«Den Jugendlichen etwas Positives auf den Weg geben»

Interview mit Lorena Herrli, Auszubildende zur Dipl. Pflegefachfrau HF bei der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich

Welchen Dienst machen Sie am liebsten?
Ich persönlich bevorzuge den Spätdienst, da ich dann einerseits ausschlafen und andererseits einen persönlicheren Kontakt mit den Jugendlichen pflegen kann. Nach all den Terminen, die tagsüber stattfinden, bietet der Abend Raum für persönlichere Gespräche, bei denen sich die Jugendlichen auch gegenüber dem Pflegepersonal öffnen. An ruhigeren Tagen können wir mit ihnen Spiele spielen, ein Game am Töggelikasten austragen, zusammen fernsehen, mit der Gruppe spazieren gehen oder uns anderweitig beschäftigen. Überraschenderweise wird der Fernseher nur sporadisch genutzt, obwohl sie dies ab 20.00 Uhr dürften.
Smartphones dürfen die Jugendlichen nur im Ausgang und vor dem Stationsbüro (wieder) beziehen, da der Datenschutz in einer Institution wie der unsrigen gewahrt werden muss. Es wäre nicht zu verantworten, wenn interne Informationen (wie z.B. Fotos von Patientinnen und Patienten) nach aussen dringen würden.

Dürfen die Patienten Besuch empfangen?
Sie dürfen durchaus Besuch empfangen, einfach nicht zu viele zur gleichen Zeit, da unsere Station nur über begrenzten Platz verfügt. Wir haben bestimmte Besuchszeiten, damit der geregelte Alltag auch eingehalten werden kann. Während der Coronakrise wurden die Besuche arg eingeschränkt; es durften nur noch die Eltern vorbeisehen und auch nur während gewissen Zeiten, was für die Jugendlichen teilweise sehr schwierig war. Zum Glück wurde diese Praxis wieder gelockert. Für sie war es schwierig, sich nur im Klinikumfeld bewegen zu können. Normalerweise animieren wir sie dazu, während des Urlaubs oder Ausgangs die Klinik zu verlassen, damit der Realitätsbezug nicht verloren geht.

Gab es Fälle, bei denen ein Patient oder eine Patientin vom Ausgang nicht mehr zurückgekehrt ist?
Das gab beziehungsweise gibt es durchaus. Es kommt dann darauf an, was im Vorhinein durch den Arzt verordnet wurde und ob diese Person selbst- oder fremdgefährdet ist oder nicht. Ist dies der Fall, wird unverzüglich die Polizei eingeschaltet, ausgeschrieben und zurückgeführt. Wenn ein Patient nicht suizidal ist, wird nach erfolgloser Kontaktaufnahme eine Vermisstenmeldung gemacht und die Eltern informiert. Grundsätzlich versuchen wir zuerst den Jugendlichen telefonisch zu erreichen und uns zu erkundigen, was der Grund für seine Verspätung ist. Dass sie die Zeit vergessen, kommt durchaus mal vor. In der Regel werden die Jugendlichen sehr schnell gefunden und wieder zurückgeführt.

Dürfen sich Jugendliche, die suizidgefährdet sind, auch ausserhalb der Klinik aufhalten?
Nein, wenn jemand akut suizidgefährdet ist, wird der Ausgang verwehrt. Falls die Person absprachefähig ist, kann ihr der Ausgang jedoch innerhalb eines begrenzten Zeitrahmens gewährt werden. Dazu muss die Beziehung zum Jugendlichen gut und das gegenseitige Vertrauen vorhanden sein. Wenn ich weiss, dass ein Suizidrisiko besteht, suche ich zuerst das Gespräch mit dem Jugendlichen und kläre ab, ob die Person «safe» ist oder ob etwas passieren könnte. Wenn ich das Gefühl habe, dass etwas nicht stimmt, lasse ich die Person nicht gehen und spreche mich mit den Ärzten ab. Alle unsere Jugendliche haben einen Notfallplan; das ist mitunter das Erste, was sie beim Eintritt machen müssen. Dieser beinhaltet eine Liste mit Dingen, die ihnen guttun und die sie in schwierigen Situationen machen können, wie z. B. Musikhören oder Joggen usw. Dieser Notfallplan ist auf jeden Jugendlichen persönlich zugeschnitten und enthält sowohl unsere Nummer als auch die der Eltern. Falls sie an einem Punkt stehen sollten, bei dem sie nicht mehr weiterwissen, können sie uns anrufen oder den Plan Schritt für Schritt durchgehen. Bei jedem Ausgang wird auch überprüft, ob der Jugendliche den Plan dabeihat.

Gab es bereits einen Vorfall, bei dem jemand Suizid begangen hat?
Seit ich hier auf der Station bin, gab es noch keinen derartigen Vorfall. Ein Suizid kann leider auch bei uns vorkommen, obwohl wir natürlich mit allen Mitteln versuchen, dies zu verhindern. Sollte es dennoch zu einem solchen Fall kommen, würde ein Care Team aufgeboten, das die Jugendlichen und uns Pflegende betreut. Für uns Pflegende ist der Austausch innerhalb des Teams in einer solchen Situation äusserst wichtig und hilft, das Geschehene besser zu verarbeiten. Auch die Patienten müssen von externen Partnern unterstützt werden, insbesondere, wenn weitere Suizidgefährdete in der Klinik untergebracht sind.

Gibt es Eltern, die sich Vorwürfe machen? Wie werden Eltern in solchen Situationen unterstützt?
Man merkt oft, dass sich die Eltern Vorwürfe machen. In den Familiengesprächen, die wir führen, sind Schuldgefühle der Eltern ein grosses Thema. Ich empfinde Mitgefühl, wenn die Eltern so stark mitleiden und Schuldgefühle entwickeln.
Ja, es gibt interne und externe Unterstützungsangebote für Angehörige, die Hilfe benötigen. Wir sind auch immer offen für Gespräche mit den Eltern und versuchen zu helfen. Für Eltern ist es auch oft sehr schwierig, ihr Kind in fremde Hände zu geben, deshalb versuchen wir uns die Zeit zu nehmen, sie kennen zu lernen und Vertrauen zu ihnen aufzubauen.

Gibt es Unterschiede zwischen erwachsenen und jugendlichen Patienten in der Psychiatrie?
Ja, ich würde sagen, dass vor allem die Krankheitsbilder bei Erwachsenen viel ausgeprägter sind als bei jungen Menschen. Es gibt durchaus auch komplexe Fälle bei Jugendlichen, aber bei ihnen ist noch viel «Gesundes» vorhanden. Bei den Erwachsenen, die sich auf der geschlossenen Akutstation befinden, sind die zu behandelnden Patientinnen und Patienten oftmals chronisch krank, was die Behandlung zusätzlich erschwert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.