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Gemäss der im November 2020 erschienenen Studie des Bundesamtes für Statistik (BFS) schneidet die Schweiz bezüglich Arbeitsflexibilität im europäischen Vergleich sehr gut ab – doch die Zahlen sind trügerisch.
Im Jahr 2018 leisteten rund 36% der ständigen Wohnbevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren mindestens eine regelmässige Betreuungsaufgabe für Kinder oder erwachsene Familienmitglieder. Von dieser Zahl gingen über 96% der Männer und 80% der Frauen in irgendeiner Form einer Erwerbstätigkeit nach. Für alle diese stellt die Sicherstellung der Betreuung eine besondere Herausforderung dar. Sie haben einen Weg zwischen den zeitlichen Verpflichtungen am Arbeitsplatz und der Erfüllung der Betreuungsaufgaben zu finden. Dabei sind sie auf vom Gesetz eingeräumte Möglichkeiten, aber auch auf die Flexibilität ihrer Arbeitgeber angewiesen.
In der genannten Studie geht es als wichtige Punkte um die Flexibilität betreffend die Höhe und die Gestaltung der Arbeitszeit. Dabei schneidet die Schweiz im europäischen Vergleich sehr gut ab. Betrachtet man jedoch die ebenso bedeutenden Fragen der Möglichkeit der Kinderbetreuung in Form von Urlaub, ändert sich das Bild markant. Da hinkt die Schweiz hinter den Regelungen der meisten umliegenden Staaten hinterher. Auffallend ist, dass die Schweiz in der Eigenwahrnehmung der realisierbaren Veränderung in den Arbeitsverhältnissen gut dasteht, aber anderseits auch zu den Ländern gehört, in denen die Hindernisse bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie als vergleichsweise gross empfunden werden.
Reduktion der Arbeitszeit
In der Schweiz wie in Österreich und auch in Deutschland ist der Anteil der in Teilzeitarbeit tätigen Frauen mit gegen 80% sehr hoch. Dies erleichtert die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und hat zur Folge, dass in der Schweiz 38% der Frauen die Arbeitszeit nach der Geburt reduzieren und so die Betreuung der Kinder auf ihre individuellen sozialen und wirtschaftlichen Möglichkeiten und Bedürfnisse ausrichten können. Die Differenzen zu anderen Ländern sind äusserst gross. So weisen Länder wie Bulgarien, Rumänien oder Kroatien eine Quote von unter 5% auf, wobei zu prüfen wäre, wie weit dies mit anderweitig ausgleichenden Faktoren wie z.B. mit dort institutionalisierter staatlich angebotener Kinderbetreuung zusammenhängen mag. Bei den Männern zeigt sich das Bild in ähnlicher, allerdings prozentual viel tieferer Form, indem bei uns knapp 10% der Erwerbstätigen ihre Arbeitszeit reduzieren und dies auch im europäischen Vergleich ein Spitzenwert ist. Der prozentuale Unterschied zwischen Frauen und Männern ist in der nach wie vor dominierenden traditionellen Rollenverteilung in der Kinderbetreuung begründet.
Änderung in der Gestaltung der Arbeitszeit
Erfreulich ist, dass 68,8%der Mütter und Väter die Möglichkeit haben, aus familiären Gründen den Anfang bzw. das Ende der täglichen Arbeitszeit kurzfristig zu ändern. Die öffentliche Verwaltung schneidet bei dieser Studie mit 70.2% überdurchschnittlich gut ab. Für 51,4% ist es gar möglich, ganze Tage frei zu nehmen, ohne dafür Ferientage beziehen zu müssen. Auch hier liegt die öffentliche Verwaltung mit 53,6% über dem Schweizer Durchschnitt. Auffallend, aber von den Strukturen her keineswegs zufällig ist, dass Führungskräfte grundsätzlich bessergestellt sind als beispielsweise Verkäuferinnen oder Handwerker.
Im europäischen Vergleich sind nur Island und Finnland noch flexibler als die Schweiz, was die Präsenzzeiten betrifft. Hier können 72,2% bzw. 69.7% der Arbeitnehmenden, die eine Betreuungsaufgabe wahrnehmen, bei Bedarf die Leistung ihrer Arbeitszeit um mindestens eine Stunde verschieben. In unseren Nachbarländern ist dieser Anteil deutlich tiefer. In Österreich (49,2%), Deutschland (38,0%), Italien (34,8%) und Frankreich (31,7%) können die Arbeitszeiten massiv weniger gut der Kinderbetreuung angepasst werden. Laut BFS stehe die Schweiz deshalb insbesondere im Vergleich zu den Nachbarländern gut da, was die Arbeitsflexibilität betrifft.
Änderung der Arbeitsverhältnisse
Die oben dargestellten Möglichkeiten zur Reduktion der Arbeitszeit, von der in der Schweiz sehr häufig Gebrauch gemacht wird, macht dieses Instrument zur wichtigsten Auswirkung der Kinderbetreuung auf die Erwerbstätigkeit. Über 60% der Frauen nutzen dies, während der Anteil der Männer bei knapp 15% markant tiefer ist, was in den Zusammenhang mit den Anteilen der traditionellen Rollenverteilung zu stellen ist. In der Skala der Auswirkungen folgen – dies prozentual mit einigem Abstand vor allem bei den Frauen – die Änderung der Arbeitszeiten (Frauen 30,6%und Männer 23%), der durch die Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Erwerb motivierte Stellenwechsel von immerhin knapp einem Viertel aller Betroffenen (Frauen 30% und Männer 16%) und die Übernahme von weniger anspruchsvoller Arbeit (Frauen 19% und Männer 6%).
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