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In der Krise zeigt sich, welche Berufsgruppen unabdingbar für die Aufrechterhaltung des öffentlichen und sozialen Lebens sind. Als systemrelevant werden zum Beispiel das Gesundheitswesen, die innere Sicherheit, die Grund- und Lebensmittelversorgung, Kindernotbetreuung oder Bereiche der Verkehrs- und IT-Infrastruktur eingeordnet. Ausgerechnet die Beschäftigten in diesen Sparten sind es aber, die ausserhalb von Krisenzeiten ein geringes gesellschaftliches Ansehen geniessen und eine unterdurchschnittliche Bezahlung erhalten. Darüber hinaus arbeiten besonders oft Frauen in systemrelevanten Berufen. Zu diesen Ergebnissen kommt eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).
Die Wissenschaftlerinnen Josefine Koebe, Claire Samtleben, Annekatrin Schrenker und Aline Zucco kommen zu dem Ergebnis, dass die Diskrepanz zwischen gesellschaftlicher Unverzichtbarkeit und tatsächlicher Entlohnung – gemessen am Stundenlohn und beruflichen Prestige – in Krisenzeiten besonders offensichtlich wird: «Deshalb sollten auf kollektive Dankbarkeit konkrete Massnahmen folgen, beispielsweise eine höhere Entlohnung sowie breitere tarifvertragliche Absicherung. Das würde dazu beitragen, die Arbeitsbedingungen und Attraktivität der systemrelevanten Berufe erheblich zu verbessern.» Gleichzeitig könne damit auch der Gender Pay Gap, also die Verdienstlücke zwischen Frauen und Männern, reduziert werden.
Das sei insbesondere wichtig, weil die systemrelevanten Berufe von schützenden Massnahmen, die für andere Beschäftigte in der Corona-Krise gelten, ausgenommen seien. Das Spektrum der Berufe, die als unverzichtbar für den Erhalt kritischer Infrastruktur eingeordnet werden, gehe zudem weit über die häufig im Fokus stehenden Berufe im Gesundheitssektor hinaus und reiche von Erziehungs- über Reinigungsberufe bis hin zu Berufen im Polizei- und Justizbereich.
Geringe Wertschätzung
Die Autorinnen haben mittels der «Magnitude Prestige Skala» (MPS) gemessen, dass das gesellschaftliche Ansehen der verschiedenen systemrelevanten Berufsgruppen ausserhalb von Krisenzeiten überwiegend unterdurchschnittlich ist. Die Skala beruht auf repräsentativen Befragungen und misst, welches gesellschaftliche Ansehen Menschen in diesen Berufen geniessen. Das Ergebnis: Zusammen betrachtet weisen die systemrelevanten Berufsgruppen ein um rund fünf Punkte geringeres Prestige auf als der Gesamtdurchschnitt aller Berufe, der bei 63 von 200 maximal möglichen Punkten liegt.
Besonders aufgefallen ist den Autorinnen das geringe Ansehen für Reinigungsberufe, aber auch für Berufe im Bereich Post und Zustellung sowie für Fahrzeugführer(-innen) im öffentlichen Verkehr. Überdurchschnittlich angesehen sind hingegen Human- und Zahnmediziner(-innen), die mit 194 Prestigepunkten fast das Maximum der Skala erreichen. Ebenfalls ein überdurchschnittliches Prestige erfahren pharmazeutische Berufe und Berufe der IT-Infrastruktur sowie Berufe, die im technischen Betrieb des Eisenbahn-, Luft- und Schiffsverkehrs angesiedelt sind. Dabei machen diese Untergruppen mit sehr hohem Ansehen aber einerseits nur einen sehr geringen Teil von weniger als fünf Prozent aller Personen in systemrelevanten Berufen aus. Andererseits fällt auf, dass sich das hohe Ansehen nicht ausschliesslich mit dem jeweiligen Tätigkeitsbereich erklären lässt, denn Arzt- und Praxishilfen sind nur unterdurchschnittlich angesehen, obwohl sie zum Gesundheitswesen gehören – ebenso wie zum Beispiel Reinigungskräfte, die mit ihrer Arbeit erst das hygienische Umfeld dafür schaffen, dass Ärztinnen und Ärzte arbeiten können.
Lohnniveau unterdurchschnittlich
Was die Entlohnung betrifft, wird ein Grossteil der Beschäftigten in systemrelevanten Berufen unterdurchschnittlich bezahlt. Auch das ist ein Ergebnis der Studie. Während der durchschnittliche Bruttostundenlohn aller Berufe bei 19 Euro liegt, weisen systemrelevante Berufe zusammengenommen einen mittleren Stundenlohn von unter 18 Euro auf und liegen damit rund sieben Prozent unterhalb des Durchschnitts. Zudem sind die Löhne insbesondere in jenen Berufen unterdurchschnittlich, in denen ein hoher Anteil der systemrelevanten Arbeitnehmer(-innen) tätig ist, also in Reinigungsberufen, Lagerwirtschafts-, Post- und Zustellungs-, Güterumschlagsberufen sowie in Erziehungs-, Sozialarbeits- und Heilerziehungsberufen. Etwas anders verhalte es sich aufgrund der hohen Heterogenität bei den Verwaltungsberufen, wo auch Beschäftigte arbeiteten, die nicht zur kritischen Infrastruktur gehören.
Auf der anderen Seite des Spektrums machten Berufsgruppen, die systemrelevant sind und überdurchschnittlich gut verdienen, nur einen kleinen Teil der Beschäftigten in systemrelevanten Berufen aus: Personen, die beispielsweise in der Überwachung und Steuerung des Verkehrsbetriebs arbeiten, umfassen weniger als ein Prozent aller systemrelevanten Berufszugehörigen. Human- und Zahnmediziner(-innen) sowie Personen in IT-Berufen, die deutlich überdurchschnittlich verdienen, machen ebenfalls nur jeweils ein Prozent aus. Insgesamt lässt sich feststellen, dass über 90 Prozent der Beschäftigten in Berufen, die aktuell der kritischen Infrastruktur zugeordnet werden, nur einen unterdurchschnittlichen Lohn bekommen.
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