Angstkultur und Burn-outs: Insider berichten über die Krise in der Stadtpolizei

Der PBV und auch eine Vereinigung von ehemaligen und pensionierten Polizisten richten in mehreren Schreiben scharfe Worte an das Kommando und die politische Führung. Die Schreiben liegen dieser Zeitung vor.

Gestützt auf Aussagen der Quellen und Dokumente lassen sich die Probleme bei der Stadtpolizei Winterthur folgendermassen zusammenfassen:

  • Interne Kommunikation: Mitarbeitenden werde von oben befohlen, statt sie in Entscheidungen einzubeziehen. Mitarbeitende würden kurzfristig vor vollendete Tatsachen gestellt.
  • Betriebsklima: Korpsmitglieder hätten Angst, sich zu äussern. Kritik sei nicht gerne gesehen.
  • Führungskultur: Entscheide würden nicht so kommuniziert, dass sie für das Korps nachvollziehbar seien.

In einem Brief an Departementsvorsteherin Cometta bringt der Verband zum Ausdruck, dass «viele Kolleginnen und Kollegen die Schuld in der Führungskultur und im Verhalten einzelner Personen sehen».

In einem Schreiben der Ehemaligen ist von «falschen Führungsentscheiden» und «unterlassenen, objektiven Führungsentscheiden» nach dem ersten Suizid die Rede. Der Verband fordert von der Polizeivorsteherin, dass «Führungsfehler offen und aufrichtig zu identifizieren, zu benennen und zu beseitigen sind».

Kritik geht an die Führungsspitze

Die Kritik an der Führungskultur konzentriert sich auf zwei Personen: Kommandant Fritz Lehmann und seinen Stellvertreter Marcel Bebié.

Rechtsanwalt Bebié stiess im August 2017 zur Stadtpolizei Winterthur. Die Stelle des stellvertretenden Kommandanten war damals neu geschaffen worden, um den Kommandanten Fritz Lehmann zu entlasten und eine Neuorganisation einzuleiten.

Die Quellen sind sich einig: Bei ihm liegt die eigentliche Macht. Bebié sei ein «Patron alter Schule», der autoritär führe. In einem Schreiben der Ehemaligen wird Bebié als «Teil des Problems» bezeichnet.

Der Kommandant Fritz Lehmann wird im Korps geschätzt und als menschlich, umsichtig und sensibel gelobt, aber er werde bei Entscheiden manchmal verdrängt.

Lehmann war gemäss mehreren Quellen zum Zeitpunkt des Suizids von M. in den Ferien. Die Vereinigung Ehemaliger forderte laut einem Protokoll in einem Gespräch mit dem stellvertretenden Kommandanten Bebié: «Krisenbewältigung ist Chefsache und kann nicht delegiert werden – Kommandant Lehmann muss Ferien abbrechen und übernehmen.» Gemäss dem Dokument antwortete Bebié: «Krisenbewältigung erfolgt nicht durch Kommandant Lehmann, er weiss Bescheid und wird seine Ferien explizit nicht abbrechen.» 

Lehmann geht Ende Mai 2022 frühzeitig in Pension, was bereits seit Oktober 2021 bekannt ist. Begründung dafür ist der Umzug ins neue Gebäude, dies sei der «richtige Zeitpunkt», sagte der 62-Jährige dem «Landboten». Ab Juni 2022 übernimmt Bebié interimistisch für ein Jahr – Mitte 2023 wird auch er pensioniert.

Burn-out-Welle im Jahr 2017

Konflikte schwelen schon länger in der Stadtpolizei Winterthur. Anfang 2017 war die Hälfte der damaligen 13 Stadtpolizei-Kaderleute krankgeschrieben, teilweise mit der Diagnose Burn-out. Betroffen von der Krise war auch der Kommandant, Fritz Lehmann. Er legte im Sommer eine Arbeitspause von zwei Monaten ein. Laut der damaligen Polizeivorsteherin Barbara Günthard-Maier (FDP) hatte er aber kein Burn-out.

Günthard-Maier machte Sparaufträge der zurückliegenden Jahre und Jahrzehnte für die Probleme verantwortlich, setzte sich für eine Aufstockung des Kaders ein und gleiste eine interne Reorganisation auf.

In einem Interview mit dem «Landboten» Ende 2018 sagte Bebié, man sei nun viel robuster aufgestellt. «Man soll niemals nie sagen, aber ein Szenario wie vor zwei Jahren dürfte sich nicht mehr ereignen.»

2019 berichtete die «Winterthurer Zeitung» von einer Personalumfrage im Korps mit schlechten Zufriedenheitswerten, anhaltend vielen Burn-out-Fällen und einer stark kritisierten internen Kommunikation. Vor allem die «Personalpolitik und die interne Kommunikation vom Kader hinunter seien untragbar», heisst es im Artikel. Der Journalist stützte sich dabei auf die Aussagen eines ehemaligen Stadtpolizisten. Gegen diesen reichte die Führung dann wegen Amtsgeheimnisverletzung Strafanzeige ein. Das Verfahren wurde jedoch eingestellt.

Lisa Aeschlimann, 19.2.2022,
«Tages-Anzeiger»

1 Kommentar “Angstkultur und Burn-outs: Insider berichten über die Krise in der Stadtpolizei

  1. Dieses Problem mit der autoritären Führung, katastrophaler Kommunikation und Hau-Ruck-Aktionen gibt es leider nicht nur bei der Polizei. Das ist auch in anderen Departementen, Abteilungen so.
    Ein Wunder und Glück, dass sich nicht noch mehr Mitarbeitende das Leben nehmen.

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