Zu müde fürs Kino

Zu müde fürs Kino. Oder für Sex. Zwei Drittel der Antwortenden in der VPOD-Befindlichkeitsumfrage geben an, sich nach einem normalen Arbeitstag kaum mehr zu Aktivitäten aufraffen zu können. Am meisten stresst die ausufernde Bürokratie, die vom Kerngeschäft ablenkt.

1. Gesundheit und Stress

Die Umfrage spricht dafür, dass eine Mehrheit der Befragten eine recht robuste Natur besitzt. 76 Prozent, also mehr als drei Viertel, fühlen sich zumindest leidlich, lediglich 3 Prozent eindeutig nicht gesund. Dabei sind die Herausforderungen im Beruf hoch – für 42 Prozent betrifft das auch den körperlichen Bereich. Während aber die Ansprüche an die Physis für eine überwiegende Mehrheit (69 Prozent) konstant geblieben sind, haben die psychischen Belastungen zugenommen. Dieser Befund ist überaus deutlich: Drei Viertel (74 Prozent) geben an, dass in ihrem Job die psychische Belastung in den letzten vier Jahren grösser geworden ist. Übrigens: Die Schweizerische Gesundheitsbefragung 2017, im August 2019 veröffentlicht, kommt zu einem ähnlichen Ergebnis und hält fest, dass Stress und psychische Belastung seit der letzten Untersuchung 2012 klar zugenommen haben.

Die genauere Analyse nach Altersgruppen und Geschlecht zeigt, dass Frauen in der Frage der psychischen Belastung tendenziell etwas stärkere Angaben machen als Männer. Erstaunlich mag sein, dass es überproportional die jüngeren Männer und die Frauen der Gruppe 55 plus sind, die sich über eine Zunahme der psychischen Belastung beklagen. Was die Branchen anbelangt, so sind die typischen Frauenbranchen besonders stark durch eine Zunahme der psychischen Belastung geprägt. Im Sozialbereich inklusive Kinderbetreuung bejahen dies bei Männern und Frauen je 75 Prozent, in der Schule je 76 Prozent. Geschlechtsspezifisch ist der Befund im Gesundheitswesen, wo die Frauen (82 Prozent) deutlich stärker als die Männer (75 Prozent) von einer Zunahme der psychischen Herausforderungen sprechen. Möglicher Hintergrund: Frauen sind im Gesundheitswesen stärker in Berufen und Positionen, wo die Emotionen von Patientinnen, Vorgesetzten, Kolleginnen und Angehörigen direkt und ungefiltert spürbar sind. Männer sind möglicherweise eher an Orten und in Jobs, wo sie diese psychische Last etwas gedämpft wahrnehmen. Aber das ist Spekulation. Keine Spekulation ist dies: Eher oder eindeutig gestresst sind bei der Arbeit zwei Drittel (67 Prozent) der Antwortenden. Trotzdem geben ebenso viele (68 Prozent) an, dass sie mit ihrer Arbeitssituation eher oder ganz zufrieden sind. Daraus lässt sich folgern, dass ein grosser Teil der Gestressten mit leichtem oder sporadischem Stress im Allgemeinen gut umgehen kann, dass ihnen die Freude an der Arbeit noch nicht verloren gegangen ist.

2. Ab- und Entgrenzung

Dass die Entgrenzung der Arbeit durch die digitalen Medien voranschreitet, dürfte unumstritten sein. Schon die Einführung des Telefons im Privathaushalt hat es dem Arbeitgeber erleichtert, Angestellte zu Sondereinsätzen aufzubieten. Vor der Einführung des Mobiltelefons gab es allerdings ein Recht auf Unerreichbarkeit, das heute zunehmend verlorengeht. Noch verstärkt wird die Entwicklung durch Dienste wie WhatsApp: Es ist sehr viel bequemer, eine Pflegefachfrau per WhatsApp-Nachricht «aus dem Frei zu holen», als sie in einem direkten telefonischen Gespräch darum zu bitten. Je nach Betriebsklima ist es so oder so schwer bis unmöglich, dann Nein zu sagen. Diese Entgrenzung wird auch in unserer Umfrage sichtbar. Die Ferien, in denen eigentlich keine Rückkoppelung mit dem Arbeitgeber stattfinden dürfte, sind dabei vergleichsweise noch am stärksten geschützt. Es sind «nur» 8 Prozent, die in den Ferien beruflich erreichbar sind (weitere 18 Prozent haben «trifft eher zu» angekreuzt). Mit anderen Worten: Für drei Viertel der Antwortenden (76 Prozent) sind die Ferien weitgehend, für noch die Hälfte vollkommen von Beruflichem befreit – abgesehen natürlich von den Träumen und Alpträumen, die einen auch im Hotelbett an der Adria oder in der Walliser Ferienwohnung einholen können. Die Erreichbarkeit ist das eine, die «gefühlte» Verpflichtung, noch Arbeiten zu vollenden, Telefonate zu führen oder Mails zu checken, etwas anderes. Von dieser – möglicherweise nicht explizit angeordneten – Arbeit zu Hause sind deutlich mehr Personen betroffen: Für 18 Prozent ist das Alltag, bei weiteren 23 Prozent kommt es nicht selten vor. Erhellend ist auch der Vergleich zwischen geforderter und selbstgenutzter Flexibilität. Der VPOD hat seit je gesagt, dass er sich nicht gegen flexiblere Arbeitszeitmodelle sperrt, sofern die Flexibilität eine gegenseitige ist. Es darf nicht sein, dass lediglich der Arbeitgeber profitiert und unterschiedlichen Arbeitsanfall auf diese Weise «elegant» auf die Beschäftigten überwälzt. Sondern es gehört dazu, dass auch private Bedürfnisse, sei es ein verlängertes Wochenende für eine Reise, sei es kurzfristig freie Zeit für Betreuungs- oder Pflegeaufgaben, von dieser Flexibilität profitieren. Dass die Balance hier nicht stimmt, belegt die Umfrage. 63 Prozent geben an, dass von ihnen Flexibilität erwartet wird, nur 52 Prozent können auch ihrerseits – «für eigene Bedürfnisse und Verpflichtungen» – von Flexibilität profitieren.

3. Das Arbeitsumfeld

Die Umfrage hat vielerlei Rückmeldungen ergeben, die die Arbeitswelt als nicht sehr angenehmen Ort schildern. Daher sticht ein Ergebnis besonders positiv hervor: Unter den Kolleginnen und Kollegen herrscht am Arbeitsplatz ein gutes Einvernehmen. Es sind 94 Prozent, die sich mit den Kolleginnen und Kollegen gut verstehen; fast die Hälfte, nämlich 48 Prozent, stimmt der Aussage sogar ohne jeglichen Vorbehalt zu. Wenn es also Schwierigkeiten am Arbeitsplatz gibt, dann haben diese mutmasslich nichts mit Konflikten auf der gleichen Hierarchiestufe zu tun. Etwas wahrscheinlicher ist es, dass die oder der Vorgesetzte daran (mit)schuld ist. Aber auch den Chefinnen und Chefs stellen die Umfrageteilnehmenden zu 61 Prozent ein übers Ganze gesehen gutes Zeugnis aus, immerhin 17 Prozent sogar ein sehr gutes. Praktisch deckungsgleich (62 Prozent Zustimmung) ist das Bild, wenn danach gefragt wird, ob man mit Problemen oder Anregungen an vorgesetzter Stelle Gehör findet. Der negative Extremwert – Ärger mit der Chefin, das Gefühl, beim Vorgesetzten auf Granit zu beissen – liegt zwischen 14 und 11 Prozent.

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