Ungleichheit bei der Lohngleichheit hält weiter an

Eine uralte Forderung kommt nicht vom Fleck

Was führt zu diesen nach wie vor eklatanten Unterschieden?

Die Schweizerische Lohnstrukturerhebung, die alle zwei Jahre durchgeführt wird, berücksichtigt einerseits sämtliche Branchen des Industrie- und Dienstleistungssektors sowie unternehmensspezifische Eigenschaften wie etwa die Firmengrösse. Andererseits erfasst sie auch strukturelle Faktoren wie etwa das Bildungsniveau, die Anzahl Dienstjahre oder die Ausübung einer Führungsfunktion. Somit ermöglicht sie eine differenzierte Analyse der Lohnstruktur und gewährt auch ein verfeinertes Bild mit Blick auf die geschlechtsspezifische Lohnsituation. Dabei bestätigt die jüngste Erhebung die sich hartnäckig haltende Benachteiligung von Frauen gegenüber Männern, wenn es um die Honorierung von gleicher Arbeit und Verantwortung geht. 

Klar, es gibt nachvollziehbare Gründe, weshalb Frauen im Schnitt weniger verdienen als Männer, etwa die berufliche Stellung. So stehen letztere in der Hierarchie von Unternehmen in der Regel weiter oben. Dennoch ist auch hier der Lohnunterschied umso grösser, je höher die Kaderstufe ist (vgl. Abb.). Ein anderer Grund liegt beim Bildungsniveau und dem ausgeübten Tätigkeitsbereich. Auch die Berufserfahrung – und damit das Alter – spielt eine gewichtige Rolle. Die Rechte moniert denn auch, dass die Lohnanalysen des Bundes die diskriminierende Situation der Frauen verzerrten, indem sie statt der tatsächlichen nur die potenzielle Berufserfahrung berücksichtigen würden. Letzteres entspricht dem Alter abzüglich den Jahren bis zum Schulabschluss. Somit blieben Karriereunterbrüche unberücksichtigt, denn Frauen haben durchschnittlich gesehen mehr und längere Unterbrüche in ihrer Berufskarriere und arbeiten in tieferen Anstellungs-Pensen. Entsprechend kritisierte Thomas Aeschi, Fraktionschef der SVP, die Modellrechnung des Bundes im St. Galler Tagblatt unlängst als lückenhaft: «Dass damit automatisch ein Handlungsbedarf bei den angeblich diskriminierenden Löhnen entsteht, ist unter diesen Voraussetzungen nicht verwunderlich.» Und er ist mit dieser Kritik längst nicht der einzige.

Tatsache ist aber auch: Obwohl Frauen bezüglich Bildung und Ausbildung im Vergleich zu ihren männlichen Mitstreitern längst aufgeholt haben, sind es immer noch sie, die überproportional in schlecht bezahlten Berufssegmenten arbeiten. Oder anders ausgedrückt: in typischen Frauenberufen im Tieflohnbereich. Im Jahr 2016 zum Beispiel waren Vollzeitstellen mit weniger als 4000 Franken Bruttolohn zu 62,7 Prozent von Frauen belegt. Frauen entscheiden sich ausserdem für Teilzeitstellen, um Zeit für unbezahlte Arbeit zu haben, sei es für die Familie oder die Pflege von Angehörigen.

Solange die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht durch Rahmenbedingungen, wie etwa bezahlbare Krippen und Tagesschulen, verbessert wird und es auch an einer gerechten Verteilung von bezahlter und unbezahlter (Care-)Arbeit fehlt, wird sich bei der Lohngleichheit so rasch nichts Wesentliches ändern. Dass Teilzeitarbeit nicht nachhaltig ist, zeichnet sich allerspätestens bei der Rente ab. Es besteht also weiterhin dringend Handlungsbedarf. Letztlich geht es auch um tief verankerte Geschlechterstereotypen, die die Lohngleichheit zwischen Frau und Mann nicht nur verhindern, sondern die Lohndiskrepanz mit ihren traditionellen Rollenbildern geradezu zementieren und folglich aufgebrochen werden müssen.

Wie sind die Aussichten?

Es gibt Stimmen, die den Frauen selber die Schuld zuschieben. Frauen treten demnach leiser und weniger fordernd auf als ihr männlichen Kollegen. Sie müssten einfach noch besser artikulieren, was sie wollen, so die Empfehlung von Arbeitgeberpräsiden Valentin Vogt. Aber liegt es wirklich an den Frauen, das gesetzlich verankerte Recht auf Lohngleichheit einzufordern? Müsste nicht vielmehr die Arbeitgeberseite Farbe bekennen und ihre Verantwortung übernehmen?

