Zugbegleitdienst

Angespuckt und gewürgt – unsere deutschen Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst haben es auch nicht einfach

Hohe Dunkelziffer

Vor und nach den beiden brutalen Attacken habe es weitere Vorfälle gegeben, räumt der leidenschaftliche Eisenbahner ein, der seinen Berufsweg 1987 als Siebzehnjähriger mit der Ausbildung zum Facharbeiter für Eisenbahnbetrieb bei der Deutschen Reichsbahn begonnen hatte.

«Neben den körperlichen Angriffen sind es die verbalen Attacken, denen fast alle, die im Zugbegleitdienst arbeiten, schon mal ausgesetzt waren.» Er selbst sei schon sehr beleidigt und mit Ausdrücken geschmäht worden. «Die Spannweite reicht von Kleingeist bis hin zu weit bösartigeren Ausdrücken, die ich nicht näher ausführen möchte», sagt Bäselt. «Meines Erachtens liegt die Dunkelziffer bei den Verbal­attacken noch weit höher als bei den weniger folgenschweren körperlichen Übergriffen wie Schubsen oder am Ärmel reissen.»

Viele Kollegen würden solche Vorfälle eher runterspielen, statt Meldung zu machen: «Ich erlebe auch, dass Kolleginnen und Kollegen sich entweder nicht die Zeit nehmen, ein Formular dafür auszufüllen, oder gar nicht wissen, dass es hierfür ein Formular gibt. Im Rahmen der Digitalisierung sollte es doch inzwischen möglich sein, derartige Vorfälle über das Diensthandy oder -tablet direkt zu versenden: sei es nun per App oder per Link zu einem Online-Formular.»

Mit Besorgnis blickt René Bäselt auch auf die Personalsituation im Regionalverkehr. «Im Fernverkehr sind wir im Zug­begleitdienst mindestens zu zweit und haben in den Bordbistros oder Speisewagen noch zwei oder drei ‹Gastros› an Bord. Auf den Regios ist nur eine Person, denen in den modernsten Zügen nicht einmal mehr ein Dienstabteil zur Verfügung steht.»

Mehr wirksame Sanktionen

Erst vor ein paar Tagen habe ihm eine Kollegin erzählt, dass sie in einem Regionalzug von vier Männern angegriffen wurde. In diesem Fall seien Fahrgäste eingeschritten. Aber was ist, wenn so etwas spät am Abend passiert, wenn der Zug fast leer ist? «Schwierig, selbst wenn es ein Mann ist, der diese Schicht fährt», sagt Bäselt ernst.

In welchem Ausmass Zugbegleiterinnen über die üblichen Respektlosigkeiten und Zumutungen hinaus auch sexuelle Belästigungen erdulden müssen, ist sogar für den engagierten Gewerkschafter schwer zu durchdringen. «Das Thema sexuelle Übergriffe kann ich nur sehr schwer beurteilen, weil derartige Delikte nur selten – und wenn, dann erst sehr spät oder anonym – dokumentiert werden. Hier sprechen die Ergebnisse der aktuellen GDL-Umfrage ‹Mit Sicherheit› eine eindeutige Sprache.»

Was tun? «Mehr und wirksame Sanktionen gegen Gewalttäter verhängen und sie nicht – wie wir alle es schon erlebt haben – gleich wieder laufen lassen: Eine bessere Strafverfolgung wäre die logische Konsequenz.»

René Bäselt könnte sich aber auch vorstellen, dass er und seine Kolleginnen und Kollegen im Zugbegleitdienst für ihre eigene Sicherheit dazulernen. «Die Bahn bietet zwar Deeskalationsschulungen an; was einem dort beigebracht wird, ist aus meiner Sicht aber mit der Realität nicht vereinbar. Besser wäre es, einfache Techniken zu vermitteln, mit denen man sich schützen kann, indem man lernt, auf engstem Raum zu agieren, sich im Notfall aus einer brenzligen Situation befreien zu können oder einem Angriff auszuweichen. Hierbei kommt es auch auf die Körpersprache an, die dem Gegenüber vermittelt ‹Fass’ mich nicht an!›

Tatort Eisenbahn


Bahnmitarbeiterinnen und -mitarbeiter leben zunehmend gefährlich. Das belegen nicht nur die Ergebnisse der von der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) bundesweit bei 2 500 Zugbegleitern und Lokführern aller Eisenbahnverkehrsunternehmen durchgeführten und im Juni 2020 veröffentlichten Onlinebefragung «Mit Sicherheit» (mehr dazu im «hintergrund» ab Seite 15). Auf eine parlamentarische Anfrage der Linken-Fraktion räumte auch die Bundesregierung eine erhebliche Zunahme registrierter Angriffe von bundesweit 1 876 (2015) auf 2 558 im Jahr 2019 ein. Wenig Anlass zu Optimismus bieten auch die ersten Zahlen für das laufende Jahr. Wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) Ende August berichtete, registrierte die Deutsche Bahn (DB) allein im Mai und Juni 2020 bundesweit zwischen 89 und 117 Körperverletzungen an ihren Mitarbeitern, wobei in 9 bis 13 Prozent der Fälle von einem Corona-Bezug auszugehen sei. Bei Beleidigungen, Bedrohungen und Nötigungen lasse sich vermutlich jeder fünfte Vorfall auf die Corona-bedingten Einschränkungen zurückführen.

 

Autorin: Christiane Bonath
Fotos: Jan Brenner

«dbb magazin», Oktober 2020

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