Digitalisierung

Eine Utopie wird Realität

Arbeitswelt 4.0

Digitale Transformation polarisiert

Chancen und Risiken sieht Sandra Kothe, bis Mitte Mai 2017 Vorsitzende der dbb jugend, mit Blick auf «Arbeit 4.0» im öffentlichen Dienst: «Viele Beschäftigte haben den Wunsch nach mehr Freiheit bei Arbeitszeit und Arbeitsort. Es braucht aber klare Regeln, um die Beschäftigten vor Selbstausbeutung zu schützen.»

Erkennbar ist derzeit gleichwohl vor allem eines: Die digitale Transformation und ihre Auswirkungen auf die Arbeitswelt polarisieren. Und zwar in hohem Maße. Für die einen ist die digitale Zukunft Verheißung und Lebensgefühl, für die anderen bedeutet sie Unsicherheit, oft sogar Angst. Während die einen die enormen Chancen der Digitalisierung für Wirtschaft und Beschäftigung sehen, sorgen sich die anderen um Arbeitsplatz- und Qualifikationsverlust, Arbeitsverdichtung und Entgrenzung. Und in bestimmten Branchen, die Dienst direkt am Menschen leisten, stoßen Digitalisierung und Automatisierung zwangsläufig an ihre Grenzen – insbesondere in vielen Bereichen des öffentlichen Dienstes: Telearbeit für Krankenpfleger und Lehrer? Löschdrohnen anstelle von Feuerwehrbeamten? Roboter in Kitas und Bürgerämtern? Technisch mag vieles machbar sein – aber nicht alles, was machbar ist, macht auch Sinn. Darauf weist in Deutschland auch die dbb jugend immer wieder hin. Vorsitzende Sandra Kothe: «Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst sind nicht rückständig, im Gegenteil: Sie sind doch die ersten, die sich angesichts der massiven Arbeitsverdichtung über technische Entlastung freuen würden. Aber die muss erstens auch wirklich funktionieren und zweitens jeweils Sinn und Zweck erfüllen. Wenn das hauseigene IT-System zu jedem Quartalswechsel verlässlich abstürzt, ist niemandem geholfen. Und nein: Wir wollen gar keine komplett menschenleere Verwaltung, wir arbeiten mit und für Menschen. Der Staat muss ein Gesicht haben, muss greifbar sein und in der Lage, situationsgerecht zu kommunizieren. Öffentlichen Dienst vom Band wird es also immer nur punktuell geben können», sagte Kothe im Mai 2017.

Flexibel, nicht grenzenlos

Überlegungen, die auch der stellvertretende dbb Bundesvorsitzende und Bundesvorsitzende der komba gewerkschaft, Ulrich Silberbach, teilt: «Den Wunsch nach mehr Freiheit bei der Gestaltung der Arbeitswelt teilen viele Beschäftigte und Arbeitgeber. Aber es muss auch künftig klar sein: Flexibel heißt nicht grenzenlos. Gesetzliche Mindeststandards etwa bei der Arbeitszeit können nur gelockert werden, wenn starke Personalvertretungen und Gewerkschaften die neuen Freiräume gestalten», das gelte auch für die Digitalisierung der Arbeitswelt, stellt Silberbach klar.

Zwar gäbe es einen stärker werdenden Wettbewerb um Personal in vielen Bereichen, wodurch Arbeitgeber dort ein Eigeninteresse an guten Arbeitsbedingungen hätten. Dies gelte aber längst nicht für alle Branchen und Unternehmen. Um Missbrauch auszuschließen, sei die Ankündigung von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles zu begrüßen, ein zweijähriges Pilotprojekt für flexiblere gesetzliche Arbeitszeiten an eine wissenschaftliche Begleitung und eine tarifvertragliche Absicherung zu koppeln. Nahles hatte dies im November 2016 anlässlich der Präsentation des Weissbuchs «Arbeiten 4.0» angeregt. Silberbach: «Es ist richtig: In der modernen Welt erscheinen die Arbeitsgesetze manchmal wie ein grobschlächtiger Säbel. Tarifverträge sind dagegen eher ein eleganter Degen. Aber auch damit kann man die Interessen der Beschäftigten gut verteidigen.»

Silberbach warnte gleichzeitig davor, zu große Erwartungen an die Digitalisierung und Modernisierung der Arbeitswelt zu wecken: «Die Debatte ist an vielen Stellen zu weit weg von der Lebenswirklichkeit, wenn es zum Beispiel um mobiles Arbeiten geht. Gerade bei uns im öffentlichen Dienst sind wir nah dran am Bürger, müssen wir rund um die Uhr verfügbar sein. Wenn ein Notruf kommt, müssen Polizei und Rettungskräfte da sein. In den Bürgerämtern und Verwaltungen wollen wir auf persönliche Betreuung und feste Öffnungszeiten nicht verzichten. Auch auf Schulen und Kitas müssen sich die Bürger verlassen können. Wenn wir auch in diesen Bereichen etwa für die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie sorgen wollen, müssen wir nicht zuerst über Arbeitszeit und Mobilität reden, sondern über eine bessere Personalausstattung.»

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.