Während wir als Kinder und junge Erwachsene mit Rückenwind lernen, fällt es uns im Lauf des Lebens zunehmend schwerer, uns neue Fähigkeiten anzueignen. Doch es ist wie beim Segeln: Man kann auch bei Gegenwind vorankommen – man muss nur wissen, wie.
In manchen Sprichwörtern mag ein Körnchen Wahrheit stecken. Einige sind aber schlicht und einfach falsch – und zwar wissenschaftlich beglaubigt. «Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr» ist eine solche Zuckersäckchen-Weisheit. «Sie ist einer von vielen Mythen, die sich um das Thema Lernen ranken», sagt Neuropsychologin Nora Raschle, die am Jacobs Center for Productive Youth Development der UZH die Entwicklung des Gehirns bei Kindern und Jugendlichen und in diesem Zusammenhang auch das Lernen erforscht.
Zwar ist die Wissenschaft noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts davon ausgegangen, dass das ausgereifte Hirn – also mit zirka 25 Jahren – sich nicht mehr weiterentwickelt und so das Hänschen-Sprichwort eben doch stimmt. Seit den späten 1980er-Jahren hat sich dies jedoch grundlegend geändert. Denn die Forschung auch an der UZH zeigte und zeigt seither in immer neuen Studien, dass sich unser Denkorgan ein Leben lang verändert und mehr oder weniger flexibel bleibt. Diese Plastizität, wie es die Wissenschaft nennt, ist die Grundlage dafür, dass wir von Kindsbeinen an bis ins höhere Alter lernen und uns weiterentwickeln können.
Wir sind geborene Wissenschaftler
Doch die Bedingungen für unsere Lernreise durch das Leben ändern sich massiv. Als Kinder lernen wir mit Rückenwind. «Wir werden quasi als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geboren», sagt Neuropsychologin Raschle, die zu ihrer Forschung auch den Blog «Born a Scientist» betreibt, «Kinder sind enorm neugierig, erkunden ihre Umgebung, probieren Sachen und loten Grenzen aus.» Vieles lernen sie einfach nebenbei. Sie lernen zu laufen, zu sprechen, zu lesen. Später gelingt es ihnen immer besser, sich in andere hinzuversetzen, ihre Gefühle zu regulieren und über Dinge vertieft nachzudenken. Das Gehirn ist in dieser Zeit enorm flexibel, dynamisch und aufnahmebereit. Die Nervenzellen sind dicht verwoben, die neuronalen Netzwerke anpassungsfähig und die Kommunikation zwischen den Zellen läuft wie geschmiert. Im Lauf des Erwachsenenalters verändert sich dies zusehends. Mit dem Älterwerden nehmen Masse und Volumen des Hirns ab und die Nervenzellen in unserem Kopf leiten Informationen nicht mehr so schnell weiter wie in den Kinder- und Jugendjahren. Dieser Prozess beginnt schon bei jüngeren Erwachsenen und beschleunigt sich im Lauf des Lebens zusehends. Damit müssen wir beim Lernen mit immer mehr Gegenwind rechnen. Das ist zwar unkomfortabel, aber nicht ganz hoffnungslos. Denn es ist wie beim Segeln: Man kann auch vorankommen, wenn einem der Wind entgegenbläst. Man muss einfach wissen, wie. Beim Segeln kreuzt man auf – doch was tun wir punkto Lernen?
Zum Beispiel unseren «Hirnmuskel» auch im Erwachsenenalter weiter fleissig und regelmässig trainieren. Denn mit unserem mentalen Bizeps verhält es sich ähnlich wie mit unseren Oberarmen. Wer sie stärken will, muss etwas tun dafür. Wie sich das Hirn von Erwachsenen beim Lernen verändert, erforscht Susan Mérillat am Universitären Forschungsschwerpunkt «Dynamik gesunden Alterns» der UZH. In einer Studie hat die Neuropsychologin an 40- bis 60-jährigen Golfanfängerinnen und -anfängern untersucht, wie intensives Training dieses für Körper und Geist anspruchsvollen Sports das Hirn beeinflusst. Es zeigte sich dabei, dass sich bereits nach 40 Golfstunden das Zusammenspiel von Auge und Hand, das zentral für das Golfen ist, stark verbesserte.
Das Training hinterliess auch im Hirn der Golfspielerinnen und -spieler Spuren. So stellte die Forscherin fest, dass die graue Substanz, in die die Neuronen eingebettet sind, in Gehirnarealen wuchs, die visuelle und motorische Reize verarbeiten. Mit dem regelmässigen Golfprogramm wurden tatsächlich also auch bestimmte «Hirnmuskeln» in unserem Kopf trainiert. Deutlich wurde auch, dass diejenigen Golfspielerinnen und -spieler, die das Trainingspensum in kurzer Zeit absolvierten, also intensiver trainierten, grössere Fortschritte machten und sich stärkere Veränderungen im Gehirn zeigten.
Die Kunst des Lernens
Besser Büffeln
- Nach einer Phase intensiven Lernens brauchen wir eine Pause, damit sich das Gelernte setzen kann. Rastloses Lernen funktioniert nicht.
- Statt ununterbrochen dasselbe Thema zu büffeln, sollte man die Lernphasen portionieren und immer wieder zwischen inhaltlichen (Stunden-)Blöcken wechseln.
- Wollen wir aktiv und erfolgreich lernen, müssen wir verschiedene Hirnareale stimulieren. Das heisst, wir sollten uns Wissen aneignen, indem wir dazu Texte lesen, Skizzen machen, sprachliche Bilder und Analogien finden und das Gelernte in Gesprächen mit anderen vertiefen.
- Ein bisschen Aufregung mag das Lernen ankurbeln, extremer Stress und negative Gefühle verhindern es aber. Deshalb sollte man sich eine möglichst stressfreie Lernumgebung schaffen, in der man sich wohl fühlt.
- Genug Schlaf, gesunde Ernährung und genügend Bewegung erhöhen das psychische Wohlbefinden und fördern erfolgreiches Lernen.
- Wir sind ein Leben lang lernfähig: Trauen Sie sich immer wieder, Neues zu lernen, und bleiben Sie dran – Ihr Gehirn wird es Ihnen danken.