«Ich kann nur an die Vernunft jedes Einzelnen appellieren»

Was würden Sie heute anders angehen?

Bis jetzt haben wir nichts grundlegend falsch gemacht. Ich sehe keinen Entscheid, den ich im Nachhinein anders fällen würde.

Der Bund macht den Kantonen beim Impfen viele Vorgaben – zum Beispiel bei der Priorisierung. Hätten Sie manchmal gerne mehr Freiheiten gehabt?

Es ist vernünftig, dass sich ein Land auf gewisse Spielregeln einigt. Es stand für mich nicht zur Diskussion, die Impfstrategie, die der Bund vorgegeben hat, zu hinterfragen. Mein Auftrag ist es, den Kanton Aargau durchzuimpfen, und da habe ich viele Freiheiten.

Es gab auch Kritik an der Impfkampagne. Die Bevölkerung ist ungeduldig oder sogar wütend, dass es nicht schneller vorwärtsgeht.

Ich habe ein gewisses Verständnis dafür. Die Zulassung des Impfstoffes von Pfizer/Biontech am 19. Dezember hat in der Bevölkerung eine Erwartungshaltung ausgelöst. Die Leute dachten, es sei jetzt endlich ein Ende absehbar. Das Problem ist, dass die Zulassung des Impfstoffes erst der Anfang war. Insofern wurden damals Erwartungen geweckt, die man mit dem verfügbaren Impfstoff nicht erfüllen konnte.

Richten sich diese Wut und Ungeduld auch direkt gegen Sie als Impfchef?

Ich bekomme Mails, Briefe und Anrufe, und in den sozialen Medien gibt es kritische Kommentare. Damit muss ich umgehen. Es ist nicht möglich, es allen immer recht zu machen. Wichtig ist, dass die Stossrichtung stimmt. Ausserdem erhalten wir auch sehr viel Lob für unsere Arbeit. Teilweise sogar von jenen Personen, die uns anfänglich kritisiert haben.

Sie fordern die Bevölkerung auf, sich für die Impfung zu registrieren. Gleichzeitig weiss jemand, der jung und gesund ist, dass er trotzdem noch Wochen oder Monate auf einen Termin warten muss.

Es war von Anfang an klar, dass das Impfen bis im Sommer dauern wird. Damit aber alles möglichst reibungslos ablaufen kann und wir optimal planen können, ist es wichtig, dass sich alle Impfwilligen schon jetzt registrieren und sich in möglichst vielen Impfzentren anmelden. So sehen wir zum Beispiel, welche Impfzentren bevorzugt werden oder ob Impfwillige lieber in die Apotheke oder Hausarztpraxis gehen, und können das Angebot den Bedürfnissen anpassen.

Können Sie sagen, welche Altersgruppe besonders impfwillig ist?

Nein, das ist wirklich querbeet. Ich stelle aber fest, dass jene Leute, die von der Impfung überzeugt sind, eher ruhig sind. Impfgegner machen mehr Lärm.

Lassen Sie die Kritikerinnen und Kritiker lärmen oder versuchen Sie, diese umzustimmen?

Die Impfung ist freiwillig. Am Schluss muss jeder für sich entscheiden, ob er mit der Impfung dazu beitragen will, dass wir die Pandemie in den Griff bekommen, oder ob er das Risiko eingehen will, an Covid-19 zu erkranken. Ich habe die Krankheit während der ersten Welle durchgemacht und möchte es nicht noch einmal erleben. Ich war noch nie so erschöpft und habe noch nie so viel geschlafen wie in diesen zwei Wochen. Ich spürte auch neun Monate später noch Nachwehen. Insofern ist für mich der Entscheid für die Impfung vernünftig.

Sie werden sich also impfen lassen?

Ja. Aber meine Zielgruppe ist noch nicht an der Reihe. Ich muss mich noch etwas gedulden.

Im Aargau ist die breite Bevölkerung im Juni an der Reihe. In den meisten anderen Kantonen schon früher. Warum?

Wir berücksichtigen weiterhin die vier priorisierten Zielgruppen gemäss den Empfehlungen des Bundesamtes für Gesundheit. Sie machen im Aargau knapp die Hälfte der Bevölkerung aus. Alle übrigen Personen erhalten voraussichtlich im Juni eine Impfung. Die Impfkampagne bereitet aber auch das realistische Szenario vor, dass dies bereits im Mai der Fall sein wird.

Wovon hängt das ab?

Einerseits von der Anzahl registrierter Personen pro Zielgruppe und andererseits von der Lieferung des Impfstoffs. Das ist in den anderen Kantonen nicht anders. Bei Kantonsvergleichen muss man immer aufpassen, dass man nicht Äpfel mit Birnen vergleicht. Die zeitlichen Unterschiede dürften am Ende nicht gross sein.

Besonders ärgerlich ist es für gesunde Menschen, die noch nicht ganz 65 Jahre alt sind. Müssen Sie gleich lange warten wie gesunde 18-Jährige?

Ja. Im Aargau werden die gesunden 18- bis 64-Jährigen innerhalb der Zielgruppe nach dem Prinzip «first come first serve» geimpft. Hat sich ein 18-Jähriger bereits im Januar für einen Termin registriert, bekommt er vor der 64-Jährigen, die sich erst im März registriert hat, einen Termin.

Das ist im Kanton Zürich anders. Dort kommen die gesunden 50- bis 64-Jährigen vor den 18- bis 49-Jährigen an die Reihe. Wäre das im Aargau auch möglich?

Ja. Aber es wäre nicht fair. Eine 30-Jährige, die sich im Januar registriert hat und reisen will, braucht die Impfung genau gleich wie jemand, der 64 Jahre alt ist. Es ist uns wichtig, dass besonders gefährdete Personen zuerst geimpft sind. Aber alle anderen wollen wir – egal ob 18, 30 oder 60 Jahre alt – möglichst gleich behandeln. Gerade die jungen Menschen mussten und müssen auf vieles verzichten. In meinen Augen ist es deshalb nicht fair, wenn sie einer älteren Person Vorrang geben müssten, obwohl sie Teil der gleichen Zielgruppe sind.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.