Solidarität und Eigenverantwortung – ein Widerspruch?

Welche Stossrichtung soll die Reform Ihrer Meinung nach haben, Frau Vogt?

Vogt: Seitens Avenir Jeunesse sind wir der Meinung, dass das Vorsorgemodell mit den drei verschiedenen Säulen, die unterschiedlichen Risiken ausgesetzt sind, so beibehalten werden sollte. Entsprechend ist es wichtig, keine «AHV-isierung» in die 2. Säule reinzubringen. Man muss der Fairness halber eine Lösung für die Personen kurz vor der Pensionierung solidarisch finanzieren, weil diese nicht kurzfristig umdisponieren können. Woran wir uns im vorliegenden Vorschlag stossen, ist, dass diese Übergangsrenten nach 15 Jahren – was bereits eine relativ lange Zeit ist – nicht wieder bei null sind, sondern dass es offenbleibt, wie es weitergeht. Aktuell werden 7 Milliarden Franken pro Jahr in der 2. Säule umverteilt. Die Solidarität zwischen Jungen und Alten ist damit ausgereizt und muss nicht noch mehr forciert werden. Hier kann man sich durchaus auch weiterreichende Gedanken machen.

Wie meinen Sie das?

Vogt: Eine junge Person, die in die Arbeitswelt eintritt, muss für Versprechen aufkommen, die einem jetzigen Rentner vor 40 Jahren gemacht wurden. Wir haben heute ganz andere Umstände als bei der Einführung des BVG. Im Schnitt wechsle ich alle fünf Jahre den Job, damals blieb man ein Leben lang beim selben Arbeitgeber und hatte dieselbe Pensionskasse. Es wäre doch wichtig, die Individuen stärker einzubeziehen etwa in die Frage, wie ihr Geld angelegt werden soll. Denkbar ist für mich, die Pensionskasse an den Arbeitnehmer statt an den Arbeitgeber zu binden.

Ist das Verständnis eines Versichertenkollektivs in einer Kasse etwas antiquiert angesichts der heutigen Arbeitswelt, Frau Albisser?

Albisser: Dem widerspreche ich. Erwerbsbiografien haben sich wohl verändert, aber Stellenwechsel sind nicht ein Problem für das Funktionieren der 2. Säule. Das PK-Netz steht klar hinter der paritätisch geführten beruflichen Vorsorge. Es ist zielführend, wenn gut ausgebildete Stiftungsrätinnen in den Anlageausschüssen beispielsweise auf nachhaltige Anlagestrategien für den gesamten Versichertenbestand hinarbeiten. Dieser Hebel ist viel effektiver als eine Individualisierung im Anlagebereich. Darüber hinaus ist eine kollektive Anlagestrategie individuellem Anlegen schlicht überlegen, weil Letzteres viel anfälliger auf Verwerfungen auf den Finanzmärkten ist. Ein Versicherungskollektiv kann Solidaritäten in den unterschiedlichsten Richtungen tragen, wie sie auch Frau Vogt angesprochen hat. Die Bindung der Vorsorgelösung an den Arbeitgeber darf nicht infrage gestellt werden.

Sie haben es als denkbar bezeichnet, dass die berufliche Vorsorge an den Arbeitnehmer statt an den Arbeitgeber gebunden wird. Befürworten Sie eine solche freie Pensionskassenwahl?

Vogt: Aber klar! Wenn ich mir den gesellschaftlichen und arbeitstechnischen Wandel überlege, ist es ein gangbarer Weg.

Wären die Versicherten diesem Entscheid gewachsen?

