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Mara Hilfiker: Beim textilen Werken mit den Primarschülern werden im Fernunterricht keine Noten vergeben, da es sich nicht um ein Kernfach handelt und sich schwer überprüfen lässt, wer die Arbeiten schlussendlich gemacht hat. Das lässt dafür die Möglichkeit zu unbeschwerterem fantasievollem Wirken. Auf Dauer ist es aber gerade in diesem Fach zentral, mit den Kindern zusammenzuarbeiten. Hilfestellungen in der Handhabung zum Beispiel sind anders nicht machbar.
Rolf Keusch: Das wünsche ich mir ganz und gar nicht. Wir sind soziale Wesen und brauchen Kontakt – so wie der Wald den Regen… Lernstoff wirksam vermitteln kann ich mir bei der Sek II als Alternative gut vorstellen. Prüfungen führen wir keine durch, und es gibt auch noch keine Vorschläge dazu.
Was hat die Corona-Zeit mit den Schülerinnen und Schülern gemacht? Haben Sie den Eindruck, dass die jungen Menschen speziell unter den Einschränkungen zu beissen haben?
Rolf Keusch: Den Schülerinnen und Schülern fehlen die realen Begegnungen mit den Mitschülern. Ansonsten sind sie denselben Irritationen wie wir ausgesetzt.
Mara Hilfiker: Das individuelle familiäre Umfeld ist entscheidend. Die Eltern reagieren – auch je nach Kulturkreis – ganz unterschiedlich auf die gesundheitliche Bedrohung, indem sie teils ihre Familien wie in einer selbst auferlegten Isolation in der Wohnung eingesperrt halten. Dort sind die Kinder besonders betroffen. Allen geht es aber insofern gleich, als sie ihre Gspänli vermissen. Kontakte in ländlichen Gebieten ist viel einfacher möglich, als wenn die Kinder in Blockwohnungen ohne Balkon die Zeit ohne Aussenkontakte erdauern müssen.
Dani Burg: Einige haben einen grossen Schritt in ihrer Persönlichkeitsentwicklung gemacht. Sie haben geübt, mit sich selber umzugehen, und sie haben gespürt, wer und was für sie wichtig ist. Für viele ist die Situation jedoch mit schmerzhaften Einschränkungen verbunden. Einige leiden zum Beispiel darunter, dass die Sporttrainings abgesagt sind oder dass sie sich nicht in grossen Gruppen treffen können. Andere schildern die Situation aber auch als «paradiesisch»: schlafen, gamen, Töffli fahren….
Crispino Bergamaschi: Die Corona-Zeit hat bei den Studierenden wie bei den Mitarbeitenden Veränderungen verursacht: Die Studierenden mussten sehr flexibel reagieren, sich stärker selbst organisieren und lernen, mit Unklarheiten und veränderten Voraussetzungen umzugehen. Sie haben das in meiner Wahrnehmung hervorragend gemacht und dadurch auch etwas für die Zukunft gelernt. Ihre Fähigkeiten als «digital natives» sind ihnen dabei zugutegekommen. Die Mitarbeitenden mussten sich mit dem angeordneten Wechsel ins Homeoffice grundsätzlich neu organisieren, einen Arbeitsplatz einrichten, den Tagesablauf neu gestalten. Viele sahen sich aber gleichzeitig mit zusätzlichen Aufgaben konfrontiert, zum Beispiel in Folge der Schulschliessung Kinder betreuen und sie im Homeschooling unterstützen. Sie haben gemeinsam mit ihren Vorgesetzten unkompliziert und positiv auf diese Herausforderungen reagiert und umsetzbare Lösungen gefunden.
Freuen Sie sich auf die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts am 11. Mai resp. 8. Juni? Werden Sie die nun plötzlich erschlossenen technischen und didaktischen Möglichkeiten nutzen, weiterentwickeln und auch anwenden?
