Wir brauchen ein modernes Personalschutzrecht

Die Arbeitszeiten werden flexibilisiert. In den letzten Monaten hat diese Tendenz enorm an Dynamik gewonnen. Mit Homeoffice ist auch die Erwartung verbunden, dass der Arbeitnehmer verfügbar ist, wenn es ihn braucht. Die Digitalisierung macht das auch praktisch möglich. Wie weit geht diese Verfügbarkeit? Das Personalrecht in den Kantonen, Städten und Gemeinden wird mit dieser Frage heute nicht fertig. Das muss sich ändern.

Dauernd verfügbar zu sein, war in den letzten Jahren häufig ein Problem von Mitarbeitenden in Leitungsfunktionen; sie wurden dafür mit einer Woche mehr Ferien entschädigt oder mit einer besseren Besoldung – oder beidem. Das ist heute nicht mehr so. Die Flexibilisierung zieht sich durch alle Aufgabenbereiche und Hierarchiestufen, der Anspruch auf Verfügbarkeit des einzelnen Mitarbeitenden auch. Das hat zwar auch etwas mit dem Anspruch des Einzelnen auf Flexibilisierung zu tun, aber vor allem mit der technischen Entwicklung, die es möglich macht, den Mitarbeitenden vom konkreten, physischen Arbeitsplatz zu entkoppeln. Das Ausmass dieser Entkoppelung haben wir in den letzten Monaten im Rahmen der Covid-19-Pandemie eindrucksvoll erlebt. Was noch vor einem Jahr undenkbar schien, ist heute Realität.

Wenig hat sich aber dort entwickelt, wo es dringend nötig ist: Bei der Definition, was Arbeitszeit ist, was der Arbeitszeit zuzurechnen ist, wann (zu Hause) im Dienst des öffentlichen Arbeitgebers gearbeitet werden darf und wann eben nicht. Die Digitalisierung des Arbeitsplatzes fördert die Integration der Arbeit in die Familie, in den Haushalt. Die Folgen dieser Entgrenzung sind nicht absehbar. Der öffentliche Arbeitgeber steht in der Pflicht, sich darum zu kümmern. Davon sind wir heute weit entfernt. Das Arbeitsgesetz des Bundes, das sich mit solchen Fragen in den Grundzügen beschäftigt, ist für den öffentlichen Dienst nur mit wenigen Ausnahmen anwendbar. Die Regelung wäre auch ungenügend.

Wer zu Hause arbeitet, tut dies im Vertrauen des Arbeitgebers, dass er arbeitet und dass er genug arbeitet. Hat der Arbeitgeber Zweifel, ist er eher geneigt, den Einsatz über die Zugriffszeiten auf den Rechner des Arbeitgebers zu überprüfen. Was kaum je Gegenstand der Prüfung sein wird, ist die Frage, ob der Arbeitnehmer nicht zu viel arbeitet und nicht mehr in der Lage ist, zwischen Arbeitszeit und Freizeit zu differenzieren. Zahlenmässig, davon sind wir überzeugt, ist der zweite Fall das eigentliche Problem, nicht etwa der Einzelfall, der sich zeitlich optimiert. Dieser Frage aber geht niemand nach.

Wieso? Mit der Flexibilisierung der Arbeitszeit ist auch der Begriff der Vertrauensarbeitszeit bedeutender geworden. Nur schon der Begriff ist ein Debakel: Er bringt zum Ausdruck, dass der Arbeitgeber dem Mitarbeitenden glaubt, dass er schon so viel arbeiten wird, wie er arbeiten muss – er vertraut ihm also dahingehend, dass er seine Stunden korrekt abarbeitet. Niemand käme hier auf die Idee zu meinen, Vertrauen bedeute, dass der Arbeitnehmer nicht zu viel arbeitet oder zu Zeiten arbeitet, in denen er tatsächlich nicht arbeiten sollte. Aber genau das ist das Problem.

Die Vertrauensarbeitszeit hat sich mit dem Homeoffice in der öffentlichen Verwaltung auf eine grosse Anzahl von Mitarbeitenden ausgedehnt. Sie ist schon lange kein Einzelfall mehr. Damit stellt sich die Frage, ob Begriff, wie Modell abgeschafft gehören. Diese Frage ist zu bejahen. Der öffentliche Arbeitgeber hat ein Arbeitszeitsystem einzuführen, das sich mit Höchstarbeitszeit, mit zu leistender Arbeitszeit, mit Überstunden, mit Zeitfenstern, wann gearbeitet werden darf, mit der Frage, wann man verfügbar sein muss und wann nicht, wann elektronische Arbeitsgeräte genutzt werden dürfen und wann nicht, wann Ruhezeiten zwingend zu beachten sind, ob am Abend oder ob am Wochenende gearbeitet werden darf, zu beschäftigen. Das bedeutet keineswegs lückenlose Kontrolle, es bedeutet aber, dass die Regeln klar sind – und bei diesen Regeln ist der Fokus in erster Linie darauf zu richten, dass die Mitarbeitenden auch auf Dauer zwischen Freizeit und Arbeitszeit zwischen Ferien und der Beantwortung von E-Mails differenzieren können.

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