Vereinbarkeit von Beruf und Familie im europäischen Vergleich

Spitzenplatz für die Schweiz – wirklich?

Hindernisse der Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Die Wahrnehmung von Hindernissen deckt sich geschlechterübergreifend ziemlich genau. Dazu zählen an erster Stelle lange Arbeitszeiten (18%), dann unregelmässige und, was besonders hinderlich ist, unvorhersehbare Arbeitszeiten (15%), gefolgt von langen Arbeitswegen (15%), zu anspruchsvoller oder zu anstrengender Arbeit (6%) und mangelnder Unterstützung im Arbeitsumfeld (5%). Auf der anderen Seite sehen mehr als ein Drittel der Betroffenen (37%) keine Hindernisse, welche die Vereinbarkeit von Beruf und Familie beeinträchtigen oder zumindest erschweren.

Der letztere Anteil ist im europäischen Vergleich sehr gering. Die Statistik zeigt, dass die Schweiz mit diesem Wert, in ähnlicher Höhe wie jene von Deutschland und Holland (39%) und Frankreich (40%), auf dem letzten Platz liegt. Der nächsthöhere Wert erreicht bereits ein Drittel mehr (Österreich und Schweden 63%) und steigt auf Werte von 70–80% in den meisten Ländern bis über 90% in Estland (88%) und Lettland (94%). Es kann allein aufgrund der stark voneinander abweichenden Zahlen höchstens spekuliert werden, wie weit trotz bei uns sehr hoher Mobilität die Pendlerströme einen wichtigen Grund darstellen, da lange Reisewege in der Statistik als Hindernis dominierend sind.

Die Zahlen sind trügerisch… der Anspruch auf Elternzeit macht’s aus

Die Spitzenwerte in der Arbeitsflexibilität auch im europäischen Vergleich sind erfreulich, anders sieht es aber in der Frage der Urlaube zur Gewährung von Mutter-, Vater- oder Elternzeit aus, welche nicht Gegenstand der Untersuchung durch das BFS bildeten. Die schweizerische gesetzliche Regelung stellt im Vergleich zu den Lösungen in den meisten umliegenden Ländern lediglich eine Art Grundausstattung dar. Daran ändert der jüngst eingeführte Vaterschaftsurlaub von 14 Tagen nichts. Der entscheidende Unterschied liegt in den «Erziehungsurlaub», «Elternurlaub» oder «Elternzeit» genannten Ansprüchen verschiedener Länder, innert einer bestimmten, grosszügig bemessenen Dauer nach Geburt die Erwerbsarbeit zugunsten der Kinderbetreuung für ein halbes Jahr (Italien), ein Jahr mit Verlängerungsmöglichkeit bis zu drei Jahren (Frankreich) oder bis drei Jahre (Deutschland) zu unterbrechen. Die auch während dieser Zeit gewährte Entschädigung sowie der Anspruch, die Arbeitsstelle behalten zu können, erlauben es den Eltern, die Kinder mit einer finanziellen Unterstützung und ohne das Arbeitsverhältnis aufzulösen zu betreuen.

In der Schweiz bestehen keine solchen gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten, was dazu führt, dass der Anteil vor allem der Frauen, die ihre Erwerbstätigkeit auf eigene Kosten um mehr als fünf Jahre unterbrechen und dann in aller Regel nicht mehr an denselben Arbeitsplatz zurückkehren können, mit über 28% sehr hoch ist, was wegen der fehlenden finanziellen Abfederung auch sozialpolitisch bedenklich ist. Kein Wunder, dass dies im europäischen Vergleich ein Spitzenplatz ist und die Zahlen in den umliegenden Ländern, die eine Elternzeit vorsehen, deutlich geringer sind. Die gesetzliche Ermöglichung von Elternzeit mit sozialer und wirtschaftlicher Hilfestellung soll eine Stossrichtung für künftige Entwicklungen auch in der Schweiz sein. In diesem Bereich sind noch echte – und die Kinderbetreuung durch die Eltern fördernde – Fortschritte zu erzielen.

Mutterschafts-/Vaterschafts- und Elternurlaub im europäischen Vergleich

Schweiz

Mutterschaftsurlaub: 14 Wochen ab Geburt des Kindes
Vaterschaftsurlaub: Ab 1. Januar 2021 2 Wochen

Frankreich

Mutterschaftsurlaub: 16 Wochen (6 vor und 10 nach der Geburt) / ab 3. Kind 26 Wochen (8 vor und 16 nach der Geburt)
Vaterschaftsurlaub: 14 Tage/ab 1. Juli 2021 28 Tage
Zudem gibt es einen einjährigen unbezahlten «Erziehungsurlaub», den die Eltern beziehen können. Diese Erziehungszeit kann zweimal verlängert werden, also max. bis 3 Jahre. Es besteht danach Anspruch auf Wiedereinstellung im selben Unternehmen.

Italien

Mutterschaftsurlaub: 2 Monate vor der Geburt und 3 Monate nach der Geburt
Vaterschaftsurlaub: 7 obligatorische Tage; Bezug der Dauer des Mutterschaftsurlaubs durch den Vater, wenn die Mutter die Betreuung selbst nicht leisten kann.
Zudem gibt es einen 6-monatigen Elternurlaub (bis zum achten Lebensjahr des Kindes).

Österreich

Mutterschaftsurlaub: 8 Wochen vor und 8 Wochen nach der Geburt
Vaterschaftsurlaub: Kein gesetzlicher Anspruch auf bezahlte Vaterschaftszeit. Väter haben aber Anspruch auf 28 bis 31 Tage unbezahlten Vaterschaftsurlaub.

Deutschland

Mutterschaftsurlaub: 6 Wochen vor und 8 Wochen nach der Geburt
Vaterschaftsurlaub: Kein gesetzlicher Anspruch
Es gibt aber eine Elternzeit von bis zu 36 Monaten mit Elterngeld (Anspruch gilt bis zum vollendeten 3. Lebensjahr des Kindes).

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