Crispino Bergamaschi: Ich hoffe, dass diese absolute Homeoffice-Zeit endlich sein wird und es wieder spontane Begegnungen im Lift und auf dem Gang gibt. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass einiges, was wir jetzt anders machen, in die zukünftige Tätigkeit und Zusammenarbeit einfliessen wird. Konkret wird sich erst noch weisen, wie sich die Zeit nach dem 8. Juni gestalten wird. Wir wären froh, nach diesem Datum Präsenzprüfungen durchführen zu können.
Dani Burg: Ich arbeite sehr gerne als Lehrer, und im Moment kann ich meine Aufgabe nur beschränkt erfüllen. Deshalb freue ich mich, ab dem 11. Mai die Jugendlichen wieder im direkten Kontakt beim Lernen zu unterstützen.
Rolf Keusch: Ja, ich freue mich, und – das darf man sagen – ich nehme gerne als positiven Aspekt der Krise mit, dass sich gewisse nötige Entwicklungsschritte beschleunigt haben.
Mara Hilfiker: Bei meinen Betreuungseinsätzen in der Schule haben die Schülerinnen und Schüler so viel Freude gezeigt, ihre Lehrerin wieder einmal zu sehen. Das hat mich im Herzen spüren lassen, wie wichtig der persönliche Kontakt für sie ist, und schon deshalb freue ich mich sehr auf die Wiederaufnahme des gemeinsamen Unterrichts, abgesehen davon, dass das textile Werken mit Primarschülern im Fernunterricht sehr rasch auch an praktische Grenzen stösst.
Marianne Keusch: Ab und zu werde ich die neuen Möglichkeiten schon anwenden, sie weiter entwickeln eher weniger. Ich bin nicht so der digitale Typ… Im Gesamten freue ich mich sehr, wenn das reale Leben im Klassenzimmer wieder Platz greifen darf.
Dani Burg: Wir haben die Elektronik bereits vor der Corona-Krise in einem sinnvollen Mass genutzt und dazu in sehr kurzer Zeit weitere Fortschritte erzielt und Chancen zu rascher gemeinsamer Erreichbarkeit entdeckt (Kommunikations-App oder Videokonferenzen). Aber diese Annehmlichkeiten sind nicht matchentscheidend für die Förderung der Jugendlichen.
Fabian Schambron hat in der April-Ausgabe der ZV Info festgestellt: «Lehren und Lernen sind soziale Vorgänge. Digital kann man sie simulieren, jedoch nicht ersetzen.» Trifft das für Sie zu, und wenn ja, mit welcher Bedeutung für Ihre Schulstufe? Gelingt es auch, Soziales in den Fernunterricht einfliessen zu lassen?
Mara Hilfiker: Im Werken an der Primarschule beruht der Kontakt mit den jungen Schülerinnen und Schülern sehr stark auf Vertrauen und Privatem. Der spielerische, handwerkliche und kreative Umgang mit den Materialien lässt viel Raum, dass sehr Persönliches einfliesst und erzählt wird. Das lässt sich im Fernunterricht nicht nachbilden. Die Kinder wollen ihre Lehrerin spüren und mit ihren Gspänli ungehindert zusammen sein. Die sozialen Vorgänge im Zusammenhang mit der Lehrperson und untereinander sind auf dieser Stufe zentral.
Crispino Bergamaschi: Ich sehe dies nicht so digital. Aus meiner Sicht hilft uns diese Krise, beschleunigt eine neue Normalität, eine neue Balance zwischen real und virtuell zu finden.
Marianne Keusch: Der kooperative Unterricht spielt eine wichtige Rolle, und es ist an unserer Schule Pflicht, kooperative Sequenzen in den Unterricht einzubauen. Miteinander und voneinander lernen ist die Devise. Dazu ist, meiner Meinung nach, die digitale Arbeit nicht geeignet.
Rolf Keusch: Ich akzeptiere das digital-dominierte Szenario nur als Reaktion auf eine aussergewöhnliche Situation und teile die Meinung von Fabian Schambron insbesondere, was die Volksschule angeht.
Dani Burg: Für die Realschule trifft die Aussage exakt zu, denn die jetzt notgedrungen bestehende digitale Dominanz beraubt die Schule vom wichtigsten Faktor, dem sozialen Umgang von Menschen mit Menschen.
