… wie weiter?

Der öffentliche Dienst war und ist in der Krise funktionsfähig. Das ist nicht selbstverständlich, aber mit Freude festzustellen. Der Druck, den Weg aus dem Lockdown zu finden, ist gross. Die verschiedenen politischen Interessen versuchen, die Diskussion zu dominieren und den Bund, die Kantone und Gemeinden unter Zugzwang zu setzen. Wie ist zu reagieren?

Was wir jetzt brauchen, ist Ehrlichkeit. Das heisst: Die Politik, die Exekutiven aller Stufen, die Parlamente (wenn wieder im Dienst) müssen sagen, was sie beabsichtigen und weshalb. Sie müssen gleichzeitig sagen, ob sie Risiken in Kauf nehmen oder nicht, und wenn ja, warum. Was gar nicht geht, ist jetzt, Parteipolitik zu machen. Das hat leider schon in grösserem Umfang angefangen. Die schweizerische Bevölkerung, und dazu gehört auch der öffentliche Dienst, kann sehr wohl entscheiden, ob man bereit ist, gewisse Risiken in Kauf zu nehmen, um die Wirtschaft zu stützen, um das Leben zu leben, wie man es vor COVID-19 hatte, oder ob man das lieber nicht will.

Das ist eigentlich nicht besonders schwierig. Nur fangen jetzt viele an, Geschichten zu erzählen, um eine Lösung durchzusetzen, die sie aus anderen Gründen wollen. Es wird betont, es gäbe nur sehr wenige Kranke, es lohne sich nicht, den Lockdown aufrechtzuerhalten, man müsse jetzt an die Wirtschaft denken. Richtig ist, zu sagen, dass die Rückkehr in die Normalität Todesopfer fordern wird, dass diese aber nicht besonders gross an der Zahl sind und dass man hier im Sinne einer Interessenabwägung für die Wirtschaft Partei ergreifen muss. Und richtig wäre es auch, zu sagen, mit wie vielen Toten zu rechnen ist, wenn man verfährt, wie beabsichtigt. Dann kann die Diskussion geführt werden, und dann tragen auch alle die Mitverantwortung für das Ergebnis.

Das ist die übergeordnete Ebene. Konkret wird es für den öffentlichen Dienst im Detail. Das zeigt exemplarisch die Situation an den Schulen. Wie kann man auf die Idee kommen, den Präsenzunterricht wieder zu erlauben (natürlich mit dem Vorbehalt, es sei ein Schutzkonzept zu erarbeiten und umzusetzen, das die Schülerinnen und Schüler, die Eltern dieser Schülerinnen und Schüler und die Lehrpersonen schützt), gleichzeitig aber zu sagen, bei dem Wie der Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts handle es sich um schulorganisatorische Massnahmen, bei denen sich der Bund nicht einmischen wolle. Als wenn die Frage, ob ein durchschnittliches Klassenzimmer mit 25 Schülerinnen und Schülern den Abstandsvorschriften des BAG genügt, eine lokale Frage sei. Die Kriterien sind hier vom Bund zu setzen.

Man kann sagen, der öffentliche Dienst müsse bereit sein, dieses Opfer zu bringen, weil das für den Weg aus dem Lockdown wichtig sei; man muss dann aber auch realistisch sagen, dass Ausbildungssituationen wie beschrieben weder den bundesrechtlich vorgegebenen Abstandsvorschriften entsprechen noch in gesundheitlicher Hinsicht sicher sind. Was gar nicht geht, ist zu sagen, das sei nicht besonders gefährlich, weil Schülerinnen und Schüler nicht besonders ansteckend seien und man ja lüften könne. Der öffentliche Dienst ist durchaus bereit, für die Aufgabenerfüllung Risiken einzugehen; er ist aber nicht bereit, sich sagen zu lassen, es handle sich um gar keine Risiken, wenn jedermann klar ist, dass das nicht stimmt. Das ist mit Ehrlichkeit gemeint.

Die Parteipolitik spielt hier keine gute Rolle. Der Bundesrat hat mit klaren Anweisungen (umgesetzt in den COVID-19-Verordnungen) gut durch die Krise geführt. Er hat entschieden und bestimmt, was in den nächsten Tagen und Wochen gelten wird. Die Schnelligkeit, mit der das vorangegangen ist, und die Unmöglichkeit, mit der gleichen Geschwindigkeit an Sitzungen und Versammlungen die Parteipolitik auszurichten, hat zu guten Resultaten geführt. Selbstverständlich darf Notverordnungsrecht nicht der Massstab bleiben; aber es besteht kein Anlass, den Ausstieg aus dem Lockdown nicht ebenso autoritär zu vollziehen, wie dies bis anhin durch den Bundesrat geschehen ist.