Vogt: Jeder Mensch trifft viel weitreichendere Entscheidungen, ob man heiratet oder nicht, Kinder in die Welt setzt oder nicht, da überlegt sich auch niemand, was das für Auswirkungen auf die eigene Vorsorge hat. Die Materie ist komplex, und es würde Unterstützung brauchen, das ist klar. Dafür gäbe es aber Intermediäre, wie wir das von Hypotheken kennen. Bei der Krankenkasse haben wir dieselben Fragestellungen. Wir leben heute in einer Gesellschaft, die sehr divers ist. Entsprechend sind auch die Ansprüche ganz unterschiedlich. Auch bei der Geldanlage: Die einen wollen sehr nachhaltig investieren, andere primär eine hohe Rendite. Wieso wissen alle viel zu wenig über die 2. Säule Bescheid? Weil das Wissen nichts nützt, man kann sowieso nichts ändern. Die wenigsten wählen den Arbeitgeber nach der Pensionskassenlösung aus. Wenn es einem wirklich etwas nützen würde, würde man sich auch besser informieren.

Frau Albisser, ist die freie Pensionskassenwahl eine Option, die Sinn ergeben könnte?

Albisser: Die freie Pensionskassenwahl ist die zu Ende gedachte Eigenverantwortung in der 2. Säule. Wenn man sich in der Branche umhört, ist der Widerstand allerdings gross. Interessanterweise auch bei Personen, die oft eine andere Haltung vertreten haben als wir. Die Grundidee der beruflichen Vorsorge ist die paritätische Führung über einen Stiftungsrat, der sich aus Arbeitnehmern und Arbeitgebern zusammensetzt. Bei der freien Pensionskassenwahl droht bei den Leistungen eine weitere Nivellierung nach unten, da die heute noch oft vorhandene Identifikation des Arbeitgebers mit der Pensionskasse wegfallen würde.

Text: Kaspar Hohler
Fotos: Claudio Zemp

PK-Netz 2. Säule – die Plattform der beruflichen Vorsorge für die Arbeitnehmenden und ihre Verbände

Nirgendwo verfügen die Arbeitnehmenden theoretisch über mehr gesetzliche Mitspracherechte als in der beruflichen Vorsorge. Die höchsten Organe aller Schweizer Pensionskassen sind streng paritätisch von Vertretern der Arbeitgeber und der versicherten Arbeitnehmenden organisiert. Aber an der richtig schlagkräftigen Einflussnahme auf die Pensionskassen durch die Mitarbeitenden fehlte es bis anhin. Hintergrund dürfte sein, dass die berufliche Vorsorge ein äusserst komplexes Themenfeld darstellt und sich zudem in einem schwierigen politischen und wirtschaftlichen Umfeld bewegt.

Vor einigen Jahren wurde deshalb das PK-Netz gegründet. Getragen wird es heute von 16 Schweizer Arbeitnehmendenverbänden. Die Mitgliederverbände repräsentieren gemeinsam rund 520 000 Mitglieder und machen das PK-Netz damit zum wichtigsten Netzwerk der Arbeitnehmerschaft in der beruflichen Vorsorge. Gleichzeitig ist das PK-Netz ein weiteres Beispiel erfolgreicher gewerkschafts- und verbandsübergreifender Zusammenarbeit. Mit der Vereinsgründung bekam das PK-Netz eine eigene Rechtsform und bezieht in sozialpolitischen Fragen auch aktiv Stellung.

Das ist eine gute Sache. Zur fachlichen Stärkung der Vertretung der Arbeitnehmenden in der Pensionskasse bietet das PK-Netz Weiterbildung mit konsequent auf die Arbeitnehmervertretung ausgerichteten Inhalten an.

Öffentliches Personal Schweiz hat sich entschieden, dem PK-Netz 2. Säule beizutreten und hat einen entsprechenden Antrag beim Verein PK-Netz gestellt, über den in den nächsten Wochen entschieden wird. Die Mitgliedschaft ist wichtig, um die Position der Arbeitnehmenden zu stärken. Wir werden uns im Verband auch engagieren und damit über einen ausgezeichneten Zugang zu den massgebenden Instanzen rund um die BVG verfügen.

Die beiden Beiträge zur beruflichen Vorsorge (hier vor und nachfolgend) sind vom PK-Netz initiiert und in einer ausführlichen Fassung auch auf der Webpage abgelegt. Ein Besuch lohnt sich: http://pk-netz.ch

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