Die Theorie ist bekannt: Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Sie müssen für gleichwertige Arbeit gleich entlöhnt werden. Was gut klingt und auch von der Bundesverfassung vorgeschrieben wird, entspricht aber leider noch immer nicht der Wirklichkeit: Frauen verdienen rund 14 % weniger als Männer.
Frauen verdienen im Durchschnitt noch immer weniger als Männer. Den Lohnunterschied veranschaulicht der Aktionstag «Equal Pay Day», der in diesem Jahr am 18. Februar 2023 stattfand. Das Veranstaltungsdatum variiert von Jahr zu Jahr und verdeutlicht den Lohnunterschied: Beginnen Mann und Frau am 1. Januar 2023 mit ihrer Arbeit, bekommt ein Mann ab dem 1. Januar 2023 sein Gehalt; eine Frau arbeitet hingegen bis zum 18. Februar 2023 gratis. Dieser Zeitraum entspricht einer Lohndifferenz von 13.8 %. Im vergangenen Jahr fand der Equal Pay Day am 20. Februar 2022 statt. Damit verbesserte sich der Lohnunterschied zwar leicht, aber es besteht noch erhebliches Entwicklungspotential. Immerhin: der erste Equal Pay Day im Jahr 2009 fand erst am 15. März statt. Dies entsprach einer Lohndifferenz von 19.3 %.
Aktionstag 2023
Der nationale Aktionstag wurde von der überparteilichen Frauenorganisation alliance F und den BPW Switzerland (Business & Professional Women) organisiert. Der Schwerpunkt des diesjährigen Equal Pay Day lag auf dem Projekt «Check your Salary». Die von alliance F lancierte Plattform www.checkyoursalary.ch informiert prägnant zum Thema Lohn- und Chancengleichheit. Den Unternehmen wird ein einfacher und schneller Zugang zur Lohngleichheitsanalyse ermöglicht. Ziel ist, dass möglichst viele Unternehmen ihre Saläre überprüfen und ihr Engagement öffentlich bekannt machen, um eine tatsächliche Lohngleichheit zu realisieren.
Was kann die Einzelne tun?
Auch wenn es in der Verantwortung der Unternehmen liegt, die Gleichstellung am Arbeitsplatz zu fördern und umzusetzen, kann sich jede Arbeitnehmerin (und jeder Arbeitnehmer) für mehr Lohngleichheit engagieren. Auf der Website Check your Salary zeigt alliance F auf, wie frau sich für ein gleichberechtigtes Arbeitsumfeld einsetzen kann:
- Engagement: Wer etwas erreichen möchte, muss Gelegenheiten zur Übernahme neuer Aufgaben, Verantwortungsbereiche und Herausforderungen nutzen und sich proaktiv dafür empfehlen. Wer seine Ideen einbringt, sich engagiert und interessiert zeigt, erhält oft auch die Chance, sich zu beweisen. Nur wer seine Komfortzone ab und zu mal verlässt, kann sich und anderen beweisen, wozu sie fähig ist.
- Potential erkennen und geschickt verhandeln: Wer sein Potential kennt, steigt sicherer in Lohnverhandlungen oder Bewerbungsgespräche ein. Für letztere gilt, dass nicht alle Voraussetzungen einer Stellenausschreibung erfüllt sein müssen; in der Regel reichen rund 60 – 70 %, um zum Gespräch eingeladen zu werden. Für Lohnverhandlungen gilt, dass eine gute Vorbereitung massgeblich zum Erfolg beiträgt. Eine bessere Verhandlungsbasis kann geschaffen werden, wenn die branchenüblichen Löhne (beider Geschlechter) bekannt sind. Hier hilft der Lohnrechner (www.lohnrechner.ch).
- Solidarität unter Frauen: alliance F und BPW Switzerland machen es vor: Sich gemeinsam für die eigene Sache einzusetzen macht stark! Es ist wichtig, dass sich Frauen gegenseitig den Rücken stärken und gemeinsam gegen geschlechterspezifische Rollenstereotypen im Arbeitsalltag ankämpfen. Gegen Vorurteile und Schubladisierungen kann gemeinsam erfolgreicher vorgegangen werden.
Verfassungsrechtlicher Anspruch auf Lohngleichheit
Der nach wie vor bestehende Lohnunterschied ist umso störender, als ein verfassungsrechtlicher Anspruch und ein einklagbares Recht auf Lohngleichheit besteht (Art. 8 Abs. 3 BV). Der Anspruch besteht sowohl gegenüber öffentlichen als auch privaten Arbeitgebern. Konkretisiert wird der Anspruch im am 1. Juli 1996 in Kraft getretenen Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann (Gleichstellungsgesetz).
