Welche Politik der frühen Kindheit braucht die Schweiz?

Sessionsveranstaltung der Parlamentarischen Gruppe für Arbeit vom 14. September 2021

Für den Bundesrat ist die Politik der frühen Kindheit ein wichtiges gesellschaftspolitisches Handlungsfeld. Die frühe Kindheit bezeichnet die Lebensphase ab der Schwangerschaft bis zum Eintritt in die obligatorische Schule. Die Politik der frühen Kindheit orientiert sich entsprechend an den Bedürfnissen von noch ungeborenen Kindern und Kindern im Vorschulalter. Gelingt es uns, das volle Engagement von Vätern und Müttern wirklich zu nutzen? Gelingt es uns für alle Kinder ab Geburt Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sie ihr Entwicklungspotential voll entfalten können?

Vertreter des Bundesrates, der Kantone (SKOS, EDK) wie auch die Interessenvertreter auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite – unter ihnen Öffentliches Personal Schweiz – haben ihre Erkenntnisse zu diesem Thema im Rahmen der Sessionsveranstaltung der Parlamentarischen Gruppe für Arbeit am 14. September 2021 in Bern diskutiert.

Als Trägerverband der Ebenrainkonferenz ist Öffentliches Personal Schweiz bei den Zusammenkünften der Parlamentarischen Gruppe für Arbeit stets dabei und vertritt die Interessen des öffentlichen Personals. Coronabedingt wiederum im Hotel Schweizerhof, waren Präsident Urs Stauffer und ZV-Info-Redaktorin Gabriela Sollberger für Öffentliches Personal Schweiz dabei.

Bundesrat Alain Berset legte in seinem Referat Rechenschaft ab über das Engagement des Bundes: Die Schweiz habe zwar einige Massnahmen zur Verbesserung der Kinderbetreuung umgesetzt, aber dennoch müsse noch viel getan werden, um die Situation zu verbessern.

Massnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Berset informierte, dass sich der Bund stark für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie engagiere – im Rahmen seiner Kompetenzen. Es seien Fortschritte erzielt worden, beispielsweise die Finanzhilfen des Bundes, die seit 2003 das Angebot an familienergänzender Betreuung für Kleinkinder und Schulkinder fördern, so der Bundesrat. Diese Förderung sei sehr nachhaltig, wie die Evaluation zeige.

Mit dem neuen Bundesgesetz über die Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenbetreuung können alle Eltern, die ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen oder stark einschränken müssen, um ihr schwerkrankes oder verunfalltes Kind zu betreuen, einen 14-wöchigen Urlaub beziehen, der durch die EO entschädigt wird. In diesem Zusammenhang sei aber bei weitem noch nicht alles getan worden, was möglich sei.

Familienergänzende Betreuung

Die Basis für die Entwicklung eines Kindes wird in der Frühkindheit gelegt, das ist unbestritten, so Bundesrat Berset. Es ist auch klar, dass Kinder – und dies ab der Geburt – Erwachsene brauchen, die sie bei ihren Erkundungen begleiten und unterstützen. Frühe Förderung geschieht in der Familie, aber auch in der familienergänzenden Betreuung, und deswegen brauche es qualitativ hochstehende Betreuungsangebote. Es braucht Kitas, die für alle Kinder zugänglich sind, unabhängig von der sozialen Herkunft. Auch in diesem Zusammenhang habe der Bund versucht, eine unterstützende Rolle für die Kantone und Gemeinden einzunehmen.

Sozial benachteiligte Familien sollen besseren Zugang zu den Betreuungsangeboten erhalten. Die Kosten für die Kinderbetreuung sind in der Schweiz – auch im internationalen Vergleich – sehr hoch. Der Bund habe auch die Integrationsprogramme (z. B. die frühe Sprachförderung von Kindern mit Migrationshintergrund) der Kantone unterstützt. Nichtsdestotrotz sei man noch nicht am Ziel und es blieben noch viele Punkte offen, die verbesserungswürdig sind. Beispielsweise würden Kinder aus sozial benachteiligten Familien am meisten von qualitativ guten Betreuungsangeboten profitieren; sie werden von diesen aber weit weniger genutzt als von Kindern aus gutsituierten Familien. Die Kosten spielen eben auch hier eine grosse Rolle. Die neuen Finanzhilfen zur Senkung des Elterntarifs würden deshalb einen grossen Beitrag leisten, um Kindern aus sozialbenachteiligten Familien den Zugang zu den Betreuungsangeboten zu ermöglichen. Hierzu seien rund 85 Millionen Franken für die Schaffung von zusätzlichen Kita-Plätzen bewilligt worden, damit die Kantone die Kosten für die Eltern senken können.

Internationaler Vergleich

Noch nie waren die Voraussetzungen in der Schweiz so gut, eine Familie zu gründen und gleichzeitig erwerbstätig zu sein, aber man ist noch nicht am Ziel. Dies belegt auch die Studie der UNICEF, die zu einem wenig schmeichelhaften Resultat gekommen ist – Zitat: Die Schweiz ist wenig familienfreundlich. In der Rangliste der 31 partizipierenden Länder rangiert die Schweiz ganz am Schluss des Klassements. Immerhin habe die Schweizer Bevölkerung unterdessen – die Studie der UNICEF datiert von 2018 – den 2-wöchigen Vaterschaftsurlaub angenommen. Der fehlende Vaterschaftsurlaub war ein wichtiger Grund für das schlechte Abschneiden bei dieser Studie.

Auch bezüglich der Kosten für einen Krippenplatz liege die Schweiz im internationalen Vergleich weit hinten. Zudem müssen die Eltern in keinem anderen Land einen so hohen Anteil ihres Verdienstes für die familienergänzende Betreuung aufbringen, wie in der Schweiz. Das sei ein grosses Problem, so Bundesrat Alain Berset.

Diese Situation erklärt auch, weshalb in der Schweiz vor allem gut verdienende Eltern Betreuungsangebote wahrnehmen und deshalb auch erwerbstätig bleiben können. Dabei sei die Erwerbstätigkeit gerade für Familien mit tiefen Einkommen wichtig, um nicht in die Armutsfalle zu geraten.

Zuständigkeitsprobleme und weitere Massnahmen

Die Hauptzuständigkeit bei der Umsetzung der Politik der frühen Kindheit liegt nicht beim Bund, sondern bei den Kantonen und Gemeinden. Auf Bundesebene wird bereits eine Vielzahl an Massnahmen zur Förderung der Politik der frühen Kindheit umgesetzt oder geprüft. Aktuell sieht der Bundesrat deshalb keinen Bedarf für eine deutliche Ausweitung der Tätigkeiten auf Bundesebene. Handlungsbedarf sieht er jedoch bei der Zusammenarbeit und der Koordination auf Bundesebene. Diese soll künftig durch einen regelmässigen fachlichen Austausch der Bundesstellen mit Schnittstellen zur Politik der frühen Kindheit verstärkt werden.

Gabriela Sollberger,
Redaktorin ZV Info

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