Immer mehr Menschen fühlen sich gestresst. Neuste Zahlen zeigen, dass inzwischen mehr als ein Viertel der Schweizer Erwerbstätigen bei der Arbeit unter Stress leidet. Die stetig steigenden Anforderungen am Arbeitsplatz, verbunden mit der permanenten Erreichbarkeit durch die Digitalisierung, führen zu einem hohen Zeit- und Leistungsdruck. Die Arbeitswelt ist rauer und schnelllebig geworden, der marktwirtschaftliche Wettbewerbsdruck hat sich verstärkt. Zudem gilt es, Beruf und Privatleben miteinander zu vereinbaren. Der Begriff Burn-out hat in den letzten Jahren denn auch enorm an Bedeutung gewonnen. Doch was genau ist Burnout? Und welche Rolle spielt dabei die Arbeit?
Positiver und krank machender Stress
Stress per se ist nicht zwangsläufig negativ. Ganz im Gegenteil, es gibt auch einen positiven Stress, und den brauchen wir. Er stimuliert uns. Ohne ihn würden wir das Leben als weniger anregend, abwechslungsreich und zufriedenstellend erleben, es gäbe keine Herausforderungen, an denen wir wachsen, unser Denkvermögen schärfen, den Körper stärken und unsere Fähigkeiten verbessern könnten. In der Forschung wird entsprechend zwischen positivem Stress (Eustress) und negativem Stress (Distress) unterschieden. Schon in der frühen Menschheitsgeschichte war Stress überlebenswichtig – als normale Anpassungsreaktion des Körpers an Gefahrensituationen: Die Ausschüttung von Stresshormonen wie Adrenalin und Kortison versetzte den Körper in Sekundenschnelle in höchste Handlungsbereitschaft, um entweder vor einer Gefahr zu fliehen oder sich dem Kampf zu stellen. Das ist heute nicht anders – entscheidend für die Gesundheit ist aber die richtige Balance, d.h. der Ausgleich von negativem Stress durch Entspannungs- und Erholungsphasen.
Stress bezeichnet letztlich ein subjektiv wahrgenommenes Ungleichgewicht von externen Belastungen einerseits und den verfügbaren Bewältigungsmöglichkeiten (Ressourcen) andererseits. Das Stressempfinden ist demnach individuell: Situationen, die bei der einen Person Stress auslösen, stellen für eine andere eine stimulierende Herausforderung dar. Wenn der Körper jedoch ständig im Stress, also in Alarmbereitschaft ist und zudem Ressourcen bzw. Möglichkeiten des Ausgleichs fehlen, dann führt das zwangsläufig zu physischen und psychischen Beeinträchtigungen. Hohe Arbeitsbelastung und Zeitdruck über lange Zeit sowie geringer Handlungs- und Entscheidungsspielraum gelten nebst anderen Faktoren als Auslöser von anhaltendem, sprich chronischem Stress.
Beunruhigend in dem Zusammenhang sind die jüngsten Zahlen des Bundesamts für Statistik: Gemäss der «Schweizerischen Gesundheitsbefragung» fühlten sich im Jahr 2017 gut 21 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer bei der Arbeit «meistens» oder «immer» gestresst (Männer 20,9%, Frauen 21,7%). 9 Prozent der Erwerbstätigen gaben sogar an, sich bei der Arbeit «tendenziell» bis «vollständig emotional ausgebrannt» zu fühlen. Der Bund selbst hält fest, dass psychosoziale Risiken wie Stress oder die Angst um den Arbeitsplatz zu den Arbeitsbedingungen gehören, die gesundheitsgefährdend sein können.
Noch gravierender fallen die Resultate der neusten Erhebung des «Job-Stress-Index» aus, den die Stiftung Gesundheitsförderung regelmässig ermittelt. Demnach betrug der Anteil der Erwerbstätigen, die unter arbeitsbedingtem Stress leiden, 27,1 Prozent im Jahr 2018. Er hat sich damit gegenüber 2016 mit 25,4 Prozent leicht erhöht; im Jahr 2015 lag der Anteil noch bei 22,5 Prozent. In die gleiche Richtung weist der Anteil erwerbstätiger Personen, die sich emotional erschöpft fühlen: Lag er in den Vorjahren bei rund einem Viertel der Befragten, tendierte er 2018 gegen 30 Prozent. Die Frage scheint somit berechtigt: Macht uns die Arbeit krank?
