«Ich kann nur an die Vernunft jedes Einzelnen appellieren»

Eine Ausnahme sind die Lehrerinnen und Lehrer. Über 50-jährige Lehrpersonen werden priorisiert. Warum spielt dort das Alter plötzlich eine Rolle?

Das ist ein Entscheid des Gesundheitsdirektors, der die Situation der Lehrpersonen im Klassenzimmer berücksichtigt. Und es ist so, dass das Risiko für einen schweren Verlauf ab einem Alter von 50/55 Jahren exponentiell steigt.

Sie haben eine Tochter im Teenageralter. Machen Sie sich als Vater Sorgen, dass ihr wegen der Pandemie ein wichtiger Teil des Lebens gestohlen wird?

Ich würde nicht sagen, dass jungen Menschen ein Jahr gestohlen wird. Aber es ist eine spezielle Zeit, die uns alle bis ans Lebensende prägen wird. Gerade für Kinder und Jugendliche ist ein Jahr eine lange Zeit und entsprechend einschneidender als für eine erwachsene Person.

Ab Mai/Juni soll der Impfstoff in grösseren Mengen zur Verfügung stehen. Sind Sie zuversichtlich, dass das auch passiert?

Wir planen mit den Angaben, die wir vom Bund erhalten. Dort sind im Mai und Juni grössere Mengen versprochen. Darauf sind wir vorbereitet, und dafür reichen auch die Kapazitäten. Aber letztlich wissen wir jeweils eine halbe bis anderthalb Wochen im Voraus, wie viel Impfstoff wir tatsächlich erhalten. Und die Leute müssen sich dann auch noch impfen lassen wollen.

Ist das Ihre Sorge? Dass Sie genug Impfstoff haben und niemanden mehr, der sich impfen lassen will?

Für eine Herdenimmunität braucht es eine Durchimpfungsrate von 70 Prozent. Das zu erreichen, wird nicht ganz einfach.

Es gibt bereits Befürchtungen, dass Impfgegner künftig zum Treiber der Pandemie werden und das Gesundheitswesen an den Anschlag bringen könnten.

Das ist sicher ein mögliches Szenario. Aber wie gesagt: Es gibt keinen Impfzwang. Ich kann nur an die Vernunft jeder einzelnen Person appellieren.

Wie wollen Sie das tun?

Indem ich den Nutzen der Impfung aufzeige. Schauen Sie beispielsweise die Pflegeheime an. Das ist eine Erfolgsstory. Im Dezember 2020 machten die Todesfälle in Pflegeheimen mehr als die Hälfte aller Todesfälle aus. Seit die Impfung der Pflegeheimbewohnerinnen und Pflegeheimbewohner abgeschlossen ist, ist Ruhe eingekehrt. Das ist nicht, weil Frühling wurde und die Sonne scheint, sondern weil die Impfung wirkt.

Der Aargau startet morgen zudem eine Informationskampagne zur Covid-Impfung. Braucht es zusätzlich Privilegien für Geimpfte?

Darüber kann man reden, sobald alle die Möglichkeit hatten, sich impfen zu lassen. Ich wüsste nicht, weshalb sich eine geimpfte Person einschränken lassen sollte, nur weil sich andere nicht impfen lassen wollen.

Bis wann sind alle impfwilligen Aargauerinnen und Aargauer zweimal geimpft?

Prognosen sind relativ schwierig. Ich gehe davon aus, dass es im Juli/August so weit sein wird.

Für Schlagzeilen wegen unerwünschter Nebenwirkungen sorgt der Impfstoff von Astra Zeneca. Dieser ist in der Schweiz noch nicht zugelassen. Zum Glück?

Ich habe keinen Einfluss darauf, ob ein Impfstoff zugelassen wird oder nicht. Entsprechend mache ich mir keine Gedanken darüber, ob das gut oder schlecht ist. Ich muss nach der Zulassung sicherstellen können, dass der Impfstoff verimpft werden kann, und darauf sind wir im Aargau vorbereitet.

Sollte der Impfstoff zugelassen werden, dürfte es in der Bevölkerung Vorbehalte geben. Wie wollen Sie das lösen?

Es kann niemand dazu gezwungen werden, sich mit dem Astra-Zeneca-Impfstoff impfen zu lassen. Es ist auch der Plan, dass Leute, die Vorbehalte haben, den Impfstoff nicht erhalten.

Heute kann man den Impfstoff aber nicht auswählen.

Das stimmt. Aber ich gehe aktuell davon aus, dass man einer Impfung mit dem Astra-Zeneca-Impfstoff explizit zustimmen muss. Wie das im Detail aussieht, wird dann kommuniziert, wenn Swissmedic den Impfstoff zugelassen hat.

Würden Sie sich mit dem Astra-Zeneca-Impfstoff impfen lassen?

Ich stehe im Moment nicht vor dieser Entscheidung und habe mich deshalb noch nicht damit auseinandergesetzt.


 

Zur Person

Andreas Obrecht (41) leitet die Aargauer Impfkampagne. Er ist Wirtschaftsmathematiker und war lange als Berater für Risiko- und Notfallmanagement tätig. Die letzten drei Jahre war er Geschäftsleitungsmitglied der Orell Füssli Sicherheitsdruck AG, die unter anderem Banknoten herstellt. Obrecht hat im Militär Karriere gemacht. Er war gut zehn Jahre militärisch in der Nationalen Alarmzentrale des Bundes eingeteilt und hat sich dort um das Ressourcenmanagement auf Stufe Bund gekümmert. Im Kanton Aargau ist er seit 2018 im Kantonalen Führungsstab eingeteilt und hat bereits die erste Coronawelle militärisch begleitet. Obrecht wohnt mit seiner Familie in Fahrwangen.

 

CH Media/Britta Gut

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.