Aline Zucco ist Gender-Ökonomin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)

Klassische Frauenberufe werden gesellschaftlich oft weniger anerkannt

Wie lässt sich die Korrelation von Systemrelevanz mit geringem Ansehen, niedrigen Löhnen und einem hohen Frauenanteil erklären?

Aline Zucco: Um diese Frage zu beantworten, muss ich etwas weiter ausholen, denn die Antwort auf diese Frage liegt wahrscheinlich schon in der Erziehung: Viele Tätigkeiten, die in unserer Gesellschaft nach wie vor als klassische «Frauenaufgaben» angesehen werden, wie sich um Angehörige kümmern, Putzen und den Haushalt schmeissen oder auch für Kinder sorgen, bekommen oft schon zu Hause wenig Anerkennung, da sie als «selbstverständlich» angesehen werden. «Selbstverständlich» lässt sich im Berufskontext gut mit «systemrelevant» übersetzen, denn erst wenn etwas nicht funktioniert, wird uns wieder bewusst, wie sehr wir diese Berufe für unsere Gesellschaft brauchen.

Wie kann das Ansehen der systemrelevanten Berufe gesteigert werden? Welche Massnahmen tragen ganz konkret zu einer echten Aufwertung systemrelevanter Berufe bei?

Aline Zucco: Einerseits beobachten wir ja bereits jetzt durch die Krise, dass die Gesellschaft auf bestimmte Berufe ganz besonders angewiesen ist. Ob dies langfristig auch zu einer höheren Anerkennung dieser Berufsgruppen führt, wird sich erst in einigen Jahren zeigen. Krisen bergen jedoch dieses Potenzial, so hat beispielsweise die Finanzkrise von 2008 auch dazu geführt, dass der bis dahin weit geachtete Beruf der Bankangestellten an gesellschaftlichem Ansehen eingebüsst hat. Nichtsdestotrotz muss auf die gesellschaftliche Aufwertung systemrelevanter Berufe aber eine finanzielle Aufwertung folgen. Ein mögliches Mittel wäre eine Ausweitung der Tarifbindung. So beobachten wir beispielsweise schon heute, dass innerhalb der Gruppe systemrelevanter Berufe diejenigen Berufsgruppen besser entlohnt werden, in denen es eine hohe Tarifbindung gibt. Dazu gehören beispielsweise Berufe im Polizeivollzug, aber auch in der öffentlichen Verwaltung. Traditionell sind dabei vor allem «Männerberufe» gut tarifvertraglich abgesichert, da sich Gewerkschaften historisch im industriellen Sektor gebildet haben. Das heisst, dass es hier starke Gewerkschaften braucht, um allgemeinverbindliche Tarifverträge auch für weitere Berufsgruppen durchzusetzen. Corona könnte diesen Prozess verstärken: Die Twitter-Kanäle sind derzeit voll von Tweets systemrelevant Beschäftigter, die einmalige Corona-Prämien ablehnen und – zu Recht – mehr fordern als geringe Ad-hoc-Bonuszahlungen. Denn letztlich schützt kein Danke und auch keine geringe Bonuszahlung vor Altersarmut.

Die Corona-Krise offenbart aber noch eine weitere Dimension der Problematik: Durch Schul- und Kitaschliessungen entsteht ein Betreuungsvakuum. Auch hier sind es wieder die Frauen, von denen man erwartet, im Homeoffice Arbeit, Haushalt und Homeschooling zu vereinen. Warum nicht auch von den Männern?

Aline Zucco: Dass es häufig Frauen sind, die die Care-Arbeit übernehmen, wenn beide Elternteile im Homeoffice sind, ist leider nicht sehr überraschend. Meine Kollegin und Studien-Co-Autorin Claire Samtleben hat letztes Jahr in einer Studie gezeigt, dass Frauen auch an erwerbsfreien Tagen deutlich mehr Zeit mit Kinderbetreuung verbringen als Männer. Aber warum ist das so? Charlotte Roche hat einmal gesagt: «Die Gleichberechtigung endet mit dem Tag der Geburt des ersten Kindes» und damit trifft sie den Nagel auf den Kopf. Denn nach der Geburt des ersten Kindes unterbricht die Mutter in den meisten Fällen für eine längere Zeit ihre Erwerbstätigkeit und arbeitet danach in Teilzeit weiter, während der Vater fast ohne Unterbrechung seine Vollzeiterwerbstätigkeit weiterführt. Das hat zur Folge, dass sich durch die Geburt des ersten Kindes oft eine traditionelle Rollenverteilung einschleicht, die dazu führt, dass es vor allem Frauen sind, die für die Sorgearbeit zuständig sind. Das führt im Übrigen auch dazu, dass die Löhne von Frauen nach der Geburt des ersten Kindes stagnieren, während die von Männern unverändert ansteigen, wie meine Kollegin Annekatrin Schrenker und ich erst kürzlich gezeigt haben. Doch kann gegen diese Ungleichverteilung der Sorgearbeit etwas getan werden? Ja! Denn neue Untersuchungen zeigen, dass Männer, die mehr als zwei Monate Elternzeit genommen haben, und damit auch tagsüber alleine für das Kind verantwortlich waren, auch langfristig mehr Sorgearbeit übernehmen. Das bedeutet aber auch, dass jede und jeder etwas Verantwortung abgeben muss: Männer im Berufsleben und Frauen bei der Sorgearbeit.

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