Interessenpolitik ist, nachdem sich die Parteipolitik vom ersten Schrecken erholt hat, wieder wichtig geworden. Plötzlich kann man wieder irgendwelche Behauptungen lesen, weshalb man nun so oder anders verfahren soll und dass überhaupt die Parlamente, die Kantone und Gemeinden wieder Regie führen sollen. Das muss das Ziel sein, klar, das ist verfassungsrechtlich vorgegeben, aber in den nächsten Tagen und Wochen ist davon nicht viel zu erwarten. Die Kantone waren ja nicht einmal in der Lage, sich über die vergleichsweise einfache Frage, ob die Maturität nun mit oder ohne Prüfung – gestützt auf die bisherigen Erfahrungsnoten – erteilt werden soll, zu einigen. Alle machen es unterschiedlich, die einen führen keine Prüfungen durch, die anderen nur schriftliche – und alle mit unterschiedlichen Gewichtungen und Bewertungen. Das versteht eigentlich niemand, das ist aber Realität.

Der Wiedereinstieg ins Arbeitsleben ist eine ungleich wichtigere Frage. Der Entscheid, wie dies geschehen soll, kann nicht regional getroffen werden. Die Grundsätze, die zentralen Massnahmen und Weisungen, sind über die COVID-19-Verordnungen vorzugeben. Alles andere führt zu einem nicht mehr überschaubaren Durcheinander, geleitet, zumindest teilweise, von Partikularinteressen, die dann auch einen wirtschaftlichen Hintergrund und den Aspekt der Vorteilsnahme haben.

Der öffentliche Dienst wird seine Aufgaben erfüllen; das hat er in den letzten Wochen und Monaten bewiesen. Er wird dies umso besser tun, je klarer die Regeln sind und je ehrlicher mit ihm umgegangen wird. Wird gesagt, «ja, das ist ein Risiko», ist das eher akzeptabel, als wenn gesagt wird, «nein, das ist kein Risiko» – aber jedem ist klar, dass das nicht stimmt.

Damit wären wir bei den konkreten Massnahmen:

  • Es besteht zurzeit noch kein Anlass, Abstandsvorschriften nicht einzuhalten. Da sich der öffentliche Dienst räumlich nicht verdoppeln kann, wird das Homeoffice in der Verwaltung Realität bleiben müssen. Das wiederum setzt voraus, dass all jene, die sich nicht vorstellen können, dass jemand zu Hause auch tatsächlich arbeitet, von diesem Vorurteil Abschied nehmen. Und auch das ist richtig: Wir brauchen die sozialen Kontakte im Arbeitsumfeld. Allein mit Homeoffice lässt sich das nicht machen. Aber das wird wieder kommen, wenn die COVID-19-Krise vorbei ist.
  • Wir werden nach wie vor die besonders gefährdeten Mitarbeitenden schützen müssen; das wird nicht einfach sein, weil es davon viele gibt, wenn man auch die nächsten Angehörigen, mit denen man zusammenlebt, miteinbezieht. Es ist (heute noch) inakzeptabel, zu sagen, die Gefährdung bestehe nicht oder sei hinzunehmen. Das verstehen die Betroffenen nicht – und diejenigen, die nicht betroffen sind, werden sich an diesen Umgang mit den Mitarbeitenden erinnern. Sie sagen, das werde nicht so gehandhabt? Das ist ein Irrtum: Bei der Wiedereinführung des Präsenzunterrichts an den Schulen ist vorgesehen, dass die Lehrpersonen ohne weitere Vorkehrungen in den Klassenzimmern vor ihren Schülerinnen und Schülern sitzen. Eine Maskenpflicht wird abgelehnt, weil der Lehrtätigkeit abträglich,  das Gleiche gilt für Plexiglaswände und dergleichen; der Vorschlag, man könne die Klassenbestände halbieren, um die notwendige Distanz zu schaffen, wird abgelehnt. Also so unwahrscheinlich, wie man meinen mag, ist der zurzeit noch nicht erklärbare Rückbau des Gesundheitsschutzes nicht.

Gibt der Bundesrat seine Führung, die er bis anhin schnell und effizient wahrgenommen hat, an das Parlament und die Kantone ab, so wird dies zu keinen guten Ergebnissen führen. Das Parlament muss weitsichtig handeln, der Notfallmodus ist auf seine Strukturen nicht zugeschnitten. Und die Kantone sind innert vernünftiger Zeit nicht in der Lage, sich auf gemeinsame Positionen zu einigen. Die Diskussionen in der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) haben dies eindrücklich bewiesen – die eingenommenen Standpunkte folgen, wenig erstaunlich, in etwa den Parteilinien. Lässt man zu, dass eine gesundheitlich relevante, grundsätzliche Frage in jedem Kanton (und schlimmer noch, in jeder Gemeinde des betreffenden Kantons) anders entschieden wird, dann nimmt man dem bisher erfolgreichen Konzept des Bundesrates jede Glaubwürdigkeit.

Denn: Soll man an Massnahmen glauben, die ein Kanton durchzusetzen versucht, die aber im Nachbarkanton nicht gelebt werden? Dieser Vorgang wird dazu führen, dass alle Empfehlungen des BAG an Bedeutung verlieren – mit Auswirkungen auf die Durchsetzbarkeit von Notrecht in einer anderen Krise, die hoffentlich nicht kommen wird.

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