Das hat mit Fairness nichts zu tun

Fachtagung Brunnen 2022

Reform ist dringend

Die Schweiz ist ein reiches Land und muss sich einen fairen Sozialstaat leisten können. Chancen und Risiken in der 2. Säule waren das Thema von Referentin Muriel Haunreiter, Spezialistin Markt und Innovation bei der AXA Schweiz. Das muss uns alle interessieren, weil unser Geld verwaltet wird, die finanziellen Mittel also, die wir angespart haben und die unser Leben im Alter bestimmen werden. Aus Sicht der Privatversicherer gibt es sehr viele Herausforderungen. Die grossen Unternehmen haben ihre eigenen Pensionskassen, je kleiner das Unternehmen desto schwieriger wird das, deshalb sinkt die Anzahl von Pensionskassen stetig. Die öffentliche Hand hat ebenfalls teilweise eigene Pensionskassen. Die AXA betreibt eine teilautonome Sammelstiftung. Sie versucht, die Versicherten möglichst umfassend über ihr Vorsorgeportal zu informieren. Bei den Sammelstiftungen der AXA ist der Koordinationsabzug frei wählbar; der Wahlfreiheit sind kaum Grenzen gesetzt. Trotzdem: 35% bleiben beim gesetzlichen Koordinationsabzug, knapp 30% passen diesen dem Teilzeitpensum an, keinen Koordinationsabzug haben weitere knapp 30%, aber in der Regel nur deshalb, weil sie viel verdienen.

Die Reform der beruflichen Vorsorge ist dringend, so Haunreiter. Die Senkung des Umwandlungssatzes ist wichtig, weil damit die Umverteilung von den Erwerbstätigen zu den Pensionierten gestoppt wird. Die Senkung des Koordinationsabzuges und des Eintrittsalters ist richtig, weil damit der versicherte Lohn gesenkt wird, aber die Versicherer können mit allen Lösungen leben (und bieten sie heute ja auch schon an). Wichtig sind aus Sicht der Referentin, dass Kompensationsmassnahmen der einzelnen Kassen zumindest teilweise dezentral finanziert werden, also durch die betroffenen Kassen selbst.

Eine BVG-Reformwanderung mit Start beim Koordinationsabzug

Erich Wintsch, Präsident des Vereins faire Vorsorge, äusserte sich pointiert zur Reform der zweiten Säule. Die zweite Säule könnte einfach sein, so Wintsch, man hat sie nur kompliziert gemacht. Dem Ziel der einfachen, verständlichen Lösungen widmet sich der Verein faire Vorsorge. Es gibt eigentlich nur zwei Fragen im BVG: Wie viel Altersguthaben wird aufgebaut und wie lange muss es reichen? – einkaufen kann man schliesslich nicht mit Umwandlungssätzen, sondern nur mit Geld. Auch Wintsch ist der Auffassung, dass der Koordinationsabzug ersatzlos zu streichen ist, weil er tiefe Einkommen und Teilzeitarbeit diskriminiert. Tieflöhnern wird eine Rente von Fr. 1000.–/Monat vorenthalten – das ist, so der Referent, verfassungswidrig. Der Abzug muss 0 sein – nicht irgendwo anders. Diese Diskussion muss deshalb aufhören. Der Abzug ist diskriminierend, weil die Arbeitgeber den tiefsten Einkommen keine Beiträge ins BVG bezahlen, wohl aber den gut Verdienenden. Das hat mit Fairness nichts zu tun. Das Argument der Arbeitgeber, es würden dann Jobs verloren gehen, weil die Kosten zu hoch sind, überzeugt nicht, sondern trifft die Schwächsten; die Arbeitgeber nennen denn auch keine Jobs, die davon betroffen sein könnten. Es werden auch Härtefälle befürchtet, also Arbeitnehmende, die nach den BVG-Abzügen nicht mehr genug Geld zum Leben haben; dem kann begegnet werden, dass diese Arbeitnehmenden ihren Sparbeitrag jeweils für die Dauer eines Jahres reduzieren können.

Die Sparversicherungspflicht soll bei 18 Jahren beginnen und die Eintrittsschwelle so tief wie bei der AHV angesetzt werden (Fr. 2300.–); das führt zu gerechten Gutschriften und Altersguthaben. Die Begründung, es würden Härtefälle entstehen, überzeugt nicht. Oder anders gesagt: Von nichts kommt nichts.

In der nachfolgenden Podiumsdiskussion wurden die Themen vertieft und die Tagungsteilnehmer konnten ihre Fragen stellen – eine lebhafte Diskussion im Podium, perfekt geleitet und befeuert von GL Mitglied Andreas Cabalzar, war die Folge. Bei der Beurteilung der Frage, ob die BVG- Revision eine Chance hat in der Bevölkerung, waren die Antworten relativ klar: nein. Die Arbeitnehmenden seien nicht bereit, weitere Zugeständnisse zu machen und Rentenkürzungen hinzunehmen.

Öffentliches Personal Schweiz (ZV)

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