Wie erleben Sie persönlich die Corona-Zeit, wie an Ihrem gemeinsamen Wohnort in der Siedlung? Was schätzen Sie daran, und was macht Ihnen am meisten Mühe? Was werden Sie davon in die Zukunft mitnehmen?
Rolf Keusch: Das Leben überrascht immer wieder. Niemand hätte eine solche Situation je für möglich gehalten. Die meisten von uns sind gesund, wir erleben einen wundervollen Frühling, und gleichzeitig trocknet die Landschaft – wie nie gesehen – aus. Wir leben mit völlig widersprüchlichen, irritierenden Gefühlen. Besonders erlebe ich, wie die Menschen positiv, verständnisvoll, friedfertig, liebevoll und mit viel Empathie miteinander umgehen. Es herrscht eine wohltuende – aber halt unheimliche – Ruhe. Wie schnell werden wir wohl wieder in unseren altbekannten Fortschrittsmodus wechseln?
Crispino Bergamaschi: Die Corona-Krise hat meinen Alltag ziemlich auf den Kopf gestellt. Die Führung der FHNW findet primär mit E-Mail oder per Videokonferenz statt. Viele externe Verpflichtungen sind weggefallen, wurden in die Virtualität oder in die Zukunft verschoben. Ich arbeite seit dem 16. März im Homeoffice am Drosselweg, habe mich gut eingerichtet und den Tagesablauf neu organisiert. Die Zusammenarbeit mit den Führungsgremien auf allen Stufen läuft sehr gut. Die Tage gehen wie vor Corona schnell vorbei. Was ich mir aber vermehrt herausnehmen kann, ist 1–2 Stunden ungestört an einem Thema zu arbeiten und einen Kaffee vor der Haustüre zu trinken und mit einem Nachbarn zu schwatzen. Was ich vermisse, sind die spontanen sozialen Kontakte mit Mitarbeitenden und Studierenden der FHNW, den unkomplizierten Austausch vor Ort. Darum freue ich mich auf die After-Homeoffice-Zeit.
Dani Burg: Für mich persönlich bedeutet die Corona-Zeit eine sehr angenehme Entschleunigung. Wenn ich das Mitleid mit Menschen, die unter der Corona-Zeit leiden, ausblenden kann, geniesse ich die Zeit. In unserer Siedlung haben wir deutlich mehr Kontakt untereinander als in «normalen» Zeiten. Ich pflege trotz den Verpflichtungen und dem Engagement für den Fernunterricht meine Hobbys, lese mehr und erlebe durch das Wegfallen vieler Termine praktisch keinen Zeitdruck. In einem Café zu essen und Zeitungen zu lesen, ins Kino zu gehen oder eine Velotour mit Auswärtsübernachtungen zu machen, vermisse ich schon. Der Verzicht darauf macht mir aber keine Mühe.
Marianne Keusch: Am Anfang der Corona-Krise war es für mich schlimm. Ich hatte Albträume, ob ich das mit diesem Fernunterricht überhaupt schaffe. Das ist jetzt besser. Was mich sehr beschäftigt und traurig macht, ist, dass ich meine Mutter nicht mehr im Altersheim besuchen darf. Sie ist dort erst seit einem halben Jahr und fühlt sich sehr einsam. Ich bin sehr froh, dass wir in einer Siedlung wohnen und wir ungezwungen unter den Bewohnerinnen und Bewohnern «über die Gasse» Kontakt haben und Gespräche führen können. Das ist schön. Alle sind viel mehr zuhause und haben mehr Zeit zum Schwatzen und sichaustauschen. Ich denke aber auch an jene Menschen, die krank sind oder unter Existenzängsten leben müssen. Ihnen gegenüber – das ist mir sehr bewusst – lebe ich in einer komfortablen Situation.
