Die Corona-Krise zeigt: Wenn es ernst wird, stützen vor allem Frauen Wirtschaft und Gesellschaft. Sie stellen die Mehrzahl der Beschäftigten im Gesundheitswesen, in der Altenpflege, an Schulen und Kitas oder im Einzelhandel. Ihre Dienste werden jetzt dringend gebraucht oder schmerzlich vermisst wie etwa im Bereich der Kinderbetreuung. Die Gender-Ökonomin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Aline Zucco, bewertet die unverzichtbare Leistung von Frauen für die Gesellschaft – nicht nur in Krisenzeiten – und liefert Anregungen, wie sich der Wert systemrelevanter Dienstleistungen langfristig steigern lässt. Ein Interview.
In einer aktuellen Studie des DIW Berlin haben Sie zusammen mit Wissenschafterinnen verschiedener Forschungsdisziplinen Berufsgruppen nach Ansehen und Bezahlung verglichen, die entscheidend für die Bewältigung der aktuellen Krise sind. Dabei haben Sie eine deutliche Diskrepanz zwischen gesellschaftlicher Unverzichtbarkeit und tatsächlicher Entlohnung festgestellt. Welche Berufsgruppen sind besonders betroffen? Was bedeutet das für die Entlohnung der jeweiligen Beschäftigten?
Aline Zucco: In der Tat liegen die Stundenlöhne in den sogenannten systemrelevanten Berufen in Deutschland mit knapp 18 Euro unter dem Durchschnitt über alle Berufe, der bei gut 19 Euro liegt. Das klingt zunächst nach keiner sehr grossen Abweichung vom Durchschnitt. Schaut man sich allerdings einzelne Berufsgruppen genauer an und insbesondere diese, in der ein hoher Anteil aller systemrelevant Beschäftigten arbeitet, werden grosse Unterschiede deutlich: In Reinigungs- und Verkaufsberufen ist das Lohnniveau mit nicht mal 10 Euro pro Stunde besonders gering. Aber auch in Pflegeberufen wie zum Beispiel in der Gesundheits- und Krankenpflege liegt der Stundenlohn mit 16.50 Euro deutlich unter dem Durchschnitt. Interessanterweise zeigen unsere Ergebnisse ausserdem einen starken Zusammenhang zwischen der Bezahlung und der gesellschaftlichen Anerkennung in Zeiten ausserhalb von Corona. So liegt auch das Berufsprestige in den systemrelevanten Berufen mit 58 von 200 maximal möglichen Punkten unterhalb des Durchschnitts von 63 Punkten. In der Gesundheits- und Krankenpflege zum Beispiel, wo auch die Löhne unterdurchschnittlich sind, liegt das Berufs-prestige mit 51 Punkten deutlich unter dem Schnitt.
Warum messen wir diesen Berufen so wenig Ansehen bei? Woran liegt das?
Aline Zucco: Es lässt sich natürlich nicht pauschal beantworten, warum manche Berufe schlechter angesehen sind als andere. Aber es fällt auf, dass insbesondere Berufe, die grösstenteils von Frauen ausgeübt werden, gesellschaftlich weniger anerkannt werden. In der Gesundheits- und Krankenpflege zum Beispiel sind mehr als 80 Prozent der Beschäftigten Frauen. Ähnlich verhält es sich zum Beispiel bei der Arzt- und Praxishilfe, deren gesellschaftliche Anerkennung auch weit unter dem Durchschnitt liegt und gleichzeitig mit einem Frauenanteil von 96 Prozent fast ausschliesslich von Frauen ausgeübt wird. Aber natürlich gibt es auch Berufe, die einen hohen Frauenanteil haben und ein hohes Ansehen geniessen wie zum Beispiel pharmazeutische Berufe.