. Oft ist ihre Antwort auf dieses «zwingende» Angebot «Kann ich das schriftlich haben?» und dann läuft das gut.

Aber es gibt auch solche, die nicht gut laufen. Diese Risikotypen sind überall dabei, wenn irgendwas Neues passiert. Sie machen viele Unfälle, das Verbotene reizt sie. Es sind aber oft trotzdem gute Typen und wenn sie erwachsen sind, sind sie auch oft erfolgreich im Berufsleben. Die haben «Sprutz», sind innovativ und bewegen etwas. Man muss sie manchmal aber eng betreuen, damit es gut geht. Schnell erwischen, klare Bedingungen aufstellen, durch eine Krise begleiten, immer an der mal längeren, mal kürzeren Leine führen.

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