Mara Hilfiker: Die Agenda ist leergefegt, es besteht ein grosser Freiraum, aber es ist einer, der sich anfühlt, wie wenn ich in einer Glocke, in einem Vakuum wäre, und der mich zeitweise auch lähmt trotz der vielen Zeit, die zur Verfügung steht. Wo steuert diese Welt, unser Leben hin? Aber oft kann ich mich auch befreien und geniesse es, im Drosselweg zu sein, Gespräche mit den Nachbarinnen und Nachbarn zu haben oder mit den Hunden in die Natur hinauszugehen. Und was mich zusätzlich freudig überrascht: wie Kontakte mit Menschen, für die ich mir nie mehr Zeit genommen habe, plötzlich intensiver und tiefer wurden. Das gibt ein sehr beglückendes Gefühl.
Was werden Sie davon in die Zukunft mitnehmen?
Dani Burg: Ich glaube, ich werde künftig meinen Terminkalender etwas weniger füllen und mir bewusst mehr entschleunigte Phasen gönnen.
Marianne Keusch: Das entschleunigte Leben hat mich im Positiven dazu gebracht, dass für mich das lokale und nachhaltige Leben wieder wichtiger wurde. Ich freue mich auf Kontakte und Begegnungen in der Familie und mit Freunden und nehme mir vor, diese vermehrt und besser zu pflegen.
Rolf Keusch: Was nehme ich mit? Eine Erinnerung an eine Sonnenfinsternis – die hoffentlich bald vorbeigeht.
Mara Hilfiker: Ich werde die Beziehungen, die mir wichtig sind, aktiver und eingehender pflegen, mir Zeit nehmen dafür und noch besser auf die Balance zwischen beruflichem Engagement und privatem Leben achten.
Was wünschen Sie Ihren Schülerinnen und Schülern?
Marianne Keusch: Die Schülerinnen und Schüler mögen mit grossem Selbstvertrauen aus dieser Krise herauskommen, mit dem Gefühl, wir haben es geschafft, in eigener Verantwortung Aufgaben, Aufträge zu erledigen und unser Bestes zu geben. Eine solche Situation gab es noch nie. Alle, die gestärkt da rauskommen, sind bereit, schwierige Situationen zu meistern. Es gibt ein Sprichwort dazu: «Nicht für die Schule lernen wir, sondern für das Leben.» Eine Aussage, die wahrscheinlich gerade jetzt nicht nur eine Floskel ist. Ich wünsche ihnen auch, dass sie den Unterricht nach der Krise mit etwas anderen Augen ansehen, mehr Freude an den Schulstunden haben und sich freuen, wieder im Klassenverband zu arbeiten.
Dani Burg: Ich wünsche den Schülerinnen und Schülern, dass sie sich besser bewusst sind, wer und was ihnen wichtig ist, und dass sie die Fortschritte in ihrer Selbstständigkeit beibehalten können.
Crispino Bergamaschi: Die Studierenden und Mitarbeitenden sollen gesund bleiben, und ich hoffe, dass sie von dieser Krise auch etwas Positives mitnehmen können.
Mara Hilfiker: Ich hoffe für sie, dass die diffusen Ängste, die wir alle spüren, bei ihnen keine traumatischen Spuren hinterlassen und dass in der Gesellschaft keine Misstrauenskultur entsteht. Vor allem wünsche ich ihnen, dass sie bald wieder einen barrierefreien und unbeschwerten Umgang mit den ihnen vertrauten Menschen erleben dürfen.
Rolf Keusch: Die Schülerinnen und Schüler sollen spüren, dass sie in einer wunderbaren, aber sensiblen Welt leben, und sie mögen die wesentlichen Dinge des Lebens erkennen.
Ein herzliches Dankeschön an die Lehrpersonen vom Drosselweg in Wohlen für die Bereitschaft, über ihre Erfahrungen im Fernunterricht zu berichten. Dank ihnen konnte ein reiches Bild gezeichnet werden, wie Volksschulen und die Fachhochschule Nordwestschweiz auf die Schliessung der Schulen reagiert haben, um den Bildungsauftrag weiter erfüllen zu können, und wie zudem die Schülerinnen und Schüler und sie persönlich mit der schwierigen Zeit umgegangen sind.
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