«Ich kann nicht alles ändern, aber ich kann zumindest etwas tun»

Interview mit Hans Melliger, Leiter Jugendanwaltschaft

Gibt es Unterschiede im Vergleich zum benachbarten Ausland?

Ja, grosse. Frankreich und Deutschland haben das vermeintlich härtere Recht. In Deutschland beginnt die Strafmündigkeit zwar erst nach vollendetem 14. Altersjahr, bei uns schon nach dem 10. Altersjahr. Auf der anderen Seite können aber Jugendstrafen bis 10 Jahre ausgefällt werden. Bei uns beträgt die Höchststrafe lediglich 4 Jahre, dafür werden in solch krassen Fällen bei uns geschlossene Massnahmen ausgesprochen, die bis zum 22. Altersjahr gehen können.

Zudem sind die Vollzugsanstalten in Deutschland und Frankreich nicht vergleichbar mit unseren Institutionen, wie z.B. mit dem Jugendheim Aarburg oder dem Massnahmenzentrum Uitikon. Bei uns zielen die Massnahmen auf langfristige Resultate und auf die Eingliederung in die Gesellschaft ab, weshalb sie von unbestimmter Dauer sind; zum Beispiel bis zum Ende der Lehre oder wenn drogenmässig bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Man hat zusammen ein Ziel und setzt dieses um, weshalb die Massnahmen von unbestimmter Dauer sein müssen, damit nicht einfach eine Zeitspanne «abgehockt» wird.

Unser Vorteil ist, dass wir so kleinräumig sind. In Deutschland haben die Jugendvollzugsanstalten Platz für 400 Personen. Sie haben grosse Probleme beim Vollzug von kurzen Freiheitsstrafen von zum Beispiel vier Monaten, weil die verurteilten Jugendlichen sich nicht auf Erziehungs- und Ausbildungsprogramme einlassen, sondern nur möglichst schnell die Zeit verbringen wollen.

Viele unserer ganz «harten Jungs» würden auch lieber vier Monate in Ruhe ins Gefängnis gehen, mit Fernseher und vielleicht noch einer Hantel. Massnahmen mit psychologischer Aufarbeitung Defizite und Besprechung der Tat sowie regelmässiger Arbeit ist für sie viel anstrengender und eine grössere Strafe als das reine «Abhocken»…

Sind bei den straffälligen Jugendlichen alle Nationalitäten vertreten?

Ja. Bei den Gewaltdelikten gibt es allerdings einen Überhang von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, was aber nicht mit der Nationalität, sondern mit ihrer Ausgangslage zu tun hat. Sie kommen oft aus zerrütteten Familien, sind selbst Gewaltopfer, mussten vor dem Krieg flüchten und sind traumatisiert. Viele haben aber auch eine unglaubliche Fähigkeit, mit diesen widrigen Umständen umzugehen. Ich habe auch mit Jugendlichen zu tun, die für ihre ganze Familie alles managen müssen.

Straffällige, die schwere Delikte verüben, haben sehr oft traumatische Erlebnisse hinter sich in Bezug auf Krieg, Abbrüche von Beziehungen, Unfälle, Flucht, Opfer von Missbräuchen oder Gewaltübergriffen. Diese Ergebnisse sind entsprechend oft Hintergrund für ihre Handlungen. Ein solches Trauma ist nur schwer überwindbar. Diesbezüglich wird wohl noch einiges auf uns zukommen.

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