Was ist Burnout?
Das Burnout-Syndrom wurde zwar in vielfältigen Wissenschaftsstudien untersucht, bis heute gibt es jedoch keine eigentliche Definition. Zahlreiche Symptome finden sich auch bei anderen Krankheitsbildern, was eine eindeutige Diagnose schwierig macht. Damit sind verlässliche Aussagen über die Häufigkeit von Burnout nicht möglich und ergo nicht existent. Bis heute ist das Leiden nicht als eigenständige Krankheit anerkannt. Entsprechend existiert bislang auch keine einheitliche Klassifikation im ICD (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems), dem weltweit anerkannten Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen.
Gemeinhin bezeichnet Burnout einen Zustand ausgeprägter, in der Regel über Monate anhaltender emotionaler und mentaler Erschöpfung sowie körperlicher Ermüdung, der durch berufliche Überlastung entstehen kann. Betroffene haben das Gefühl, ausgebrannt (engl. «burn out») und verbraucht zu sein, ihre Batterien fühlen sich leer an. Das Gefühl der emotionalen Erschöpfung gilt als Kernmerkmal von Burnout, was wissenschaftlich gut belegt ist.
Als wissenschaftlicher Begriff wurde das Burnout-Syndrom in den 1970er-Jahren durch einen amerikanischen Psychoanalytiker geprägt. Als Synonym wurde früher – und auch heute noch – das Wort Erschöpfungsdepression verwendet, was nicht ganz präzis ist, weil ein Burnout nicht zwingend zu einer Depression führen muss. Die Symptome ähneln sich zwar mitunter stark, dennoch unterscheiden sich Burnout und Depression von der Ursache her.
Symptome
Burnout ist ein schleichender Prozess, der mitunter Monate oder Jahre unbemerkt bleiben kann. Meist sind die ersten Zeichen eine andauernde Müdigkeit und Erschöpfung, einhergehend mit verminderter Leistungsfähigkeit. Betroffene reagieren darauf zunächst mit einer gesteigerten Aktivität: Sie erhöhen ihren Einsatz am Arbeitsplatz, leisten Überstunden, verzichten auf Pausen und gönnen sich keine Erholungsphasen mehr. Das Ausbrennen wird dadurch beschleunigt, das Gefühl der geistigen und körperlichen Erschöpfung nimmt zu. Ein Teufelskreis. Betroffene fühlen sich lustlos, antriebslos, zunehmend hilflos und ausgeliefert – gefangen in einem Hamsterrad ohne Ausweg. Statt zu agieren, können sie mehr und mehr nur noch reagieren. Hält der Stress weiter an, kommt es zu einer Distanzierung von der Arbeit, Interesseverlust, Konzentrationsstörungen, Gereiztheit, Zynismus und negativen Gefühlen gegenüber Mitarbeitenden, begleitet von Schlafstörungen und anderen körperlichen Symptomen. Am Schluss macht sich bei den Betroffenen Ohnmacht bis hin zu Verzweiflung breit, sie ziehen sich zurück und empfinden Widerwillen gegenüber sich und allem. Nichts geht mehr. Abschalten und Erholung sind schon lange nicht mehr möglich.
Obwohl eine einheitliche Definition fehlt, lassen sich bei einem Burnout folgende Kernmerkmale beobachten:
- Emotionale Erschöpfung. Sie gilt als zentrales Merkmal und bezieht sich auf das Gefühl, emotional, körperlich und geistig entkräftet zu sein. Die Betroffenen fühlen sich ausgelaugt.
- Zynismus und Distanzierung können auftreten und sich in einer gleichgültigen, distanzierten Wahrnehmung und Einstellung gegenüber der Arbeit, Arbeitskollegen und Arbeitskolleginnen und auch Kunden bemerkbar machen. In der Fachsprache werden diese Symptome als Depersonalisierung bezeichnet.
