«Ich kann nicht alles ändern, aber ich kann zumindest etwas tun»

Interview mit Hans Melliger, Leiter Jugendanwaltschaft

Und die vorhin genannten Intensivtäter?

Diese kann man so lange strafen wie man will, ohne dass es etwas verändert. Sie haben psychische und körperliche Probleme, konsumieren oft Drogen; man muss für jeden Einzelnen herausfinden, welche Massnahmen passen. Diese Intensivtäter sind unsere Hauptleute. Im Rahmen des Programms «Früherkennung von Intensivtätern» unterziehen wir alle Täter nach dem ersten Gewalt- und dem zweiten Drogendelikt einer genauen Diagnose. Dann wissen wir welches soziale Profil diese Jugendlichen haben. Das ist eine sehr effiziente Art, die wir selber entwickelt haben. Wenn wir hier ein, zwei, drei Täter frühzeitig auf einen besseren Weg bringen können, ist es schon ein Erfolg, da sie 50 – 60 % der Delikte verüben. Die Früherkennung im Jugendstrafverfahren ist ein wenig zu meinem Steckenpferd geworden.

Reagieren diese Täterkategorien unterschiedlich auf Verbote?

Ja, bei gut sozialisierten Jugendlichen reicht es, dass sie wissen, dass etwas verboten ist, damit sie es nicht tun. Sie fürchten die Konsequenzen zu Hause und von ihren Bezugspersonen. Die familiären Beziehungsverbindungen und die dort eingeschlagenen Massnahmen sind viel tragender und wirkungsvoller als Sanktionen von aussen.

Bei den Risikotypen ist das anders. Die schauen, ob die Polizei in der Nähe ist und setzen sich dann über Verbote hinweg.

Die kritischen 5 % sind ausser Rand und Band. Wir haben hier auch Jugendliche, die massive Delikte begehen, bis hin zu Tötungsdelikten. In den Medien wird leider oft nur über diese Täter berichtet – es ist denn auch falsch, wenn von den «schlimmen/kritischen 4%» auf alle Jugendlichen geschlossen wird.

Was schätzen Sie an Ihrem Beruf?

Unsere Beweglichkeit und Gestaltungsfreiheit. Seit ich 1988 hier angefangen habe, haben wir diverse Gesetzesänderungen gehabt: 2007 haben wir ein ganz neues Jugendstrafgesetz erhalten, 2011 wurde die einheitliche Strafprozessordnung eingeführt. Für uns waren das Chancen unsere Arbeit weiterzuentwickeln. Seit rund vier Jahren haben wir dieses Intensivtäter-Früherkennungsprogramm eingerichtet sowie im Vollzug eigene Sozialkompetenz- und Medientrainings eingeführt.

Die freie Gestaltungsmöglichkeit einerseits im Einzelverfahren, andererseits im gesamten Recht ist wohl einzigartig im schweizerischen Jugendstrafrecht. Es geht nicht einfach um die Abklärung eines Tatbestands und die Anordnung einer Sanktion, sondern es wird auf den Menschen dazwischen geschaut und was diesen weiterbringen kann, damit er nicht mehr rückfällig wird. Das gefällt mir.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.