Am 19. Mai 2019 stimmt das Schweizer Stimmvolk über das Bundesgesetz über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung (STAF) ab. Damit werden zwei wichtige Themen der Abstimmungskämpfe in den letzten Jahren kombiniert: eine Anpassung der Besteuerung von Unternehmen und die AHV-Finanzierung zur Sicherung der Renten. Die Meinungsbildung zur Abstimmungsvorlage ist komplex und schwierig. Die Meinungen der politischen Parteien sind geteilt, einzelne haben Stimmfreigabe erteilt. Die Meinungen bei den Verbänden und Gewerkschaften sind ebenfalls geteilt.
Wie schon das Interview mit Bundesrat Alain Berset zuvor, hat der vorliegende Artikel den Zweck, Aspekte der Vorlage aufzuzeigen und einen Beitrag bei der Meinungsbildung zu leisten.
Ausgangslage
Nach dem deutlichen Scheitern (59,1% Nein) der Unternehmenssteuerreform III (USR III) am 12. Februar 2017 an der Urne, wurde die Steuervorlage 17 (SV17) vom Bundesrat als Nachfolgeprojekt aufgegleist. Die Schweiz muss nach wie vor die Unternehmenssteuer anpassen, damit sie den internationalen Anforderungen entspricht und die Schweiz international wettbewerbsfähig bleibt. Im Rahmen der politischen Auseinandersetzung beschloss das Parlament in einem neuen Bundesgesetz über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung (STAF) diese Anpassung mit einer Finanzierungshilfe für die AHV zu verknüpfen. Letztere ist nach der Ablehnung der Vorlage «Altersvorsorge 2020» dringend notwendig. Gegen das Gesetz wurde das Referendum ergriffen.
In der nachfolgenden Betrachtung stehen die Auswirkungen der Vorlage auf die Finanzierung der öffentlichen Aufgaben im Vordergrund.
Was hat sich im Vergleich zur USR III verändert?
Vergleicht man die wesentlichen Eckwerte der früheren und der aktuellen Vorlage, wird ersichtlich, dass sich auf Bundesebene nur wenig geändert hat (siehe Abb. 1). Auf Ebene der Kantone und Gemeinden, wo die grössten Steuerausfälle zu erwarten sind, sieht auch die neue Vorlage keine Ausgleichsmöglichkeiten vor. Es ist also nach wie vor mit grossen Steuerausfällen und negativen Auswirkungen auf die kommunalen und kantonalen Finanzhaushalte zu rechnen. Die Bezeichnung «alter Wein in neuen Schläuchen» ist somit nicht völlig falsch.
Steuerpolitische Instrumente
Mittels den in der STAF neu zur Verfügung gestellten steuerpolitischen Instrumenten kann der steuerbare Gewinn um maximal 70% reduziert werden. Zu diesen Massnahmen gehören etwa die Patentboxen, Abzüge auf Eigenfinanzierung, die Aufdeckung von stillen Reserven oder erhöhte Abzüge für Forschung und Entwicklung (vgl. Abb. 2).
Es ist kaum vorstellbar, in welcher Höhe Steuerausfälle bei maximaler Ausnützung der steuerpolitischen Möglichkeiten entstehen könnten. Immerhin haben die Kantone die Möglichkeit, engere Grenzen zu setzen.
Abb. 3 zeigt, welche Auswirkungen die SV 17 bzw. STAF hat. Mit Hilfe der steuerpolitischen Massnahmen können Unternehmen ihren steuerbaren Gewinn bis zu einer Untergrenze von 30 % des ursprünglich steuerbaren Gewinns schmälern. Eine Nullbesteuerung durch Sonderregelungen soll gemäss Bund verhindert werden.
Kantonale Gewinnsteuersatzsenkungen
Sollte die STAF beim eidgenössischen Urnengang vom 19. Mai 2019 angenommen werden, müssen die kantonalen Steuergesetze angepasst werden. Für diesen Fall ist in praktisch allen Kantonen vorgesehen, die Gewinnsteuersätze massiv zu senken, was für die Steuerausfälle hauptsächlich verantwortlichen wäre. Eine Ausnahme bildet der Kanton Bern, wo am 25. November 2018 im Rahmen einer Referendumsabstimmung die kantonale Steuergesetzrevision 2019 verworfen wurde; sie hatte eine deutliche Gewinnsteuersatzsenkung mit enormen Steuerausfällen bei den juristischen Personen vorgesehen.
Fazit
Die politische Diskussion in den eidgenössischen Räten konzentrierte sich hauptsächlich auf die in der Sache wohl etwas themenfremde AHV-Finanzierung. Völlig vergessen bzw. total untergegangen sind in den Diskussionen die riesigen Finanzierungslücken, welche durch die Steuerausfälle bei den öffentlichen Dienstleistungen entstehen. Die Kombination von steuerpolitischen Massnahmen und kantonalen Gewinnsteuersatzsenkungen verursacht Steuerausfälle, welchen kaum Gegenfinanzierungsmassnahmen entgegenstehen. Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger des Kantons Bern zeigten, dass sie nicht bereit sind, die Lasten der Finanzierungslücken zu übernehmen, und lehnten die Steuergesetzrevision 2019 des Kantons Bern, die eine deutliche Gewinnsteuersatzsenkung bei den juristischen Personen beinhaltete, ab.
Vor diesem Hintergrund sollte sich jeder öffentlich Bedienstete vor der Abstimmung zur STAF am 19. Mai 2019 die folgenden Fragen stellen:
- Kann sich der schweizerische Service public einen Netto-Steuerausfall von über 2 Milliarden Franken leisten?
- Ist die Schweizer Bevölkerung bereit, mittels Steuererhöhungen die Finanzierungslücken zu schliessen?
- Was passiert bei einer Ablehnung der Vorlage?
Das zentrale Ziel der Vorlage ist die unbestrittene Abschaffung der bis heute privilegiert besteuerten Statusgesellschaften. Aber reichte es nicht aus, diese in einer Übergangsfrist in die ordentliche Besteuerung zu überführen und so auf den hochriskanten Totalumbau der Unternehmensbesteuerung zu verzichten?
Wäre es nicht an der Zeit den interkantonalen Steuerwettbewerb mit gezielten Massnahmen einzudämmen und auf eidgenössischer Ebene bei der Unternehmensbesteuerung einen Mindestgewinnsteuersatz festzulegen?