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Nicht ständig streben
Genussfähigkeit hat wohl auch mit dem Selbstwert zu tun, sagt die UZH-Psychologin. Was bin ich wert, wenn ich nicht eine Karriere hingelegt habe, super aussehe und 30 Länder bereist habe? Wer mit sich im Reinen ist, dem fällt es vielleicht auch leichter, den Moment zu geniessen und nicht ständig auf etwas hinzustreben. Tatsächlich scheint Genussfähigkeit in der überanstrengten Leistungsgesellschaft eine unzeitgemässe Gabe. Unser Alltag ist durchdrungen von Angeboten zur Selbstoptimierung wie Fitness-Apps, Ernährungstipps, Yoga- und Meditationstrainings oder Ratschlägen für eine erfolgreiche Karriere. Sogar die modernen Büroarchitekturen mit ihren inszenierten Begegnungszonen sind darauf bedacht, die Erholung der Mitarbeiter gewinnbringend zu instrumentalisieren. Wenn nun Berneckers Forschung zeigt, dass es nicht nur darum gehen sollte, immer besser zu werden, mag das für die einen eine Provokation sein, für andere ist es ein Aufatmen. Allerdings kann der Genuss auch in die Sucht kippen, etwa wenn Alkohol konsumiert wird, um Probleme zu vergessen, Stress abzubauen oder schlechte Laune zu vertreiben. Bisher bekämpfte man die Abhängigkeit von Suchtmitteln – durchaus erfolgreich – mit Trainings, die auf Selbstkontrolle beruhen, etwa indem das Bier mit negativen Bildern besetzt wird, sodass der Reflex, zur Flasche zu greifen, nicht mehr attraktiv erscheint.
Bernecker und Becker haben auch das Verhältnis zwischen Alkoholkonsum und Genussfähigkeit untersucht. Dabei hat sich herausgestellt, dass die schlechten Geniesser häufiger trinken, um negative Gefühle zu kompensieren. «Gute Geniesser trinken hingegen eher, um ihre gute Stimmung weiter zu verbessern, oder aus sozialen Motiven. Beides geht eher nicht mit problematischem Konsum einher.» Das könnte ein wichtiger Hinweis für die Suchtbekämpfung sein, meint Bernecker. Denn es ginge nicht mehr nur darum, die Selbstkontrolle zu stärken, sondern auch darum, die Genussfähigkeit zu entwickeln.
Die UZH-Psychologin erzählt von einer bemerkenswerten Initiative in Island. Das Land kämpfte in den 1990er-Jahren mit einem grossen Alkoholproblem bei Jugendlichen. Als Gegenstrategie wurde daraufhin mit einem staatlich unterstützten Programm ein vielfältiges Freizeitangebot entwickelt mit Sport, Musik, Kunst und Tanz. So können die Jugendlichen auch ohne Alkohol Spass haben und positive Gefühle erleben. Der Erfolg des Programms ist überwältigend: Gaben 1997 30 Prozent der befragten Jugendlichen an, im vergangenen Monat betrunken gewesen zu sein, waren es im Jahr 2014 nur noch 4 Prozent.
Ob sie selber zur Hedonistin geworden ist? Katharina Bernecker lächelt. Sie sei eine sehr strebsame Person, sagt sie. Aber die Studienergebnisse haben sie schon nachdenklich gestimmt. Seither versuche sie, am Wochenende auch mal nicht zu arbeiten und stattdessen ihre Genussfähigkeit walten zu lassen. Allerdings wird diese gerade in Zeiten von Corona arg strapaziert. Die kurzfristigen Vergnügen wie ins Café gehen, Freunde treffen, übers Wochenende mal wegfahren – all das ist zurzeit kaum möglich. Da ist man gezwungen, in sich zu gehen, und vielleicht ist es dann tatsächlich das Buch auf dem Sofa, das Kuchenbacken oder das verstaubt geglaubte Musikinstrument, das einem das kleine Stück Glück beschert.
Also doch ab und zu ungehemmt einen Mäusespeck schlecken? Katharina Bernecker nickt mit einem zufriedenen Lächeln.
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Hedonismus Die Seele auf stiller SeeAls Begründer des Hedonismus (Hedoné: Lust, Freude, Vergnügen) gilt der antike griechische Philosoph Aristippos von Kyrene. Nach seiner Lehre, die von Epikur weiterentwickelt wurde,
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Text: Simona Ryser
Bilder: Jos Schmid
Wir danken der Universität Zürich, dass wir diesen Text aus dem UZH Magazin 1/2021 verwenden durften.
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