Fakt ist: Der Gang vor Gericht lohnt sich für Frauen oft nicht, wollen sie sich für die im Verfassungsgrundsatz festgelegte Gleichberechtigung wehren. Seit Inkrafttreten des Gleichstellungsgesetzes im Jahr 1996 kam es in der Deutschschweiz insgesamt zu lediglich 287 Lohnklagen, wovon 237 rechtskräftig waren. In 167 Fällen hatten Frauen geklagt, die übrigen betrafen Gruppen oder Verbände, mehrheitlich ebenfalls Frauen, und auch 9 Männer wehrten sich. Davon endeten 112 Verfahren vor der Schlichtungsbehörde und 113 vor Gericht. Vor der Schichtungsbehörde kam es in 69 Prozent zu einem Vergleich, während es vor Gericht nur gerade 12 Prozent waren. Gerichtlich wurden 51 der Fälle abgewiesen und lediglich 22 Prozent gutgeheissen. Dass die Chancen für erfolgreiche Lohnklagen so gering sind, liegt vor allem an der Schwierigkeit der Beweislage. Zudem gibt es kaum eine Transparenz bei den Löhnen, was Vergleiche schwierig macht. 

Es braucht daher mehr und deutliche Anstrengungen seitens Wirtschaft und seitens Politik. Jedenfalls mehr als nur Lippenbekenntnisse. Rezepte gäbe es theoretisch einige. Die Forderungen reichen von Mindestlöhnen über Lohntransparenz bis hin zu genereller Arbeitszeitreduktion und flexibleren Arbeitsbedingungen. Mit der Revision des Gleichstellungsgesetzes, die eine Pflicht zu regelmässigen Lohngleichheitsanalysen seitens der Unternehmen vorsah, wollte der Bundesrat die Lohngleichheit erreichen. Die Vorlage hat letztes Jahr im Ständerat Schiffbruch erlitten, das Geschäft wurde zurück an die Kommission geschickt. Ein Problem ist eben auch: Wenn die Politik handelt, schreit die Wirtschaft auf.

Nach Differenzbereinigungen hat das Parlament die Revision des Gleichstellungsgesetzes im vergangenen Dezember verabschiedet. Damit hat der Kampf um Lohngleichheit einen kleinen Fortschritt errungen, denn endlich sind verbindliche Massnahmen festgelegt. Allerdings wurden die ursprünglichen Vorschläge des Bundesrates stark verwässert. So sind neu Unternehmen ab 100 Angestellten zu Lohnanalysen verpflichtet. Der Bundesrat wollte die Schwelle bei 50 Angestellten ansetzen, was nur 2 Prozent aller Unternehmen, aber 54 Prozent aller Beschäftigten betroffen hätte. Nun sind es 0,85 Prozent aller Unternehmen und 45 Prozent aller Arbeitnehmenden. Ebenfalls wurden die Lohnanalysen auf 12 Jahre begrenzt, statt langfristig angelegt, und auch das Vierjahres-Intervall für die Wiederholung von Lohnanalysen wurde verworfen; Unternehmen, welche die Lohngleichheit einhalten, müssen keine weiteren Analysen mehr durchführen. Chancenlos blieben Kontrollen und Sanktionen. Trotz des kleinen Erfolgs: Angesichts der zahmen Revision muss es nicht erstaunen, dass Frauenverbände, Linke und Gewerkschaften zum Streik aufrufen, um ihren Anliegen einer kompromisslosen Umsetzung der Gleichstellung Gehör zu verschaffen.

 

Frauen*streik: 14. Juni 2019

Am diesjährigen Frauenstreik gehen Frauen und Gleichgesinnte schweizweit auf die Strasse, um gemeinsam Druck auf eine kompromisslose Umsetzung des Gleichstellungsgesetzes zu machen. Seit 1996 ist die Gleichstellung von Frau und Mann gesetzlich verankert – aber in zahlreichen Bereichen noch nicht konsequent umgesetzt. Allein die Lohngleichheit ist eine uralte Forderung im Kampf um Gleichberechtigung.

Der 14. Juni 2019 ist ein Freitag – ob die Frauen von ihren Arbeitgebern an diesem Tag eine Lizenz zum Streiken erhalten werden? In Zürich ist jedenfalls eine derartige schriftliche Anfrage aus dem Gemeinderat beim Stadtrat hängig.

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