- Reduzierte persönliche Leistungsfähigkeit beschreibt das Gefühl, trotz grosser Anstrengung immer weniger zu leisten. Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten schwindet.
Ursachen
Die Ursachen, die zu einem Burnout führen, sind vielfältig und bislang noch nicht ausreichend untersucht. Wissenschaftler sind sich jedoch einig, dass chronischer Stress, der nicht mehr bewältigt werden kann, zentral zur Entwicklung eines Burnouts beiträgt. Stressoren, also Auslöser von häufigem und andauerndem Stress, finden sich ausgeprägt im beruflichen Kontext, etwa ungünstige Arbeitsbedingungen. Doch auch private Belastungen durch Familie, Ausbildung oder Beziehungsprobleme können als Stresstreiber wirken.
Die Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz hat in ihrem jüngsten Stress-Monitoring («Job-Stress-Index» 2018) aufgezeigt, dass ein klarer Zusammenhang zwischen Arbeitsbedingungen, Stress und gesundheitlicher Beeinträchtigung von Erwerbstätigen besteht. Demnach gehören die Arbeitsbedingungen zu den wichtigsten Einflussfaktoren für gesundheitsgefährdenden Stress. Welche Arbeitsbedingungen für häufige oder andauernde Stressreaktionen verantwortlich sind, haben verschiedenste Institutionen analysiert, u.a. die Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz in ihrem Stress-Monitoring, das Bundesamt für Statistik in der im Februar 2019 veröffentlichten «Schweizerischen Gesundheitsbefragung 2017» und das Seco in der «Stressstudie 2010». Zu diesen psychosozialen Risiken gehören etwa:
- hohe Arbeitsanforderungen
- hoher Zeitdruck
- geringer Gestaltungsspielraum
- arbeitsorganisatorische Probleme
- häufige Unterbrechungen
- emotionale Beanspruchung durch soziale Stressoren «Vorgesetzte» sowie «Arbeitskollegen und Arbeitskolleginnen»
- geringe Unterstützung
- Wertekonflikte
- Angst vor Arbeitsplatzverlust
Wissenschaftlich ist erwiesen, dass zwischen hoher Arbeitsbelastung und Zeitdruck einerseits und Burnout andererseits ein deutlicher Zusammenhang besteht.
Persönlichkeitsmerkmale
Nebst diesen externen Belastungsfaktoren gibt es aber auch Persönlichkeitsfaktoren, die einen Nährboden für Burnout bilden: So sind es häufig sehr motivierte und engagierte Menschen, die gefährdet sind. Auch ausgeprägter Ehrgeiz, Idealismus, Perfektionismus und hohes Verantwortungsbewusstsein, hohe Leistungsansprüche an sich selbst sowie überhöhte, unrealistische Erwartungen gehören zu den Merkmalen, die das Entstehen eines Burnout-Syndroms fördern können.
Weitreichende Konsequenzen
Stress bis hin zum Burnout-Syndrom verursacht nicht nur soziale Tragödien für Betroffene und Angehörige, sondern auch immense wirtschaftliche Kosten. Absenzen, Produktivitätseinbussen durch verminderte Leistungsfähigkeit oder innere Kündigung bis hin zu den Behandlungskosten stellen Gesellschaft, Unternehmen und Gesundheitswesen vor Herausforderungen. Die geschätzten Stresskosten zulasten der Schweizer Wirtschaft bezifferte Gesundheitsförderung Schweiz im Jahr 2016 mit 5,7 Milliarden Franken pro Jahr. Das entspricht immerhin 1 Prozent des Bruttoinlandproduktes. Die Suva geht aufgrund einer Studie davon aus, dass Stress in Zukunft zu einem der grössten Arbeitsplatz-Risiken überhaupt werden wird. Psychische und neurologische Krankheiten werden sich demnach bis ins Jahr 2030 um fünfzig Prozent erhöhen.