Das Lohngleichheitsgebot ist verletzt, wenn jemand beim gleichen Arbeitgeber für die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit aufgrund des Geschlechts unterschiedlich entlöhnt wird. In der Regel ergeben sich geschlechtsbezogene Lohnunterschiede durch
- die generelle Einstufung einer bestimmten Funktion im Rahmen eines Lohnsystems oder
- aufgrund der konkreten Entlöhnung einer bestimmten Person im Vergleich zu einer Person des anderen Geschlechts (in derselben oder einer gleichwertigen Funktion).
In der Praxis problematisch ist die generell tiefere Einstufung von typischen Frauenberufen im Vergleich zu typischen Männerberufen. Im Hinblick auf den akuten Fachkräftemängel muss die generell tiefere Einstufung von Berufen mit typischerweise hohem Frauenanteil – wie es häufig im Gesundheitswesen oder in Lehrberufen auf Primarschulstufe vorkommt – überprüft und die entsprechenden Lohnstrukturen angepasst werden.
Indirekte Diskriminierung
Ebenso bedeutsam für den noch immer herrschenden Lohnunterschied ist die indirekte Diskriminierung. Eine solche liegt vor, wenn für die Einreihung der Arbeit oder Funktion in ein Lohnsystem grundsätzlich neutrale Kriterien verwendet werden, diese aber auf wesentlich mehr Frauen als Männer eine benachteiligende Auswirkung hat. Sieht ein Betrieb oder eine öffentliche Verwaltung beispielsweise vor, dass für Angestellte mit einem Arbeitspensum von weniger als 80 % oder generell Teilzeitarbeitende keine Aufstiegsmöglichkeiten bestehen und Teilzeitarbeit (mit einem Pensum von unter 80 %) vorwiegend von Frauen ausgeführt wird, liegt eine indirekte Diskriminierung von Frauen vor.
Zu den nur scheinbar neutralen Kriterien zählen die Ausbildung, das Alter, das Dienstalter, der Anstellungsbeginn, die Qualifikation oder die berufliche Erfahrung. Frauen, die ihre Erwerbstätigkeit insbesondere im Zusammenhang mit der Gründung einer Familie häufiger unterbrechen als Männer, werden durch die Anwendung dieser Kriterien öfter benachteiligt.
Gleichstellungsstrategie 2030 des Bundes
Der Bundesrat möchte die Gleichstellung der Geschlechter gezielt fördern und hat deshalb im April 2021 die Gleichstellungsstrategie 2030 verabschiedet (ZV Info berichtete in der Ausgabe Juni 2021). Ziel ist, die Lohndiskriminierung im öffentlichen und privaten Sektor zu beseitigen. Der Bundesrat erachtet gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit als wichtigen Faktor, damit Frauen in den Arbeitsmarkt einsteigen, dort verbleiben und nach einem allfälligen Mutterschaftsurlaub wiedereinsteigen. Die Förderung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit von Frauen steht im Fokus.
Der Bund stellt den Unternehmen hierfür ein Standard-Analyse-Tool (Logib) zur Verfügung. Unternehmen können damit selbst eine Lohngleichheitsanalyse durchführen. Beschäftigt ein Unternehmen mehr als 100 Mitarbeitende, ist es gemäss Gleichstellungsgesetz zur Durchführung einer Lohngleichheitsanalyse verpflichtet (Art. 13a ff. Gleichstellungsgesetz).
Lohngleichheit in Bundesverwaltung gewährleistet
Die öffentliche Hand hat bei der Förderung der beruflichen Gleichstellung Vorbildfunktion und die Bundesverwaltung geht mit gutem Beispiel voran. Die von einer unabhängigen Stelle überprüfte Lohngleichheitsanalyse im Jahr 2022 hat gezeigt, dass in der Bundesverwaltung die Lohngleichheit gewährleistet ist.
Im Jahr 2016 wurde zudem die Charta der Lohngleichheit im öffentlichen Sektor lanciert. Bis heute wurde sie von 17 Kantonen, 131 Gemeinden und vom Bund unterzeichnet. Seit 2019 haben überdies staatsnahe Betriebe und Unternehmen mit öffentlichem Auftrag die Möglichkeit, der Charta ebenfalls beizutreten. Stand heute wurde sie von 94 Betrieben unterzeichnet.
Die unterzeichnenden öffentlichen Verwaltungen und Betriebe haben ihr Engagement zur Umsetzung der Lohngleichheit intensiviert. Die detaillierten Bestrebungen der einzelnen Kantone, Städte, Gemeinden und Unternehmen können in der auf der Website Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann abrufbaren Broschüre «Auf dem Weg zur Lohngleichheit» nachgelesen werden.