Ich mag Morgenmenschen!

Glosse. Fabian Schambron mag Menschen eigentlich. Wirklich. Falls Sie eine gegenteilige Erfahrung gemacht haben, lernen Sie hier einen der möglichen Gründe kennen.

Falls Sie sich diese Glosse mehr oder weniger regelmässig antun, haben Sie neben zahlreichen weiteren (und selbstredend üblen) Nebenwirkungen bemerkt, dass ich nicht immer so gelassen bin, wie ich es mir wünsche. Ich würde gerne über meinen allesamt unwichtigen Alltagsproblemen stehen und zum Beispiel auch lauten Menschen freundlich begegnen oder sogar Verständnis haben für Leute, die in den Zug einsteigen wollen, bevor ich aussteigen kann. Mir ist nämlich bewusst, dass ich nicht etwa der Nabel der Welt bin, sondern eher das weisse Haar auf dem Pickel eines Pickels an der Innenseite der Nase – wenn überhaupt. Trotz guter Absichten bestimmt meine Tagesform, wie ruhig ich bleibe, und diese Tagesform zeigt sich, ob gut oder schlecht, erst ab etwa halb acht Uhr morgens. Vorher gibt es weder Tag noch Form, weder mich noch meine.

Diesen Zustand kann man am besten mit Ovids Worten über das vorweltliche Chaos begreifen, das er zu Beginn seiner Verwandlungen beschreibt. Es ist eine formlose, in sich selbst entzweite, rohe, träge und zugleich rastlose Masse, die noch nicht einmal daliegen, herumstehen oder über irgendetwas schweben kann, weil es keinen Raum gibt. Dieser entsteht später (also nach halb acht auf der Weltenuhr) aus dem Chaos. Natürlich geht es nicht an, dass ein weisses Haar auf dem Pickel eines Pickels an der Innenseite der Nase ganz pompös lateinische Dichtung bemüht, um sein bescheidenes Befinden zu beschreiben, aber es passt: Ich kann morgens nicht sagen, wie ich mich fühle, weil ich unmittelbar nach dem Aufwachen noch nicht einmal Werkzeuge habe, um den erahnten Schaden auch nur ansatzweise abzuschätzen. Nein, ich verziehe mein Gesicht nicht, ich suche danach. Und nein, ich bin nicht übellaunig, finde es aber schwierig, mit Fragen umzugehen, die mir um 6.13 Uhr einfach zu hoch sind, aus meiner Nasenpickelpickelhaarsicht also an der Schädeldecke kleben. Ehrlich: Wer kann denn mit Sicherheit sagen, ob er Zucker in den Kaffee will, wenn noch nicht klar ist, wie man schon wieder genau atmet und wer das grosse Feuer im Himmel ausgelöscht hat?

Dass Zucker nicht in den Kaffee gehört, wird erst nach halb acht und mit vier Tassen süsser Brühe im zwickenden Bauch klar. Dann kommt mir auch wieder in den Sinn, dass ich mehr Verständnis für andere haben will. Also: Ich mag Morgenmenschen, denn nur weil ich selbst nicht ich selbst bin, brauche ich ja niemanden zu beneiden, dem es besser geht. Ich freue mich sogar, dass sich alle Morgenmenschen wohlfühlen und sie den ganzen Tag geniessen können, während ich die ersten anderthalb Stunden mit Persönlichkeitsscherbenlese verbringe. Kein Problem. Wenn Sie aber ein Morgenmensch sind und frühmorgens in meiner Nähe fröhlich sein möchten oder etwa gar pfeifen wollen, verstecken Sie am Vorabend alle scharfen Gegenstände. Und zwar gut.

1 Kommentar “Ich mag Morgenmenschen!

  1. Sehr geehrter Herr Schambron (ZV Info/März 2018)
    wie unendlich wohltuend, endlich einmal zu lesen, dass man in der Schweiz der notorischen Früh-„Leister“ und abends mit den Hühnern auf die Stange Hüpfer nicht ganz allein ist! Alle, die morgens erst Persönlichkeitsscherbenlese – eine prächtige Wortschöpfung! – betreiben müssen, arbeiten auch – effizient und effektiv, wie heute gefordert -, nur eben zu anderen Zeiten! Ihre wunderbare Glosse haben Sie bestimmt nicht vor 08.30 komponiert, einer Tageszeit, in der die „Lerchen“ bereits die erste Ermüdung spüren…
    Mit freundlichen Grüssen Elisabeth Balscheit, 4447

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