Aufkreuzen im Kopf

Schlaue Junge, weise Alte

Lea Bartsch hat nun untersucht, wie junge Erwachsene im Alter von 18 bis 32 Jahren und ältere Erwachsene zwischen 65 und 80 Jahren von dieser Gedächtnisstrategie profitieren können. Wie sich zeigte, half die Technik vor allem den Jüngeren. Sie konnten sich Informationen deutlich besser merken, während die Älteren kaum einen Nutzen aus dem Gedächtnistraining ziehen konnten. «Zumindest gilt dieser Befund für einmalige, kurze Trainingssequenzen», sagt Lea Bartsch, «mit wiederholtem Training der Strategie können auch Ältere ihre Gedächtnisleistung über Wochen hinweg verbessern.»

Mit dem Älterwerden wird aber nicht einfach alles mühsamer, sondern die Qualitäten des Lernens verändern sich. Zwar ist das junge Gehirn besonders formbar, leistungsfähig und aufnahmebereit. Kinder und junge Erwachsene verfügen deshalb, wie es in der Psychologie heisst, über eine hohe fluide Intelligenz. Die Älteren haben dagegen mehr Mühe, sich völlig neues Wissen anzueignen. «Aber ein altes Gehirn kann auch manches besser», sagt Susan Mérillat.

Ältere Menschen können beispielsweise neue Informationen gut mit dem Wissen, das sie sich über das Leben hinweg erarbeitet haben, verknüpfen. Die Psychologie spricht in diesem Zusammenhang von kristalliner Existenz. Anders gesagt: Während die Jüngeren schlau und gewieft sind, sind die Älteren vielleicht weise. Sie können die altersbedingten Einbussen ihrer Gehirnleistung durch ihre Erfahrung kompensieren. Es ist nicht die einzige Kompensationsleistung, zu der unser Denk­organ fähig ist. Sie kann so weit gehen, dass bestimmte Gebiete des Hirns für andere einspringen und deren Funktion übernehmen, wenn Letztere krankheitsbedingt beeinträchtigt sind oder ausfallen. «So hilft der visuelle Kortex zum Beispiel beim Tasten mit, wenn jemand nicht mehr sehen kann», sagt Susan Mérillat.

Kognitive Reserven anlegen

Auch dies ist ein Beleg dafür, wie unglaublich plastisch, veränderbar und lernfähig unser Gehirn bis ins Alter ist. Vorausgesetzt, dass wir neugierig und wissensdurstig bleiben. «Es lohnt sich, im Verlauf des Lebens kognitive Reserven anzulegen – von diesem Kapital können wir im Alter zehren», sagt Susan Mérillat. So hat eine Untersuchung ihrer Kollegin Isabel Hotz am Universitären Forschungsschwerpunkt «Dynamik gesunden Alterns» gezeigt, dass eine gute Ausbildung und lebenslanges Lernen auch im hohen Alter Früchte tragen: Hotz’ Lang-zeitstudie, in der sie Daten von mehr als 200 Senio­rinnen und Senioren analysierte, macht deutlich, dass bestimmte Degenerationsprozesse im Hirn bei Akademikerinnen und Akademikern weniger schnell voranschreiten und altersbedingte Einschränkungen besser kompensiert werden. Es zahlt sich also aus, geistig rege und interessiert zu bleiben. Dies scheinen sich viele ältere Menschen in der Schweiz zu Herzen zu nehmen: Denn der Bildungshunger unter den Seniorinnen und Senioren ist gross, wie eine andere Studie der UZH kürzlich feststellte. Das trifft sich gut. Denn die Neugier ist der Motor des Lernens, sagt Nora Raschle.

Dr. Lea Bartsch, l.bartsch@psychologie.uzh.ch
Dr. Susan Mérillat, susan.merillat@uzh.ch
Prof. Nora Raschle, nora.raschle@jacobscenter.uzh.ch

Text: Roger Nickl

Universitärer Forschungsschwerpunkt

Gut leben im Alter

Wie gelingt ein gutes Leben im Alter? Schwerpunkt der Forschung am Universitären Forschungsschwerpunkt «Dynamik Gesunden Alterns» an der UZH ist die Frage, wie Menschen vor allem im späteren Erwachsenenalter ihre Lebensqualität erhalten können. Hierbei werden verschiedene Facetten von Lebensqualität untersucht, zum Beispiel geistige und körperliche Gesundheit und Aktivität, Motivation, Persönlichkeit oder die Struktur und Funktion des Gehirns und in diesem Zusammenhang auch das Lernen. Die Vision des UFSP Dynamik Gesunden Alterns ist es, neue Standards für die Alternsforschung zu etablieren. www.dynage.uzh.ch

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