Angesichts dieser massiven Implikationen ist die Diskussion, ob Burnout eine Berufskrankheit ist, alles andere als unberechtigt. Tatsächlich hatte Nationalrat Mathias Reynard im März letzten Jahres eine parlamentarische Initiative eingereicht, die verlangt, das Burnout-Syndrom als Berufskrankheit anzuerkennen. Reynard argumentiert, dass das zunehmend häufiger auftretende Krankheitsbild durch eine solche Anerkennung besser berücksichtigt werden könne, etwa durch bessere Behandlung von Betroffenen, durch gesellschaftliche Akzeptanz und die damit verbundene Wiedereingliederung sowie durch Prävention. Seiner Initiative implizit ist, dass neu die Unfallversicherung und nicht mehr die Krankenkassen die Kosten einer Behandlung bezahlen müssten. Denn Letztere würde nur für die Kosten einer Depression aufkommen, was jedoch nicht der Realität des Burnout-Syndroms entspräche. Eine Ursache der zunehmenden Burnout-Fälle sei der Wandel in der Arbeitswelt und die veränderten Produktionsmethoden.
Die Gesundheitskommission des Nationalrats hat die Initiative diesen Februar mit 17 zu 7 Stimmen abgelehnt. Die Mehrheit argumentierte, dass Burnout-Erkrankungen nicht zweifelsfrei auf die berufliche Tätigkeit zurückgeführt werden können. Wichtiger seien die bereits laufenden Programm zur Prävention. Die Befürworter hingegen hielten es für stossend, dass die Krankenkasse und damit die Prämienzahlenden für eine beruflich bedingte Krankheit aufzukommen hätten. Sie führten zudem an, dass auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bestrebt sei, die Burnout-Erkrankung zu definieren.
Fazit: All die gut belegten Fakten zeigen, dass Burnout weit mehr als nur ein Modewort ist. Gleichwohl werden Betroffene noch immer stigmatisiert. Von daher ist die nationalrätliche Diskussion über Burnout in Bundesbern sicher zu begrüssen. Solange jedoch eine medizinisch klare Definition fehlt, wird die Anerkennung von Burnout als Berufskrankheit auf der politischen Ebene auch zukünftig einen schweren Stand haben. Dennoch kann die Politik Einfluss nehmen, indem sie die Bestimmungen des Arbeitsgesetzes nicht weiter verschärft. Wichtig bleibt insbesondere, dass Stressbetroffene selber um Vorbeugung besorgt sind, indem sie erste Zeichen wahr- und ernst nehmen und schon früh Gegenmassnahmen ergreifen. Auf der anderen Seite sind auch die Arbeitgeber in der Pflicht, und dies sogar gesetzlich: Sie müssen Rahmen- und Arbeitsbedingungen schaffen, die die Gesundheit der Arbeitsnehmenden schützen. Darin sind sie allein schon aus eigenem Interesse gut beraten.
Herzratenvariabilität – Diagnosemethode für Burnout
Unser Herz reagiert auf alles, was wir erleben, denken und fühlen, mit unmittelbaren präzis abgestimmten Variationen der Herzschlagrate. Damit vermag es sich an die ständig wechselnden Herausforderungen flexibel anzupassen. Während des Schlafens oder in Ruhe beispielweise sinkt die Zahl der Herzschläge, das Herz schlägt ruhiger. Dagegen lässt körperliche Anstrengung oder Stress die Herzschlagfrequenz ansteigen. Gesteuert werden diese Prozesse vom autonomen (oder vegetativen) Nervensystem bzw. von den beiden Gegenspielern Sympathikus und Parasympatikus, die Teil davon sind. So dominiert bei Aktivität oder Stress der Sympathikus, die Herzschlagintervalle gleichen sich einander an. Bei Schlaf oder in Ruhe übernimmt der Parasympathikus die Dominanz, was zu variierenden Zeiten zwischen den Herzschlägen führt. Diese sogenannte Herzratenvariabilität nutzt der Arzt Dr. Dieter Kissling vom ifa, Institut für Arbeitsmedizin, in Baden, um chronischen Stress oder ein allenfalls bereits existentes Burnout nachzuweisen. Dabei wird mittels Elektroden am Körper das Muster der Herzschläge über 24 Stunden aufgezeichnet. Je monotoner die gemessene Herzratenvariabilität ausfällt, desto chronisch gestresster oder gar Burnout-betroffen ist eine Person.